EU-Kommissarin Mariya Gabriel „Ich spiele das Spiel“

EU-Kommissarin Mariya Gabriel. Quelle: imago images

Die junge Bulgarin Mariya Gabriel hat von Günther Oettinger das Digital-Portfolio in der EU-Kommission übernommen. Jetzt will sie mit kostenlosen W-Lan-Hotspots in ganz Europa bei den Bürgern punkten.

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Es ist schon das dritte Fotomotiv an diesem Vormittag, und Mariya Gabriel richtet ihren Blick wieder direkt in die Kamera, eine Schwangere im lachsfarbenen Pullover neben sich auf der Bühne. Gerade hat die EU-Digitalkommissarin der Frau einen gläsernen Stern überreicht. „Smarte Städte brauchen smarte Bürger“, sagt die Preisträgerin über ihr Projekt, das Internet für alle bereitstellt. Kommissarin Gabriel nickt bestätigend.

Mit Sponsoren einer Digitalkoalition hat die Kommissarin heute schon posiert und mit Praktikanten, die im Ausland Digitalkompetenz erworben haben. Die 38jährige Bulgarin absolviert routiniert das Programm in einem dieser Hotelsäle mit tiefem Teppichboden und gigantischen Kronleuchtern, die auf der ganzen Welt genauso aussehen. Und lächelt noch einmal freundlich.

Erst seit vergangenem Juli steht die studierte Politologin im Rampenlicht. Als Europaabgeordnete hatte sie sich zuvor auf Außenpolitik spezialisiert, leitete nebenbei eine Arbeitsgruppe zur Gesundheit von Bienen. Doch dann kam den Bulgaren die EU-Kommissarin abhanden, weil die ebenso kompetente wie resolute Kristalina Georgieva mit ihren Arbeitsbedingungen in Brüssel unzufrieden war und Richtung Weltbank nach Washington aufbrach. Die Regierung brauchte dringend Ersatz und zwar einen vorzeigbaren. 2010 war die Kommissarskandidatin von Ministerpräsident Bojko Borissow wegen ihrer undurchsichtigen Vergangenheit in Brüssel durchgefallen. Eine erneute Blamage wollte Borissow vermeiden.

Also schickte Borissov seine Vertraute Gabriel in die Kommission, die nach eigenen Aussagen nie mit ihrem Aufstieg gerechnet hatte. Nun füllt sie den Posten diszipliniert aus. „Ich spiele das Spiel“, sagte sie einem Vertrauten. Wie Oettinger betritt sie mit dem Thema Neuland: „Ich habe mich gefragt, ob ich dem gewachsen sein werde.“ Aber schon im Europäischen Parlament waren ihr Fleiß und ihre Ausdauer legendär. Gabriel liest ihre Vorlagen, hat Zahlen und Fakten im Griff und weiß, dass sie sich auf ihre Beamten verlassen kann. An diesem Dienstag wird sie eine Initiative zu W-LAN vorstellen. In der ganzen EU soll es kostenlose Punkte geben, mit dem Plan will die EU-Kommission bei den Bürgern punkten.

Ihren Posten als Digitalkommissarin verdankt Gabriel dem Zufall. Eigentlich wollte Juncker das wichtige Ressort Digitales dem portugiesischen Forschungskommissar Carlos Moedas anvertrauen, aber der wollte sein Fachgebiet nicht abgeben. Weil Oettinger von der geflüchteten Georgieva die Zuständigkeit für Haushalt übernahm, landete das Digitale bei Gabriel.

Gabriel ist vor allem eine Mustereuropäerin. Im Alter von 14 hatte die schon das Berufsziel EU-Institutionen. „Eine französische Lehrerin hatte mir damals ein Buch über die EU geschenkt“, erzählt sie. Im Westbulgarischen Kyustendil, einer Stadt mit 45.000 Einwohnern nahe der mazedonischen Grenze, besuchte Gabriel eine französisch-bulgarische Schule. Heute noch spricht sie deutlich lieber Französisch als Englisch, auch wenn sie dann Zuhörer dazu zwingt, nach dem Kopfhörer mit der Dolmetschung greifen müssen. Gabriel arbeitete in Bordeaux an ihrer Doktorarbeit über Entscheidungsprozesse in der EU, als sie das Angebot bekam, 2009 für die Christdemokraten im Europäischen Parlament zu kandidieren. Vor die Wahl zwischen Wissenschaft und Politik gestellt, entschied sie sich gegen die Doktorarbeit, die sie nie fertig schrieb. „Ich musste in die Politik“, sagt sie.

Die Politik wurde schnell zu ihrem Leben. Gatte François Gabriel, damals Mitarbeiter des christdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Joseph Daul, machte den Heiratsantrag im Europäischen Parlament. Ministerpräsident Borissow war bei der Hochzeit im bulgarischen Nationaltheater dabei, spät am Abend kamen dann noch die Nestinari, die nach bulgarischer Sitte auf Kohlen tanzen. Dass dieses Detail an die Öffentlichkeit gelangt ist, wurmt sie. Über ihr Privatleben spricht sie nicht gerne.

Viel lieber spricht sie über das, was ihr „am Herzen liegt“, eine Formulierung, die sie häufig verwendet. Da wären die 18 Initiativen zum digitalen Binnenmarkt, die ihr Vorgänger Günther Oettinger vorgelegt hat, die aber immer noch im Gesetzgebungsprozess stecken. Ihr Ehrgeiz ist, Europäisches Parlament und die Mitgliedsstaaten bei so schwierigen Themen wie dem Copyright und der Versteigerung von Frequenzen rechtzeitig zu einer Einigung zu bewegen, ehe Ostern 2019 der Europawahlkampf beginnt und sich das politische Zeitfenster schließt.

Von Oettinger hat sie so viele Gesetzesinitiativen geerbt, dass wenig Platz für eigene Akzente bleibt. Im Mai will sie eine Initiative für den Abbau der Roaming-Kosten im Westbalkan vorlegen, damit die Menschen in den Beitrittsländern die Vorteile der EU erfahren. „Europa muss konkret bleiben“, sagt Gabriel, macht sich aber keine Illusion, dass Mobilfunkbetreiber ihre Pfründe schnell aufgeben. „In Westeuropa hat es zehn Jahre gedauert, ehe wir das Roaming abgeschafft haben.“

Für die EU hat Gabriel eine klare Zielvorstellung: „Ich träume von einem Europa, das weltweit eine Führungsstellung im Digitalen einnimmt.“

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