EU-Kommission Margrethe Vestager – die mächtige Frau in Europa

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Mittelmäßige Vorgänger

Es dürfte ihr relativ leicht fallen, sich zu profilieren, hinterließ doch keiner ihrer beiden Vorgänger eine glanzvolle Bilanz. Die Niederländerin Neelie Kroes legte sich zwar ausdauernd mit Microsoft an, vermittelte aber nie den Eindruck, das Thema Wettbewerb intellektuell zu durchdringen.

Der spanische Ökonom Almunia neigte so sehr zur Schwatzhaftigkeit, dass nun der EU-Ombudsmann wegen Äußerungen im laufenden Verfahren zu Euribor gegen ihn ermittelt. Seine politischen Kehrtwenden demotivierten die eigenen Mitarbeiter und ließen die Kommission nicht nur im Fall Google schlecht aussehen.

Vestager hat verstanden, was ihre Generaldirektion, das Heer der Brüsseler Kartellanwälte, aber auch die Öffentlichkeit von ihr erwarten. Sie sagt nun Sätze wie: „Berechenbarkeit ist ein hohes Gut, wenn es um Wettbewerbsentscheidungen geht.“

Bei ihrer Anhörung im EU-Parlament legte sie einen souveränen Auftritt hin. Routiniert antwortete sie auf die Fragen der Abgeordneten, verzichtete im Zweifel darauf, zu viel zu sagen. Auch das zeichnet sie als erfahrene Politikerin aus.

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Im neuen Job wird sie oft Härte zeigen müssen, um sich dem Druck von Konzernen und Regierungen zu entziehen. „Sie hat keine Angst davor, Nein zu sagen“, beobachtet ihre Biografin Elisabet Svane.

Konflikte zeichnen sich schon zu Beginn ihrer Amtszeit ab, auch mit Kommissionschef Juncker. Die Steuerschlupflöcher in Junckers Heimat Luxemburg sind in seiner Zeit als Premier entstanden. Es ist nicht zu erwarten, dass er seiner Wettbewerbskommissarin den Rücken stärken wird, hart gegen die Steuerprivilegien vorzugehen.

Drohende Kollision mit Juncker und Oettinger

Auch bei den digitalen Märkten, die Vestager ausdrücklich als eine ihrer Prioritäten nennt, steuert sie auf eine Kollision mit Juncker sowie mit Digitalkommissar Günther Oettinger zu. Juncker hat im Wahlkampf ein Umdenken bei den Wettbewerbsregeln gefordert, um etwa Fusionen im Telekombereich möglich zu machen.

Auch Oettinger betont in diesen Tagen gerne, dass Europa die großen Player im Telekombereich fehlen. Vestager hält von einer solchen Art der Industriepolitik nichts, bei der Unternehmen auf Kosten der Verbraucher geschützt werden. „Die beste Art, sich auf Wettbewerb im Ausland vorzubereiten, ist zu Hause wettbewerbsfähig zu sein“, lautet ihr Credo.

Ihre liberale Grundeinstellung hat Vestager von ihren Eltern mitbekommen, beide Pastoren und beide Mitglieder von Radikale Venstre. Mit 25 bewarb sich Vestager, damals Beamtin im Finanzministerium, erstmals um ein Parlamentsmandat, allerdings auf einem aussichtslosen Listenplatz. Doch andere von ihren Ansichten zu überzeugen machte ihr so viel Spaß, dass ihr Weg in die Politik vorgezeichnet war. Parteiführerin Marianne Jelved machte sie früh zu ihrer Kronprinzessin, vor sieben Jahren übernahm Vestager den Parteivorsitz, den sie nun mit ihrem Wechsel nach Brüssel abgegeben hat.

Vestager verhalf der Partei, die damals ihre zentrale Rolle als Königsmacherin in der dänischen Politik verloren hatte und unter der Abspaltung ihres rechten Flügels litt, zu neuer Macht. 2011 kamen die Sozialliberalen als kleiner Koalitionspartner der Sozialdemokraten an die Macht. Als Wirtschaftsministerin setzte sie durch, dass Arbeitslosengeld von vier auf zwei Jahre gekürzt wurde.

Hilfe zur Selbsthilfe

Noch in der Opposition war sie treibende Kraft für eine Reform der Frührente. Sie sieht die Rolle des Staates darin, Menschen zur Selbsthilfe zu verhelfen. Die Konsequenz, mit der sie ihre Ziele verfolgt, hat ihr Bewunderung und Abneigung gleichermaßen eingebracht. „Dänen mögen sie oder lehnen sie ab, dazwischen gibt es nichts“, sagt Biografin Svane.

Vestager hat geschickt den Nachrichtendienst Twitter genutzt, um sich als anfassbar darzustellen. Vor dem Abschied aus Kopenhagen buk sie ihren Mitarbeitern in der Parteizentrale Kekse. Das ist dort ebenso nachzulesen wie ihre Kommentare zu gemütlichen Abenden auf dem Sofa mit Mann und Töchtern vor dem Fernseher. Gatte Thomas Jensen wird seinem Job übrigens künftig aus Brüssel nachgehen – er lehrt Mathematik und Philosophie per Internet.

Parteifreunde haben abgestritten, dass die Politikerin das Vorbild für Brigitte Nyborg in der Erfolgsserie „Borgen“ war. Doch die Parallelen sind nicht zufällig. Hauptdarstellerin Sidse Babett Knudsen hat Vestager begleitet, um sich für ihre Rolle vorzubereiten. Das Ergebnis sieht sich Vestager gerne an, den politischen Alltag findet sie akkurat abgebildet. Allerdings mit einer Ausnahme: „Die vielen langatmigen Sitzungen fehlen.“

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