Norbert Blüm „Wenn Europa untergeht, geht unsere Kasse mit unter“

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Große Ideen für Europa sind gefragt

Auf Macrons Elementarfrage nach institutionellen Reformen, nach einem Europahaushalt nach einer europäischen Sicherheitspolitik, nach einem Minimalbestand europäischer Sozialpolitik, der beispielsweise die Arbeitslosigkeit betrifft, welche die Arbeitslosen auf dem Peleponnes vergleichbar absichert wie die in Wanne-Eickel, folgt unsererseits bedeutungsvolles Schweigen.

Glaubt im Ernst jemand, Europa könnte auch nur einen, der zu den 50 Prozent der Jugendlichen zählt, die in spanischen oder griechischen Regionen arbeitslos sind, hinter dem Ofen hervorlocken, solange nicht deren Zukunft in Europa verhandelt wird? Stattdessen beschäftigen wir uns beispielsweise mit der militärischen Prestigefrage, ob ein europäischer Flugzeugträger gebaut werden soll. Sonst noch was?

„Exotische“ Marginalien beschäftigen die europäische Kommission. Zum Beispiel die Frage wie die Öl- und Essigflaschen in europäischen Gaststätten aufgestellt werden sollen. Die Flaschen werden weiterhin – Gott sei Dank –nach heimatlichen Sitten und Bräuchen auf den Tischen der Gaststätten Europas unterschiedlich platziert, weil zum Beispiel der Beisl nämlich etwas ganz anderes ist als eine Taverne und sich ein Wirtshaus vom Bistro wie die Sonne vom Mond unterscheidet. Selbst in Düsseldorf wird das Bier in andere Gläser ausgeschenkt als in Köln. So bleibt es auch und soll so bleiben.

Außer aus Frankreich kommen auch aus den Mitgliedsländern der EU keine Impulse für einen neuen Aufbruch Europas.

Großbritannien bietet als Alternative den Ausbruch aus der EU an. Deutschland wird europäisch nur wach, wenn es ums Geld geht, ansonsten mosern wir uns durch. Dem österreichischen Bundeskanzler fällt nur Kurzsichtiges ein. Verkleinerung der Kommission und Aufgabe des Straßburger Parlamentssitzes. Das betrifft nur Organisatorisches. Europa ist kraftlos bis gelähmt. Österreich offenbart die eklatante „Kurzsichtigkeit“. Wir wechseln die Reifen, damit wir schneller fahren, aber wissen nicht wohin. So ähnlich klingen viele Reformvorschläge. Europa wirkt erschöpft bis gelähmt.

Ohne große Idee wird Europa im provinziellen Abseits landen, in dem dann die Nationalisten mit großen Phrasen ihren Hexensabbat feiern werden.

Wir haben Macron leer laufen lassen. Einen Macron als Partner kann man sich jedoch nicht jederzeit online bei Amazon bestellen. Wenn die Orbans, Le Pens, Kaczynskis und dergleichen das europäische Konzert bestimmen, wird eine ganz andere Marschmusik gespielt werden.

Deutschland geriert sich als Opfer der Europa-Finanzierung. Dabei sind wir dank des Euros die größten Währungsgewinner.

Europa leidet unter einer eklatanten Asymmetrie. Wenn’s Geld gibt, schreien alle „hier“, wenn Flüchtlingslasten zu verteilen sind, meldet sich von den Geldabholern keiner. Dann pocht jeder Staat auf seinen nationalen Extrastatus. Wenn Banken zu retten sind, reisen die europäischen Staatschef, wenn es sein muss, über Nacht in Brüssel an. Wenn Menschen im Mittelmeer versinken, ist weit und breit niemand von den Staatenlenkern zu sehen.

Hätte die jetzige polnische Regierung vor 2019 Jahren in Ägypten regiert, gäbe es in Polen heute keine Madonna von Tschenstochau, weil das Jesuskind, wie damals alle Kinder unter zwei Jahren, von den Häschern des Herodes umgebracht worden wäre. Die Heilige Familie war eine Asylanten-Familie, die Zuflucht in Ägypten fand.

Europa ohne moralische Idee hat keine Zukunft.

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