Das sieht auch Angela Merkel so. Doch die Regierungschefin ist in Europa nach den Wahlschlappen der Konservativen in Frankreich und Griechenland zunehmend isoliert, das machte der EU-Sondergipfel deutlich. Die Mehrheit der 27 EU-Staaten denkt und tickt anders als die eiserne Kanzlerin.
Und auch in der Wissenschaft mehren sich die Stimmen, Europa müsse die Sparpolitik lockern und mit Milliarden die Wirtschaft ankurbeln. So erklärte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) pünktlich zum EU-Sondergipfel, dass der Reformprozess in der Euro-Zone zwar begonnen habe, aber durch die Rezession gebremst werde. "Vor diesem Hintergrund wächst die Gefahr eines Teufelskreises, der durch eine hohe und nicht abnehmende Verschuldung, ein schwaches Bankensystem, ein zu starkes Sparen und ein niedrigeres Wachstum in Gang gesetzt werden könnte."
Wachstum durch Strukturreformen
Für die Euro-Pleiteländer sind solche Stimmen eine willkommene Vorlage, um die Forderung nach einem Öffnen der Geldhähne mit neuer Entschlossenheit vorzutragen. Dabei verkennen Hollande, Monti & Co., dass sich Wachstum in erster Linie durch Strukturreformen herstellen lässt, nicht durchs Geldausgeben.
Die Forderungen der Allianz gegen die Euro-Retter
Der temporäre Rettungsschirm EFSF muss wie geplant 2013 auslaufen. Die dauerhafte Nachfolgeeinrichtung ESM darf es nicht geben. Jedes Mitglied der Euro-Zone muss selbst für seine finanziellen Verpflichtungen einstehen. Haftung und Eigenverantwortung gehören untrennbar zusammen.
Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit muss Schwerpunkt von Hilfen sein. Es darf nicht um die Ansprüche privater Gläubiger gehen. Überschuldete Staaten müssen sparen und gezielte Anreize für Investitionen für den Wiederaufbau setzen. Dazu muss der betroffene Staat seine Wirtschaft und Verwaltung wettbewerbsfähig machen. Das erfordert tiefgreifende strukturelle Reformen im Steuersystem und im Sozialversicherungswesen, denn nur so entsteht dauerhaft Wachstum.
Regelverstöße müssen automatisch Konsequenzen haben. Der Klagemechanismus des Fiskalpakts ist ein leeres Versprechen. Es bestehen politisch gewollte Spielräume, um von einer Klage trotz Verstößen gegen verbindliche Haushaltsvorgaben abzusehen.
Sowohl unkontrollierte Zahlungsausfälle als auch dauerhafte Transfers über den ESM müssen vermieden werden. Dazu etabliert die Euro-Zone anstelle des ESM einen Europäischen Umschuldungsmechanismus (EUM). Er erlaubt es der öffentlichen Hand in den Krisenländern, ihre Aufgaben aufrechtzuerhalten, die nationale Budgethoheit zu wahren und einen Ausgleich zwischen Gläubigern und Schuldnern auszuhandeln.
Finanzhilfen dienen lediglich als Ultima Ratio. Sie können zeitlich befristet systemrelevante Kreditinstitute rekapitalisieren sowie zur Einlagensicherung dienen. Die zwangsweise Rekapitalisierung von Finanzinstituten bleibt vorrangig den jeweiligen Sitzstaaten überlassen. Sie kann nötigenfalls durch Finanzhilfen der Euro-Staaten ergänzt werden. Diese erhalten angemessene Gegenleistungen.
Wo alle Maßnahmen nicht genügen, um zu den Finanzmärkten zurückzukehren, muss das Ausscheiden eines Staates aus der Euro-Zone ermöglicht werden. Seine Wettbewerbsposition würde sich durch eine Abwertung schnell spürbar verbessern. Außerdem hilft die Aussicht auf Austritt bei den Verhandlungen der Staaten mit ihren Gläubigern.
Geld- und Fiskalpolitik müssen wieder strikt getrennt werden. Die Europäische Zentralbank hat durch den Ankauf von Staatsanleihen und die Flutung der Geldmärkte mit Mitteln aus den Langfrist-Tendergeschäften ihren Auftrag weit überdehnt. Sie finanziert Staatsdefizite und nimmt Inflationsrisiken billigend in Kauf. Die Geldpolitik muss der Entscheidungsmacht politischer Mehrheiten entzogen und Inflation verhindert werden.
Die EZB muss die Bonitätsstandards für Geschäftsbanken dringend überdenken und für die Target-2-Salden eine untadelige Besicherung sowie eine marktnahe Verzinsung vorsehen. Erstrebenswert ist dazu eine jährliche Ausgleichsverpflichtung nach dem Vorbild des Federal Reserve Systems der USA.
Die Stimmrechte in der EZB müssen den Kapital- und Haftungsverhältnissen entsprechen.
Besonders Deutschland als stärkster Mitgliedstaat muss mit gutem Beispiel vorangehen und den Stabilitätspakt endlich einhalten. Sonst ist er, und sind wir, unglaubwürdig.
"Eine konjunkturelle Delle kann durch Investitionsprogramme abgemildert werden. Ich halte zum Beispiel das Kurzarbeitergeld im Zuge der Konjunkturpakete in der Finanzkrise für einen Erfolg", sagt Freytag. "Aber in vielen Ländern Europas haben wir es mit einer Strukturkrise zu tun. Die großen Probleme sind nicht durch Geld zu lösen, sondern einzig durch Reformen."
7,3 Milliarden gegen die Jugendarbeitslosigkeit
Doch der Ruf nach Lohnsenkungen, der Aufhebung von Berufsbeschränkungen und der Schaffung eines freundlichen Investitionsklima verhallt. Stattdessen wird Europa mehr Geld ins System pumpen. Erste Vorbereitungen dazu wurden am Mittwoch getroffen, endgültige Beschlüsse sollen beim nächsten Spitzentreffen Ende Juni gefasst werden.
So soll das Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg steigen, um mehr Kredite für Projekte wie Stromleitungen zu ermöglichen. Das EIB-Direktorium sei gebeten worden, eine Kapitalerhöhung zu erwägen, sagte Gipfelchef Van Rompuy. EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso schlug vor, mit insgesamt 7,3 Milliarden Euro alleine die Jugendarbeitslosigkeit in bestimmten Ländern Europas zu bekämpfen. Das Geld aus EU-Töpfen solle in die acht Staaten gehen, in denen die Jugendarbeitslosigkeit über 30 Prozent liege: Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Portugal, die Slowakei und Spanien.