Letzte Chance – vertan: Obwohl die Bundesregierung Steuergerechtigkeit zu einem Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft erklärt hat, verhindert sie weiterhin, dass eine Gesetzesinitiative im Kampf gegen Steuervermeidung großer Konzerne beschlossen werden kann. Es geht um länderbezogene Berichtspflichten für Unternehmen, auch „Country-by-Country-Reporting“ (CBCR) genannt. Damit könnte die EU multinationale Firmen dazu verpflichten, öffentlich zu machen, an welchem ihrer Standorte sie wie viel Steuern zahlen.
Steuervermeidungstricks, so die Hoffnung der Befürworter, würde so ein Ende bereitet. Kritiker hingegen, etwa deutsche Familienunternehmen, verweisen darauf, dass der Vorteil gegenüber dem bereits bestehenden vertraulichen Datenaustausch zwischen den Ländern gering sei – die Veröffentlichung jedoch Wettbewerbern in Asien oder Amerika einen Vorteil verschaffen könnte.
Noch bis Ende des Jahres hat Deutschland die Ratspräsidentschaft inne und kann so maßgeblich die Tagesordnungspunkte in Brüssel setzen. Seit sich auch die neue österreichische Regierung für das CBCR ausspricht, stehen die Chancen gut, die Steuergerechtigkeitsreform endlich auf den Weg zu bringen. Ein perfekter Anlass wäre die Sitzung des EU-Wettbewerbsrats in der vergangenen Woche gewesen.
In einem Brief an die Bundesregierung hatten 18 Europaabgeordnete, darunter Joachim Schuster (SPD) und Sven Giegold (Grüne), genau das gefordert, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete – allerdings ohne Erfolg. Was daran liegt, dass sich mehrere Ministerien innerhalb der Bundesregierung bei diesem Thema einfach nicht einigen können. Finanzminister Olaf Scholz und das Bundesjustizministerium von Christine Lambrecht (beide SPD) haben sich schon vor langer Zeit für CBCR ausgesprochen. Das Wirtschaftsministerium unter Führung von Peter Altmaier (CDU) ist dagegen.
Auskünfte an die Opposition nach dem Copy-Paste-Prinzip
Zu welchen absurden Vorgängen das führen kann, hat nun Fabio De Masi erlebt, der finanzpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. De Masi wollte anlässlich der Ratspräsidentschaft von der Bundesregierung noch einmal wissen, wie sie sich denn nun beim CBCR zu positionieren gedenke. In der Antwort des Finanzministeriums an ihn heißt es dazu unter anderem: „Die Bundesregierung prüft den Vorschlag der Europäischen Kommission für die verpflichtende Offenlegung von länderbezogenen Ertragssteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen. Die Abstimmung in der Bundesregierung dauert an.“
Darüber hinaus seien die Informationen, die De Masi gerne hätte, „wegen des noch nicht abgeschlossenen Willensbildungsprozess in der Bundesregierung nicht vom Auskunftsanspruch des Parlaments umfasst“. Im Bundestagsbüro des Linken-Abgeordneten war man irritiert. Nicht allein wegen der geringen Aussagekraft der Antwort, so etwas ist man leider gewohnt, sondern weil De Masi und seinen Mitarbeitern diese Formulierung nur allzu bekannt vorkam.
Bereits im Frühjahr hatten sie die Bundesregierung nach ihren Plänen für das CBCR gefragt, und in großen Teilen eine wortgleiche Antwort erhalten. Dabei hatte sich die Regierung bei De Masis zweiter Anfrage extra zwei Wochen mehr Zeit für die Antwort erbeten – nur um dann letztlich doch wieder darauf zu verweisen, dass man sich weiter abstimmen müsse.
Kein Fortschritt seit Monaten also. „Die große Koalition blockiert mehr Steuertransparenz in Europa“, folgert und kritisiert De Masi. „Das ist ein Skandal.“ Während der Ratspräsidentschaft müsse die Bundesregierung neutral agieren. „Jetzt wäre die letzte Chance, zu beweisen, dass Europa sich mit den Steuertricks von Amazon, Google und Co. anlegt“, so De Masi weiter.
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Noch besteht die theoretische Chance, dass die EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel das CBCR noch in diesem Jahr auf den Weg bringen. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Dann müsste Portugal das Thema aufgreifen, wenn es zum neuen Jahr den Ratsvorsitz übernimmt.
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