EU-Klimaziele Die echte Bewährungsprobe beim Klimaschutz steht Europa noch bevor

Um den Klimawandel und dessen katastrophale Folgen zu bremsen, müssen die Treibhausgase sinken. Die EU-Staaten ringen sich zu einem Kraftakt durch. Quelle: imago images

Nach einer langen Gipfelnacht feiern die Staats- und Regierungschefs ihren Durchbruch zu strengeren Klimavorgaben. Die wirklich schwierigen Beschlüsse liegen allerdings noch vor ihnen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel war am Freitagvormittag sichtlich erleichtert, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ein strengeres Klimaschutzziel von mindestens minus 55 Prozent bis 2030 geeinigt haben. „Dafür hat es sich gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen“, sagte die Kanzlerin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fügte hinzu, dass die vereinbarte CO2-Reduktion Europa klar auf den Weg zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 bringe. Und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „wichtigen Signal“.

Nachdem sich der EU-Gipfel unerwartet in die Länge gezogen hatte, herrschte am Freitag im Brüsseler Ratsgebäude große Zufriedenheit. Doch der zähe Widerstand Polens gegen den Beschluss lässt erkennen, dass der Europäischen Union beim Thema Klimaschutz noch schwierige Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten bevorstehen.
Ein gemeinsames Ziel zu vereinbaren ist das eine, die Details auszuhandeln wird die eigentliche Bewährungsprobe. Bereits jetzt ist klar, dass sich die Staats- und Regierungschefs in der ersten Jahreshälfte wieder mit dem Thema Klimaschutz beschäftigen müssen, um Details zu klären.



Als erstes muss allerdings ein Kompromiss mit dem Europäischem Parlament erzielt werden. Das wird schwierig genug. Die Europa-Abgeordneten finden ein Einsparziel von 55 Prozent nicht ambitioniert genug und hatten sich bereits mit einer knappen Mehrheit für 60 Prozent ausgesprochen. Gut möglich, dass sich beide Institutionen in der Mitte bei 58 Prozent treffen werden.
Verglichen mit den bisher geplanten Einsparungen von 40 Prozent wäre das allerdings ein völlig neues Szenario. Umfassende Anpassungen an den bisherigen Plänen wären in allen Mitgliedsstaaten notwendig. Der Streit auf dem EU-Gipfel in der Nacht von Donnerstag gab schon einen Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen zwischen den Ländern. So soll etwa ein Modernisierungsfonds Regionen, die bisher von fossilen Brennstoffen, etwa Kohle, abhängen, den Übergang finanziell erleichtern. Polen verlangte in der Nacht konkrete finanzielle Zusagen für seinen Energiesektor. Die anderen Mitgliedsstaaten wollten sich zum aktuellen Zeitpunkt darauf aber nicht festlegen.

von Annina Reimann, Martin Seiwert, Silke Wettach, Malte Fischer, Sonja Álvarez, Max Haerder

Eine zentrale Frage muss in den kommenden Monaten geklärt werden: Wie wird das gemeinsame Einsparungsziel auf die Mitgliedsstaaten heruntergebrochen? Ein EU-Beamter wies nach dem EU-Gipfel darauf hin, wie heikel dieses Thema ist.
Und wie wird der Emissionshandel in Zukunft funktionieren? Im Juni will die EU-Kommission dafür einen Vorschlag vorlegen. Bisher zeichnet sich ab, dass die Schifffahrt erstmals in den Emissionshandel mit einbezogen werden soll und die Luftfahrt ihre bisherigen Privilegien verliert, sie würde also keine kostenlosen Zertifikate mehr erhalten. Die Mitgliedsstaaten sind von diesen Änderungen unterschiedlich betroffen.

Bisher ist umstritten, ob der Verkehr in den Emissionshandel mit einbezogen werden soll. Die EU-Kommission hat dagegen schon klar gemacht, dass sie die CO2-Emissionslimits für Pkw deutlich anheben will, obwohl sie der Branche in einer Verordnung von 1999 Planungssicherheit versprochen hatte. Die Automobilhersteller haben sich in der Vergangenheit noch jedes Mal gewehrt, wenn die Emissionsziele angezogen wurden. In der EU-Kommission wurde jedoch auch aufmerksam registriert, dass verbindliche Emissionsziele verlässlich zu Einsparungen geführt haben. Es ist also davon auszugehen, dass dieses Instrument, dass sich als effektiv erwiesen hat, deutlich verschärft wird.


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Aus deutscher Sicht interessant: Die Debatte über die Vorschläge, die die Kommission im Juni vorlegt, wird im September erst richtig anlaufen. Wenn der Wahlkampf zur Bundestagswahl seinen Höhepunkt erreicht. Sollte die Suche nach einer Koalition so lange dauern, wie vier Jahre zuvor, dann hätte Deutschland in der Debatte nur eine geschäftsführende Regierung – und keine starke Stimme.

Mehr zum Thema: Harte Klimaauflagen der EU bedrohen die deutschen Autobauer und ihre Zulieferer – und gefährden die Transformation zur Elektromobilität.

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