




Zig Milliarden für die Wirtschaft, aber nicht für Flüchtlinge: Anlässlich des Weltflüchtlingstags (20. Juni) hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union deutlich kritisiert.
Es sei nicht nachvollziehbar, dass die EU ein 315-Milliarden-Euro-Programm für die Wirtschaft auflege, aber nicht in der Lage sei, 10 Milliarden für Flüchtlingshilfe aufzubringen. „Die jetzige Situation ist beschämend“, sagte der CSU-Politiker der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Über das Mittelmeer nach Europa: Zahlen zu Flüchtlingen
Trotz der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer wagen viele Tausend Menschen die Flucht nach Europa. 219.000 Menschen flohen laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR 2014 über das Mittelmeer nach Europa; 2015 waren es bis zum 20. April 35.000.
3.500 Menschen kamen 2014 bei ihrer Flucht ums Leben oder werden vermisst; im laufenden Jahr sind es bis zum 20. April 1600.
170.100 Flüchtlinge erreichten 2014 über das Meer Italien (Januar bis März 2015: mehr als 10.100); weitere 43.500 kamen nach Griechenland, 3.500 nach Spanien, 570 nach Malta und 340 nach Zypern.
66.700 Syrer registrierte die EU-Grenzschutzagentur Frontex 2014 bei einem illegalen Grenzübertritt auf dem Seeweg, 34.300 Menschen kamen aus Eritrea, 12.700 aus Afghanistan und 9.800 aus Mali.
191.000 Flüchtlinge stellten 2014 in der EU einen Asylantrag (dabei wird nicht unterschieden, auf welchem Weg die Flüchtlinge nach Europa kamen). Das sind EU-weit 1,2 Asylbewerber pro tausend Einwohner.
...beantragten 2014 in der EU Asyl (2013: 50.000).
202.700 Asylbewerber wurden 2014 in Deutschland registriert (32 Prozent aller Bewerber), 81.200 in Schweden (13 Prozent) 64.600 in Italien (10 Prozent), 62.800 in Frankreich (10 Prozent) und 42.800 in Ungarn (7 Prozent).
Um 143 Prozent stieg die Zahl der Asylbewerber im Vergleich zu 2013 in Italien, um 126 Prozent in Ungarn, um 60 Prozent in Deutschland und um 50 Prozent in Schweden.
Mit 8,4 Bewerbern pro tausend Einwohner nahm Schweden 2014 im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge auf. Es folgten Ungarn (4,3), Österreich (3,3), Malta (3,2), Dänemark (2,6) und Deutschland (2,5).
600.000 bis eine Million Menschen warten nach Schätzungen der EU-Kommission allein in Libyen, um in den nächsten Monaten die Überfahrt nach Italien oder Malta zu wagen.
Nach seinen Angaben hat Deutschland für Soforthilfe zugunsten von Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten Syriens und Iraks in den vergangenen eineinhalb Jahren 650 Millionen Euro ausgegeben. Das Geld floss in 150 Projekte, vor allem in den Hauptaufnahmeländern Jordanien und Libanon, wie Müller der „Mittelbayerischen Zeitung“ (online) sagte. Damit werden etwa Unterkünfte, Schulen und andere Infrastrukturen errichtet oder Lehrer bezahlt. „Wenn wir diese Hilfen nicht geleistet hätten, wären Tausende Flüchtlinge mehr aus purer Ausweglosigkeit zu uns gekommen“, erklärte er.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Bayerns Finanzminister Markus Söder will den Andrang rasch verringern. Es kämen nicht nur Kriegsflüchtlinge, sondern „über das Asylrecht erfolgt inzwischen de facto eine Einwanderung. Das ist aber nicht der Sinn des Asylrechts“ sagte der CSU-Politiker dem „Münchner Merkur“ (Samstag). Wichtig sei, „den Zuzug zu reduzieren“ und „dass rasch etwas passiert“.
Müller begrüßte, dass sich Bund und Länder darauf verständigt haben, über die Asylanträge von Bewerbern aus Ländern mit geringen Aufnahmeaussichten schneller zu entscheiden, etwa aus Balkanländern. Nach seinen Angaben kommen weniger als zehn Prozent der Flüchtlinge aus Afrika und nur 20 Prozent aus den Kriegsgebieten Syriens und Iraks, aber mehr als die Hälfte aus Balkanstaaten.
Sozialministerin Andrea Nahles und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprachen sich für einen stärkeren Einsatz Deutschlands für Flüchtlinge aus, auch zu ihrer Integration in die Arbeitswelt und die Gesellschaft. Die Deutschen sollten „in den Flüchtlingen auch die Fachkräfte sehen, die wir immer dringender brauchen“, schrieben sie in einem gemeinsamen Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Samstag).
Anlässlich des Weltflüchtlingstags erinnerten die Kirchen im Erzbistum Köln am Freitagabend mit 23.000 Glockenschlägen an die gleich hohe Zahl ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer. Seit dem Jahr 2000 hätten dort 23.000 Menschen ihr Leben verloren, klagte Kardinal Rainer Maria Woelki. Für diese sei es zu spät. „Aber es ist noch nicht zu spät für all diejenigen, die sich auch weiterhin auf den Weg nach Europa machen.“