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EU-Flüchtlingspolitik Naive Beschlüsse statt Ursachenbekämpfung

Die EU-Kommission will Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten und sie gerechter auf die Mitgliedsstaaten verteilen. Klingt gut, setzt aber nicht bei den Ursachen an. Der Flüchtlingsstrom muss woanders gestoppt werden.

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EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos Quelle: dpa

Mächtig gemenschelt hat es mal wieder, als die EU-Kommission am Dienstag in Brüssel ihre „Flüchtlings- und Migrationsstrategie“ vorstellte. „Europa kann dem Sterben im Mittelmeer nicht tatenlos zusehen“, erklärte der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Die Mittel für Rettungseinsätze der Grenzschutzagentur sollen verdreifacht, die ankommenden Flüchtlinge nach einem zeitlich befristeten Quotensystem gerechter auf alle Mitgliedsstaaten verteilt werden.

Europa jedenfalls ist und bleibt offen für alle Menschen in Not, so die Botschaft. Und die EU zeigt einmal mehr, dass sie sich in erster Linie als Humanisten-Klub versteht, eine Bastion des Guten in der bösen Welt. Das ist nett. Und dennoch naiv.

Diese Länder beherbergen die meisten Flüchtlinge
Platz 10: IrakFlüchtlinge: 246.300 Teil der Gesamtbevölkerung: 0,85  Prozent*   *Der Flüchtlingsanteil an der Gesamtbevölkerung in diesem und den folgenden Bildern entstammt eigenen Berechnungen. Quelle: AP
Platz 9: USAFlüchtlinge: 263.600 Teil der Gesamtbevölkerung: 0,0008  Prozent Quelle: dpa
Platz 8: ChinaFlüchtlinge: 301.000 Teil der Gesamtbevölkerung: 0,0002  Prozent Quelle: dpa
Platz 7: ÄthiopienFlüchtlinge: 433.900 Teil der Gesamtbevölkerung: 0,45  Prozent Quelle: obs
Platz 6: TschadFlüchtlinge: 434.500 Teil der Gesamtbevölkerung: 4 Prozent Quelle: dpa/dpaweb
Platz 5: KeniaFlüchtlinge: 534.900 Teil der Gesamtbevölkerung: 1,4 Prozent Quelle: REUTERS
Platz 4: TürkeiFlüchtlinge: 609.900 Teil der Gesamtbevölkerung: 0,8 Prozent Quelle: REUTERS

Die Flüchtlingsstrategie ist gar keine Strategie, sondern ein loses Beschlusswerk zum Kurieren der Symptome. In wachsender Zahl fliehen die Menschen übers Mittelmeer in die vermeintlich heile Welt der EU – ohne annähernd zu wissen, was sie hier tatsächlich erwartet. Also nimmt man sie auf. Und schafft damit neue Probleme. Erstens spricht sich herum, dass die Flucht nach Europa meist irgendwie gelingt. Zweitens wird die Flut an Flüchtlingen dann nicht abreißen. Was schon deren Unterbringung und erst Recht die Integration praktisch unmöglich macht.

Die Folge sind Spannungen innerhalb Europas, wenn Zuwanderung die Gesellschaften der EU überfordert. Es wäre ja schön, wenn die Bürger so tolerant und hilfsbereit wären wie die Brüsseler EU-Elite. Sind sie aber nicht. Der Pöbel-Bürger wählt in zunehmendem Maße sogar Nationalisten wie Frankreichs Front National. Und Populismus befällt in Zeiten wie diesen gar etablierte politische Kräfte wie die konservative britische Innenministerin Theresa May. Sie sprach sich in einem Gastbeitrag in „The Times“ dafür aus, Boote mit Flüchtlingen aufs offene Meer zurückzuschicken.

Über das Mittelmeer nach Europa: Zahlen zu Flüchtlingen

Das geht natürlich nicht. Obwohl es in Brüssel einige mit dem zelebrierten Gutmenschentum übertreiben, dürfen Menschen in Not niemals mutwillig der Gefahr ausgesetzt werden – auch wenn sie selbst irrsinnige Risiken bereitwillig in Kauf genommen haben. Und doch sollte die EU die Flüchtlingsflut eher eindämmen, indem sie deren Ursachen bekämpft:

Erstens: Viele Afrikaner fliehen, um dem Mythos eines besseren Lebens in Europa zu folgen. Dass es für die meisten hierzulande keine Perspektiven gibt, könnte man besser kommunizieren, etwa über Info-Kampagnen in den Medien und bei Botschaften. Auch eine proaktivere Entwicklungspolitik, die auf Schaffung lokaler Arbeitsplätze zielt, wäre sinnvoll.

Zweitens: Libyen entwickelt sich zum gescheiterten Staat ohne Grenzen – auch, weil Truppen der NATO im Bürgerkrieg erst auf falsche Weise interveniert und das fragile Land zu früh sich selbst überlassen hat. Jetzt könnte das gespaltene und teils anarchisch regierte Libyen eine UN-Mission gebrauchen, damit dort Stabilität einkehrt. Solange das ganze Land ein offenes Tor zum Mittelmeer ist, werden die Flüchtlingsströme nicht abreißen.

Drittens: Die EU sollte sich mit den USA und auch Russland verstärkt um eine Begradigung des Syrien-Konflikts einsetzen. Ehe der Bürgerkrieg dort nicht beendet ist, werden auch die Flüchtlinge von dort nicht weniger werden. Beim Wiederaufbau der staatlichen Strukturen wird sich Europa einbringen müssen.

Viertens: EU-Mitgliedsstaaten sollten Frontex-Missionen und auch eigene Marineverbände mit robusteren Mandaten ausstatten, damit sie Schlepperboote aufreiben und zerstören können. Diplomatisch müsste abgesichert werden, dass europäische Boote vor Libyens Küste operieren dürfen – auch wenn sie die Flüchtlinge sicher nicht dorthin zurückbringen werden. Einen solchen Vorstoß wagt hat die EU-Kommission immerhin in ihrer „Strategie“, nun müssen aber noch die Mitgliedstaaten ins Boot geholt werden. Das dürfte schwierig werden.

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