EU-Gipfel zum Brexit „Polen weiß, dass es Deutschland ärgern kann“

Brexit: EU-Gipfel zu Großbritanniens EU-Austritt in Salzburg Quelle: dpa

Der EU-Gipfel in Salzburg könnte eine wichtige Wegmarke für den Brexit werden. Das birgt Chancen – aber auch erhebliche Risiken.

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Der informelle EU-Gipfel in Salzburg ist mehr als eine Zusammenkunft in fotogener Kulisse, von der sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz tourismusfördernde Bilder erhofft. Er könnte eine wichtige Wegmarke in den Brexit-Verhandlungen darstellen. Die Gespräche werden von der technokratischen auf die politische Ebene vorrücken.

Vor allem in Großbritannien warten Einige schon lange auf diesen Moment. „Manche glauben, Bundeskanzlerin Angela Merkel werde auf die britische Premierministerin Theresa May zugehen, weil BMW das so will“, erzählt der erfahrene deutsche Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) über das britische Wunschdenken. Wirtschaftsvertreter und Politiker in Großbritannien hoffen, dass auf der Ebene der Chefs erheblicher Raum für Kompromisse besteht, die Europas Unterhändler bisher verwehrt haben, weil sie sich strikt an die EU-Regeln gehalten haben.

Diese Hoffnungen werden sich nicht erfüllen, denn auch auf der politischen Ebene besteht keine Bereitschaft, die Grundsätze der EU wie den Binnenmarkt über Bord zu werfen, um den Briten zu Hilfe zu kommen. Das Mittagessen in Salzburg werden die 27 EU-Mitgliedsstaaten Diplomaten zufolge aber nutzen, um auszuloten, welches Verhandlungsergebnis sie anstreben und wie kompromissbereit sie sich geben werden. Die Chefs werden auch das Datum für einen Brexit-Sondergipfel festlegen. Der 13. November ist im Gespräch.

Sollten die Verhandlungen mit den Briten nicht vorankommen, heißt es von EU-Diplomaten, so könnte der Termin in einen Not-Gipfel für die 27 verbleibenden Staaten umgewandelt werden, bei dem Vorkehrungen für einen harten Brexit besprochen werden. Ein Austritt ohne Einigung, warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk jüngst, sei nicht unwahrscheinlich. Sollte es einen Deal geben, so wird der Durchbruch erst für den EU-Gipfel Mitte Dezember erwartet. „Notfalls müssen die Beamten über Weihnachten arbeiten, um die Details auszuarbeiten“, heißt es aus EU-Diplomatenkreisen.

Womit müssen sich die Staats- und Regierungschefs konkret beschäftigen? Schätzungsweise 80 Prozent der strittigen Themen sind abgearbeitet. Nach wie vor nicht gelöst ist aber das heikle Problem der irischen Grenze. Mays Angebot von Freihandel bei Gütern reicht nicht aus, denn die Europäer wollen eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik vermeiden. Dies geht nach den Vorstellungen der EU aber nur, wenn Nordirland auch komplett im Binnenmarkt verbleibt. „Die Briten werden ihre Position in der Irland-Frage räumen müssen“, glaubt der Europa-Abgeordnete Brok.

Bisher haben sich die 27 EU-Staaten bei den Brexit-Verhandlungen erstaunlich einig gezeigt, weil die Gespräche von Technokraten geführt wurden. „Wenn die Gespräche auf die politische Ebene rücken, wächst das Risiko von Uneinigkeit“, heißt es von EU-Diplomaten. Jedes Land kann sein Veto einlegen, was die Gefahr birgt, dass EU-Staaten blockieren, um in einem anderen Politikbereich Konzessionen zu erpressen. „Vor allem die Polen wissen, dass sie die Deutschen ärgern können“, heißt es aus Diplomatenkreisen. Da polnische und britische Europa-Abgeordnete im Europäischen Parlament derselben Fraktion (ECR) angehören, sind die Kontakte zwischen den beiden Regierungen ohnehin eng. Da zahlreiche Polen in Großbritannien leben, sind Brexit-Verhandlungen für Polens Regierung extrem wichtig.

Bei weitreichenden Verhandlungen in der EU, etwa wenn es um die mehrjährige Finanzplanung geht, gelingt der Durchbruch erfahrungsgemäß immer erst auf den letzten Metern, wenn der Handlungsdruck groß genug ist. Es wäre gut möglich, dass die Brexit-Verhandlungen einem ähnlichen Drehbuch folgen, dramatische Nachtsitzungen eingeschlossen.
Beim Gipfel in Salzburg ist gewiss, dass es keine Nachtsitzung geben wird, denn konkrete Ergebnisse werden nicht erwartet – auch eine schriftliche Erklärung im Anschluss ist nicht vorgesehen. Aber die Brexit-Verhandlungen könnten in einen anderen Modus umschalten.

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