Noch am Tag der Abstimmung war das EU-Referendum in Großbritannien kein Thema in den USA. Auf CNN diskutierte eine Runde über Obamas Einwanderungsreform und den anstehenden Trip von Donald Trump nach Schottland. Dass in Großbritannien zu dem Zeitpunkt schon die Brexit-Abstimmung ausgezählt wurde, bekam der US-Zuschauer schlicht nicht mit.
Als der Brexit feststand,kam die Aufregung. Plötzlich berichteten alle Medien über den Austritt Großbritanniens aus der EU – und die Folgen für die USA.
Drei Themen dominieren die Diskussion in den Vereinigten Staaten: die Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft, auf die politischen Beziehungen zu Europa – und auf die Präsidentschaftswahlen.
Die Wirtschaft
Spürbar sind zunächst vor allem die Folgen für Aktienmärkte und Wirtschaft. Der Dow Jones gab am Freitag über drei Prozent ab, gleichzeitig gewann der US-Dollar innerhalb von weniger als 24 Stunden mehr 14 Cent zum Pfund. Gegenüber dem Euro legt der Greenback deutlich zu.
Das ist eine Entwicklung, die der Wirtschaft gar nicht schmeckt. Seit Monaten ist der US-Dollar auf Höhenflug und macht den Exporteuren das Leben schwer. Schon rufen die ersten nach der Federal Reserve. Die US-Notenbank hatte erst im Oktober 2014 ihr Quantitative-Easing-Programm beendet und wollte nun, so zumindest die Ankündigung im Dezember, auch eine Zinswende einleiten.
„Das ist auf absehbare Zeit passé“, sagt Sebastian Mallaby, Wirtschaftsexperte beim US-Thintank „Council for Foreign Relations“. Die Fed könne nicht zulassen, dass der Dollar weiter steige. „Ich kann mir derzeit sogar vorstellen, dass die Zentralbank die Zinsen wieder senkt und ein neues QE-Programm auflegt, sollte es weitere Verwerfungen auf den Finanzmärkten geben.“
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Die Politik
Politisch ist die Lage komplizierter. Eigentlich wollten sich die USA schrittweise aus Europa zurückziehen. Der Kontinent wirkte stabil, Amerika wandte sich unter Präsident Obama mehr denn je Asien zu. Und nach der Wahl sollte das Augenmerk gen Naher Osten gehen.
Nun befindet sich die Europäische Union in einer veritablen Krise. Und Großbritannien, der wichtigste Verbündete der USA in Europa ist dabei, sich selbst zu verzwergen. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem Russland neue Machtspielchen probt.
„In Moskau wird man genüsslich die Abstimmung verfolgt haben. Großbritannien war mit der größte Verfechter von Sanktionen gegenüber Russland aufgrund der Vorfälle in der Ukraine“, sagt Richard Haass, Chef des „Council for Foreign Relations“ und früherer Berater des Ex-US-Außenministers Colin Powell.