




Sein iPhone bedient er ebenso routiniert wie sein iPad, den Terminkalender führt er elektronisch. Nur bei den Lesegewohnheiten ist Günther Oettinger, 60, noch etwas altmodisch. „Ich lese Zeitungen am liebsten auf Papier“, gestand er vergangene Woche, als bekannt wurde, er werde in seiner zweiten Amtszeit als deutscher Vertreter in der Europäischen Kommission für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständig sein.
Kritiker irren
Kaum war die Personalie in der Welt, hagelte es Kritik: Deutschland werde mit einem unwichtigen Ressort abgespeist, Oettinger, der von sich selbst sagt, er sei kein „digital native“, passe nicht auf den Posten. Doch in beidem irren die Kritiker. Als Kommissar für Digitales wird Oettinger eine Schlüsselposition in der Kommission von Jean-Claude Juncker übernehmen. Er wird mit entscheiden, ob Europa in der digitalen Welt den Anschluss findet oder weiterhin anderen Weltregionen die Marktführerschaft überlässt. Wer ihn kennt, weiß, dass er sich rasch in die neue Materie einfinden wird – so wie er vor fünf Jahren flugs die Energiepolitik durchdrang. Zumal er aus seiner Zeit als Ministerpräsident in Baden-Württemberg noch Kontakte pflegt zu Konzernen wie IBM, Hewlett-Packard und SAP, allesamt in seiner Heimat ansässig.
Politische Unterstützung genießt Oettinger ohnehin. Der künftige Kommissionschef Juncker hat das Digitale zu einer seiner Prioritäten ausgerufen, um Europa wettbewerbsfähiger zu machen. Binnen sechs Monaten soll Oettinger ein umfassendes Gesetzespaket für einen digitalen Binnenmarkt vorlegen. Schon Junckers wichtigster Berater, Kabinettschef Martin Selmayr, wird dafür sorgen, dass das Thema ganz oben auf der Agenda bleibt. Als rechte Hand der früheren Luxemburger Kommissarin Viviane Reding war er einst maßgeblich für die Reduzierung der Roaming-Gebühren in der EU verantwortlich.
Junckers Team stützt sich auf eine Studie des Europäischen Parlaments, die die Kosten des zersplitterten europäischen Digitalmarkts auf 656 Milliarden Euro im Jahr beziffert. Oettinger wird nun Antworten auf die entscheidenden Fragen des Sektors finden müssen: Wie etwa kann die Regulierung der Märkte für Telekommunikation in den 28 Mitgliedsländern stärker angenähert werden? Bisher operiert keiner der großen Telekomanbieter in allen EU-Mitgliedstaaten, nationale Schranken verhindern grenzüberschreitendes Wachstum. „Im Weltmaßstab sind Deutsche Telekom und France Télécom am unteren Ende der Skala“, sagt Oettinger und gibt zu erkennen, dass er in seinem neuen Amt durchaus Industriepolitik betreiben will.