
Wirklich zufrieden dürfte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Brüsseler Postenverteilung nicht sein. Nach dem monatelangen Poker um die wichtigsten Ressorts in der neuen EU-Kommission bleibt für Deutschland nur ein Platz in der zweiten Reihe. Merkels CDU-Parteigenosse Günther Oettinger hat in der Behörde keinen der sieben machtvollen Vizepräsidenten-Posten ergattert - und verantwortet auch keines der Schlüsselressorts.
Bisher war der 60-Jährige für Energie verantwortlich und vermittelte etwa im Energiestreit zwischen Russland und der Ukraine. Künftig aber wird er sich um das Mini-Ressort Digitales kümmern, also Telekommunikation, Netzausbau oder Urheberrechte. Und wird auch noch von dem Esten Andrus Ansip als Vizepräsident überwacht. Allerdings gilt Digitales als ein wichtiges Zukunftsthema für die EU.
Nichtsdestotrotz regnete es prompt Häme. Der FDP-Fraktionschef im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, nannte die Personalie eine „schallende Ohrfeige für die Bundesregierung“. Der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht sprach von der „größten Fehlbesetzung“ der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker. Das EU-Parlament muss dem Personalpaket noch zustimmen.
Oettinger selbst redete den Machtverlust klein und sagte mit Blick auf fünf ehemalige Regierungschefs im Team: „Deshalb muss man da mit einer gewissen Demut rangehen.“ Die Kanzlerin selbst schwieg und ließ von ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert zu Oettingers Berufung lediglich ausrichten: „Das ist aus unserer Sicht sehr gut.“
Doch warum gibt sich Deutschland mit einem scheinbar kleinen Stück vom Kuchen zufrieden? In der Tat hätte Kanzlerin Merkel ihren Parteikollegen lieber als Handelskommissar gesehen, wie zuvor durchsickerte. Dann hätte Oettinger die für Deutschland wichtigen Handelsgespräche mit Amerika führen können. Diese Aufgabe übernimmt nun die Schwedin und bisherige Innenkommissarin Cecilia Malmström.
Zudem hat die Bundesregierung andere, indirekte Ziele erreicht. So war Berlin lange skeptisch gegenüber der Personalie Pierre Moscovici. Der ehemalige französische Finanzminister ist nun Kommissar für Wirtschaft und Finanzen. Die Ernennung war heikel, weil Frankreich große Probleme beim Schuldenabbau hat. Erst am Mittwoch kündigte Paris an, weitere zwei Jahre bis 2017 zu brauchen, um das Defizit wieder unter die Maastricht-Schuldengrenze zu drücken. Juncker verteidigte seine Wahl mit den Worten: „Herr Moscovici ist gut platziert, um dazu beizutragen, diese Probleme zu lösen“.
Laut Diplomaten sorgte der deutsche Druck dafür, dass der Sozialist Moscovici kontrolliert wird - von dem konservativen Letten und Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis von der politischen Konkurrenz.
Auch politisches Kalkül gab den Ausschlag für Oettingers neuen Job. Moscovici wurde kein Vizepräsident. Um die Balance zwischen den beiden EU-Schwergewichten Deutschland und Frankreich zu halten, konnte somit auch der deutsche Kommissar keiner werden.
Am meisten überraschte Juncker mit der Berufung des konservativen britischen Europaskeptikers Jonathan Hill zum Finanzkommissar. Ausgerechnet Großbritannien: Die Briten wollen ihre Bankenmetropole London schützen und bremsen regelmäßig bei EU-Vorstößen. Laut EU-Diplomaten ist dies ein großes Zugeständnis an Premier David Cameron, damit das Land in der EU bleibt. Cameron will sein Volk 2017 über einen EU-Austritt abstimmen lassen. Nun könnte Hill die von Cameron geforderten Reformen der EU im Londoner Sinne vorantreiben.
Der Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, Guntram Wolff, begrüßte Hills Berufung: „Das ist eine gute Nachricht. Die Briten haben in Finanzfragen mehr Sachverstand.“ Juncker selbst meinte mit einer gewissen Ironie: „Vielleicht verstehen unsere britischen Freunde die Politik der Kommission besser, wenn sie in der elegantesten Version der Sprache Shakespeares erklärt wird.“
Kritik musste Juncker für den Umbau der Kommission einstecken. Erstmals sollen die Vize-Präsidenten federführend die Arbeit mehrerer Fachkommissare steuern. Dabei setzt Juncker auf erfahrene Ex-Staats- und Regierungschefs wie Dombrovskis und die Slowenin Alenka Bratusek. Prof. Lüder Gerken vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg kritisiert: „Es wird rein faktisch ein Zwei-Klassen-System in der Kommission eingeführt.“ Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC) glaubt nicht, dass Junckers Kommission handlungsfähiger wird: „Ob das in der Praxis klappt, bezweifle ich.“ Juncker selbst spricht von einer Kommission „ohne Eifersüchteleien, ohne Rangordnungen, die keinen inhaltlichen Sinn ergeben.“
In jedem Fall trifft auf die Juncker-Kommission nicht der alte Spruch zu: „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“. Das Durchschnittsalter liegt bei 53 Jahren und mit fünf ehemaligen Regierungschefs sind Hochkaräter in der Kommission dabei. Mit neun Frauen hat Juncker auch den selbst gesetzten Frauenanteil erreicht.