Vier Anläufe haben die Staats- und Regierungschefs gebraucht, ehe sie sich am Montagabend auf ein Personalpaket geeinigt haben. Das Team überrascht nicht nur, weil Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen an die Spitze der einflussreichen EU-Kommission rücken soll. Auch andere Personalien waren so nicht erwartet worden.
Zunächst einmal haben die Staats- und Regierungschefs das Prinzip Spitzenkandidat begraben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte schon lange darauf hingearbeitet. Aber zum Wochenende hatte es noch so ausgesehen, dass doch nur ein Kandidat, der im Europawahlkampf angetreten war, Präsident der EU-Kommission werden könne. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dies so am Rande des G20-Treffens im japanischen Osaka angedeutet.
Doch dann kam es anders: Osteuropäische Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien blockierten den Sozialdemokraten Frans Timmermans – genauso wie Italien. Letztendlich gescheitert ist Timmermans aber freilich am Widerstand der europäischen Christdemokraten. Sie akzeptierten nicht, dass der erste Preis, die EU-Kommission, an den zweiten Sieger der Europawahl gehen sollte.
Margrethe Vestager, bisher Wettbewerbskommissarin, und spät erklärte Spitzenkandidatin der drittstärksten Kraft im Europäischen Parlament, den Liberalen, hatte nach dieser Logik genauso wenig Chance auf den Kommissionsposten. Außerdem stieß auch sie auf Vorbehalte in Osteuropa.
Das brachte eine Außenseiterin wie von der Leyen ins Spiel, die Macron zum ersten Mal erwähnt hatte. Es war ein geschickter Schachzug des Franzosen: Er demonstrierte damit, dass seine Vorbehalte dem CSU-Spitzenkandidaten Manfred Weber galten, nicht aber grundsätzlich einem Kandidaten aus Deutschland. Aus der CDU-Fraktion im Europäischen Parlament war ihm zuvor anti-deutsches Verhalten vorgeworfen worden. Das hat er nun entkräftet.
Indem Macron von der Leyen unterstützte, machte er freilich den Weg frei für eine französische Kandidatin für die Europäische Zentralbank (EZB). Er wusste, dass ein Personalpaket nur funktionieren kann, wenn entweder keines der beiden größten EU-Mitgliedsländer einen Posten bekommen oder beide.
Christine Lagarde, bisher Geschäftsführende Direktorin beim Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte bisher betont, dass sie ihre Amtszeit in Washington zu Ende bringen wolle. Dass Frankreich nach Jean-Claude Trichet erneut die Spitze der EZB besetzt, verwundert – zumal noch nie ein EZB-Präsident aus Deutschland kam. Da Frauen im EZB-Direktorium Mangelware sind, konnte Macron sich jedoch durchsetzen – obwohl Lagarde keine Notenbankerin und nicht einmal Ökonomin ist. Die frühere französische Finanzministerin hat einen juristischen Hintergrund.
Das neue Führungspersonal der EU
Für Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen wird es auch eine Heimkehr, wenn sie den Chefposten in der EU übernimmt: Die heute 60-Jährige kam in Brüssel zur Welt und spricht fließend Englisch wie Französisch. Als Tochter des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht war von der Leyens Leben schon früh von der Politik bestimmt. Ihr Medizinstudium schloss sie 1987 ab, sie bekam sieben Kinder und lebte einige Jahre in Kalifornien, wo ihr Mann Heiko an der Stanford-Universität unterrichtete. In die Politik kam von der Leyen, die als extrem diszipliniert und harte Arbeiterin gilt, erst spät, mit 42 Jahren. Sie wurde 2005 zunächst Familien-, 2009 dann Arbeitsministerin. Ihr jetziges Amt in Berlin übernahm sie 2013. Ihre Amtszeit in der Kommission wären fünf Jahre.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, soll die erste Frau an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) werden. Die gebürtige Pariserin, die aus bürgerlichen Verhältnissen stammt und in Le Havre aufwuchs, ist es als frühere französische Finanzministerin und Leiterin einer der einflussreichsten internationalen Institutionen gewöhnt, sich Gehör zu verschaffen. Die 63-jährige gilt als durchsetzungsfähig und mit einem kühlen Kopf ausgestattet. Ihre Amtszeit sind acht Jahre.
