
Aus Brüssel kommen in diesen Tagen widersprüchliche Signale. Einerseits wird die EU-Kommission den Strom der Flüchtlinge als außergewöhnlichen Umstand werten und entsprechend Milde walten lassen bei der Bewertung der Haushalte. Gleichzeitig dringt die EU-Kommission darauf, dass die Staaten der Eurozone den aktuellen Niedrigzins bewusst dazu nutzen, um ihre Schulden abzubauen. Am kommenden Montag werden sich die Finanzminister der Eurozone bei ihrem Treffen in Luxemburg mit dem Thema befassen.





In dem Papier, das der WirtschaftsWoche vorliegt, weist die EU-Kommission darauf hin, dass das kumulierte Schuldenniveau der Eurozone weiter steigt und bei über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. Sie fordert, die Gewinne, die dank der niedrigen Zinsen zu erwarten sind, „primär für den Schuldenabbau“ zu verwenden und sich davon nicht zu einer unsoliden Haushaltspolitik verleiten zu lassen. „Vorübergehende Gewinne dank niedriger Zinsen sollten nicht zu dauerhaft höheren Staatsausgaben führen“, betont die EU-Kommission.
Aus der Zeit vor der Krise sei klar, dass Zinsgewinne die falschen Anreize für Mitgliedsstaaten bieten, da sie höhere Staatsausgaben ermöglichen oder Steuersenkungen. Damit spielt die EU-Kommission darauf an, dass Länder wie Spanien, Italien und Griechenland in der Vergangenheit nicht umsichtig mit ihren Zinseinsparungen umgegangen waren. Als Teil der Eurozone hatte sich für diese Länder die Refinanzierung erheblich verbilligt, verglichen mit der Zeit vor Einführung des Euro.
Schuldenstand der Euro-Länder
Belgien liegt mit 106, 6 Prozent Schulden im Jahr 2014 weit über dem Limit von 60 Prozent.
Der Schuldenstand von Deutschland lag 2014 bei 74,7 Prozent und damit auch weit über dem Limit.
Mit 10,6 Prozent Verschuldung liegt Estland weit unter dem Schuldenlimit.
Finnland blieb im 2014 mit 59,3 Prozent Schulden knapp unter dem Schuldenlimit von 60 Prozent.
Frankreichs Schuldenstand lag im vergangenen Jahr bei 95 Prozent.
Mit 177,1 Prozent ist Griechenland der absolute Schuldenspitzenreiter der Europäischen Union.
Auch Irland ist stark verschuldet. Hier liegt der Schuldenstand bei 109,7 Prozent.
Italiens Schuldenstand lag 2014 bei 132,1 Prozent.
Lettland bleibt mit 40 Prozent Schulden weit unter dem Limit.
Auch Litauen ist glücklicherweise noch weit entfernt vom Limit. 2014 lag die Verschuldung bei 40,9 Prozent.
Lediglich 23,9 Prozent Schulden hatte Luxemburg 2014 zu verzeichnen.
68 Prozent des Staatshaushaltes von Malta steckte 2014 in Schulden. Damit hat auch der südeuropäische Inselstaat das Limit überschritten.
68,8 Prozent des niederländischen Haushaltes war 2014 verschuldet.
Mit 84,5 Prozent Schulden gehört Österreich zu den Ländern der EU, die deutlich über dem Schuldenlimit liegen.
Mit 130,2 Prozent ist Portugal neben Griechenland das am stärkten verschuldete Land in der EU.
Die Slowakei blieb 2014 knapp unter dem Schuldenlimit mit 53,6 Prozent.
Sloweniens Staatshaushalt dagegen lag mit 80,9 Prozent Verschuldung deutlich über dem Limit von 60 Prozent.
Spanien bewegte sich mit 97,7 Prozent 2014 gefährlich auf die 100 Prozent-Marke zu.
Zypern ist neben Griechenland und Irland am stärksten verschuldet. Der Stand lag hier 2014 bei 107,5 Prozent.
Vor allem Länder mit einem sehr hohen Schuldenniveau sollten der EU-Kommission zufolge nun Steuererhöhungen vermeiden, da dies eine negative Auswirkung auf das Arbeitsangebot habe. Den fünf Ländern, die sich in einem Defizitverfahren befinden, weil sie gegen den Stabilitätspakt verstoßen, empfiehlt die EU-Kommission ebenfalls die Gewinne zur Sanierung der Staatsfinanzen einzusetzen. Dabei handelt es sich um Frankreich, Spanien, Irland, Portugal und Slowenien.
EU-Kommission empfiehlt Trendumkehr
Bisher sind die Gewinne, die Mitgliedsstaaten dank der günstigen Refinanzierung am Markt erwarten können, noch nicht beziffert. Die EU-Kommission fordert, dass diese sorgfältig analysiert werden sollten.
Inwieweit Länder von den niedrigen Zinsen werden profitieren können, hängt auch davon ab, welcher Anteil der Staatsanleihen in den kommenden Jahren fällig wird. In Irland sind es im Zeitraum 2015 bis 2018 nur 20 Prozent, In Spanien dagegen 50 Prozent.
Die EU-Kommission empfiehlt den Ländern der Eurozone, die augenblicklich günstigen Konditionen durch aktives Schuldenmanagement möglichst zu verlängern.





Konkret würde dies bedeuten, dass die Staaten auf längere Laufzeiten von Staatsanleihen umsteigen sollten. Die EU-Kommission betont, dass dies nicht nur im Interesse des einzelnen Staates liege, sondern dass auch die gesamte Eurozone davon profitieren könnte.
Bisher betreiben die Staaten der Eurozone ein höchst unterschiedliches Schuldenmanagement. In Irland etwa weist nur ein Prozent der Staatsschuld eine Laufzeit von unter einem Prozent auf, in Deutschland sind es dagegen 12 Prozent, in Frankreich 17 Prozent, in Spanien 18 Prozent. Irland setzt stark auf Langläufer, 80 Prozent der Staatsanleihen haben eine Laufzeit von fünf Jahren und mehr. In Deutschland liegt deren Anteil bei nur 55 Prozent, in Spanien bei 50 Prozent.
Europa
Jenen Ländern, die im Zuge der Sparpolitik ihre Investitionen zurückgefahren haben, empfiehlt die EU-Kommission eine Trendumkehr. Länder wie Spanien, Portugal und Lettland sollten den Spielraum, der sich dank der niedrigen Zinsen ergibt, dafür nutzen.
Deutschland wird nach den Prognosen der EU-Kommissionen bei den öffentlichen Investitionen mit einem Anteil von unter drei Prozent des BIP einen hinteren Platz einnehmen, knapp vor den ehemaligen Programmländern Portugal, Spanien und Irland. Beim Spitzenreiter Estland wird der Anteil mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland liegen.