
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist bei der EU-Kommission eingetroffen, um mit Behördenchef Jean-Claude Juncker und den 27 Kommissaren über das TTIP-Handelsabkommen und die Ukraine-Krise zu sprechen. Beim dem geplanten Handelspakt zwischen der EU und den USA (TTIP) will sich die Kanzlerin dem Vernehmen nach hinter die Kommission stellen, die für die 28 EU-Staaten die schwierigen Verhandlungen führt.
Sie hat außerdem klar gemacht, dass Deutschland hinter TTIP stehe und den politischen Rahmen in diesem Jahr schaffen wolle. Das geplante Abkommen zwischen der EU und den USA ist in Deutschland und anderen europäischen Mitgliedstaaten umstritten. Verbraucher- und Umweltschützer befürchten das Absenken europäischer Standards.
Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt
Die Zölle zwischen den USA und den EU sind bereits niedrig. Sie liegen im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent, sagt der deutsche Außenhandelsverband BGA. Da jedoch jährlich Waren im Wert von mehr als einer halben Billion Euro über den Atlantik hin- und herbewegt werden, kann die Wirtschaft Milliarden sparen. Europäische Chemieunternehmen haben 2010 für Exporte in die Vereinigten Staaten fast 700 Millionen Euro in die US-Staatskasse gezahlt. Umgekehrt führten die USA gut eine Milliarde Euro nach Brüssel ab. Wirtschaftsverbände erwarten durch den Fall der Zollschranken weniger Bürokratie für mittelständische Unternehmen und mehr Geld für Investitionen, etwa in Forschung und Entwicklung.
Die deutsche Wirtschaft verspricht sich Impulse in Milliardenhöhe. "Das Freihandelsabkommen könnte unsere Exporte in die Vereinigten Staaten um jährlich drei bis fünf Milliarden Euro erhöhen", sagt der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Die Amerikanische Handelskammer in Deutschland (AmCham) rechnet mit einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 1,5 Prozent. Viele Unternehmen hoffen zudem darauf, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA zu bekommen.
Fast unlösbar scheinen die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den USA und der EU in Fragen der Landwirtschaft. "Für die Amerikaner sind Hormonfleisch und Genmais kein Problem, für Europäer ist das dagegen ein 'No-Go'", sagt der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Da kann man sich auch nicht in der Mitte treffen." Die Handelskammer AmCham empfiehlt daher, dass Thema außen vor zu lassen. "Das Thema Agrar würde die Gespräche nur belasten", sagt AmCham-Ehren-Präsident Fred Irwin. "Deshalb wäre es gut, das beiseite zu schieben."
Bei der Angleichung technischer Standards. "Das fängt bei der Länge der Stoßstangen an und hört beim Krümmungswinkel des Rückspiegels auf", sagt BGA-Experte Nagel. "Hier gibt es seit Jahrzehnten unterschiedliche Standards, die sich nicht in wenigen Jahren angleichen lassen." Die Chemieindustrie fordert, vor allem Umwelt-, Verbraucher- und Gesundheitsschutz stärker aufeinander abzustimmen.
Die deutschen Exporteure warnen davor, aus dem Freihandelsabkommen eine Art Wirtschafts-Nato zulasten anderer Handelspartner zu schmieden. "Uns stört das Gerede um eine Wirtschafts-Nato", sagte der Geschäftsführer des Außenhandelsverbandes BGA, Jens Nagel. "Ein Freihandelsabkommen ist nicht dazu da, sich gegen Dritte abzuschotten nach dem Motto 'Jetzt verbünden wir uns gegen die bösen Chinesen'." In der Politik wird das zum Teil genau andersherum gesehen. "Es bleibt nur noch wenig Zeit, gemeinsam mit den USA Standards zu prägen, bevor Wachstumsmärkte wie China und Indien den Takt angeben", sagte der Geschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrats, Thomas Raabe.
Sie können Produkte billiger einkaufen, verspricht beispielsweise der Verband der Automobilindustrie (VDA). "Das würde auch die Kosten eines Autos für den Verbraucher senken", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Auch andere Branchen können mit einer Kostensenkung rechnen. Ob sie den Vorteil an ihre Kunden weitergeben oder den eigenen Gewinn damit steigern, bleibt ihnen überlassen. Produkte können außerdem schneller erhältlich sein, wenn sie einheitlich zugelassen werden - etwa wenn die US-Aufsicht FDA ein neues Medikament freigibt, das damit automatischen die Zulassung in den EU erhält. (Quelle: Reuters)
Juncker sagte der spanischen Zeitung „El País“, Deutschland führe die EU nicht mit eiserner Hand. Das Beispiel der Griechenland-Hilfe zeige, dass ein solcher Eindruck nicht der Realität entspreche, sagte Juncker dem Blatt. „Es gab mehrere Länder, die (mit Griechenland) viel strenger waren als die Deutschen, nämlich die Niederlande, Finnland, die Slowakei, die baltischen Staaten und Österreich.“
Die Juncker-Kommission amtiert seit gut vier Monaten, es ist der erste Besuch der Kanzlerin bei dem neu zusammengesetzten Spitzengremium. Die Kommission brachte bereits ein ehrgeiziges Wachstumspaket auf den Weg, um Investitionen in Europa mit einem Gesamtumfang von 315 Milliarden Euro anzuschieben.
Damit soll die Wirtschaft angekurbelt werden, die in einer Reihe von EU-Staaten immer noch nicht richtig in Schwung gekommen ist. Zum Abschluss ihres Besuchs in der belgischen Hauptstadt wird die Kanzlerin am Mittwochnachmittag König Philippe treffen. Dies hatte der Königspalast mitgeteilt.