Neuer Präsident des Europäischen Parlaments wird der Italiener David-Maria Sassoli. Der Sozialdemokrat wurde am Mittwoch in Straßburg mit der nötigen Mehrheit der Abgeordneten für die nächsten zweieinhalb Jahre gewählt. Danach soll ein Christdemokrat das Amt bekommen, möglicherweise der Deutsche Manfred Weber (CSU). Das wird aber erst zum Ende von Sassolis Amtszeit entschieden. Der 63-jährige Journalist aus Florenz sitzt seit zehn Jahren in der europäischen Volksvertretung in Straßburg. Sassoli erinnerte in seiner Antrittsrede an die Grundwerte der EU. Die Europäische Union befinde sich in einem epochalen Wandel, sagte er. Die Grundwerte müssten verteidigt werden - „innerhalb und außerhalb der EU“.
Der amtierende belgische Ministerpräsident Charles Michel der liberalen Partei Mouvement Reformateur (MR) trat im Dezember mit seiner Minderheitsregierung wegen eines drohenden Misstrauensvotums zurück. Seit der Wahl im Mai gelang es dem 43-jährigen nicht, eine neue Regierungskoalition zu bilden. Seitdem ist der studierte Jurist aus dem französischsprachigen Teil Belgiens auf Jobsuche. In seiner Karriere war Michel meist der Jüngste: Er stieg im Alter von 18 Jahren in die Lokalpolitik ein, errang mit 23 einen Sitz im nationalen Parlament und wurde mit 38 Ministerpräsident. Politik liegt in der Familie: Sein Vater Louis war EU-Kommissar für Entwicklung. Die Amtszeit von Charles Michel liegt bei fünf Jahren.
Josep Borrell ist ein spanischer Politiker und Parteifreund des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez. Der 72-jährige war von 2004 bis 2007 Präsident des Europäischen Parlaments und bis 2009 einfacher Abgeordneter. Bei der Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit Kataloniens war er einer der entschiedensten Verteidiger der Einheit Spaniens. Er studierte an der Universität Madrid Luftfahrttechnik und promovierte später in Wirtschaftswissenschaften. In seiner neuen Rolle wird er auch Vizepräsident der Kommission werden. Seine Amtszeit sind fünf Jahre.
Der Belgier Charlie Michel hat den Posten als Ratspräsident bekommen, weil die Liberalen einen der Topjobs besetzen sollten. Seine Parteifreundin Vestager ist zweifelsohne qualifizierter. Weil sie aber nie Regierungschefin war, konnte sie den Posten im Rat nicht antreten. Michel braucht zudem einen neuen Job: Er ist gerade erst in seinem Heimatland abgewählt worden.
Spanien hatte lange auf einen hochrangigen Posten gepocht, den es nun in Form des Hohen Beauftragten für Auswärtiges bekommt. Josep Borrell gilt als erfahren. Leer gingen dagegen die nordeuropäischen Länder aus. Finnland hatte sich Hoffnung auf die EZB gemacht, nachdem gleich zwei Kandidaten im Rennen waren.
Mit Ausnahme des Ratspräsidenten müssen alle Kandidaten vom Europäischen Parlament gewählt beziehungsweise bestätigt werden. Am Dienstag äußerten Sozialdemokraten und Grüne Kritik an der Personalie von der Leyen. Beide Fraktionen würden lieber einen Spitzenkandidaten wählen. In Brüssel wird jedoch erwartet, dass die CDU-Politikerin im Europäischen Parlament die notwendige Mehrheit erhalten wird. Sie wäre die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission. Genauso wie mit Lagarde zum ersten Mal eine Frau die EZB führt. Wenn sie schon das Prinzip Spitzenkandidat beendet haben, so wollten Merkel und Macron ein Personaltableau erstellen, dass für einen Neuanfang steht.