EU-Wiederaufbauprogramm „Der nächste Spaltpilz für den Euro“

Quelle: dpa

Die Kanzlerin initiierte mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Wiederaufbauprogramm für die Europäische Union, für dessen Finanzierung die EU Schulden aufnehmen soll. Die Wirksamkeit der geplanten Transferzahlungen aber ist höchst zweifelhaft und dürfte die Unzufriedenheit mit der EU weiter verschärfen, schreibt Thomas Mayer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, in seinem Gastbeitrag.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist für ihre politischen Volten bekannt. Sie führte ihren Wahlkampf im Jahr 2005 als „Maggie Thatcher Deutschlands“ (mit einem designierten Finanzminister, der eine „Flat Tax“ wollte) und endete als Umsetzer links-sozialdemokratischer Politik.

Sie verlängerte zunächst die Laufzeiten von Atomkraftwerken und verkürzte sie nach dem Unfall in Fukushima unter die Vorgabe der Regierung Gerhard Schröders. Sie öffnete 2015 die Grenzen und schloss danach ein Abkommen mit der Türkei, um Migranten fernzuhalten. Und jüngst initiierte sie zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Wiederaufbauprogramm für die Europäische Union, für dessen Finanzierung die EU Schulden aufnehmen soll, nachdem sie während der Eurokrise „Eurobonds“ ausgeschlossen hatte.

Der Soziologe Jürgen Habermas machte in der Welt am Sonntag vom 6. September für die jüngste Kehrtwende der Kanzlerin die AfD verantwortlich. Nachdem die eurokritischen, unverbesserlichen Nationalisten in diese Partei abgewandert seien, brauche die CDU auf diese Wählergruppe keine Rücksicht mehr nehmen und könne ihre Europapolitik nun unbehindert umsetzen.



Wir halten einen anderen Grund für wahrscheinlicher.

Wie eine Studie von Agnieszka Gehringer und den zwei Gastautoren Jörg König und Renate Ohr zeigt, entwickeln sich die Volkswirtschaften der Eurozone seit der Eurokrise auseinander: Die europäische Schuldenkrise bezeichnete das Ende der ökonomischen Integration innerhalb der Europäischen Union und – noch wichtiger – innerhalb der Eurozone, so die Autoren. Angesichts der tiefen strukturellen Unterschiede innerhalb der EU wird die COVID-19-Pandemie diese Desintegrationstendenz möglicherweise noch verstärken. Dadurch wird die Union immer anfälliger für Schocks, wobei die Kosten des Zusammenhalts der Gemeinschaft für die Steuerzahler in den Gläubigerländern zunehmend belastend sind und Zweifel an der Zukunft der Gemeinschaft aufkommen lassen.

Und wie Pablo Duarte vom FvS Institut in einem Kommentar ausführt, wird das reale Auseinanderdriften der EU durch die Coronapandemie enorm verstärkt.


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„Mehr Geld wird die EWU nicht retten“, schreibt Duarte. Die Coronavirus-Pandemie hat die wirtschaftliche Divergenz in der Eurozone auf den höchsten Stand gebracht. Jetzt wird versucht, mithilfe von Finanztransfers die Länder zusammenzuhalten.
Aber die Wirksamkeit dieser Transfers ist sehr zweifelhaft. In der Vergangenheit ist viel Geld der „EU-Strukturfonds“ ohne die erhoffte Wirkung in Ländern mit ineffizienten Verwaltungen versickert. Außerdem haben Transfers das Potenzial, Konflikte zu befeuern, indem sie die Unzufriedenheit mit der heimischen Politik und der EU verstärken, weil nicht alle gleichermaßen davon profitieren.

Angesichts der schwachen öffentlichen Governance-Strukturen in vielen Empfängerländern werden die Transfers höchstwahrscheinlich eher zum Nutzen der Politiker und ihrer Klientel und weniger zur Verbesserung der Produktivität und des Wirtschaftswachstums eingesetzt werden.

Die Europapolitiker mögen nach der „Eurorettung“ vor acht Jahren dem Euro mit dem Wiederaufbaufonds erneut Zeit gekauft haben. Aber die grundlegenden Probleme einer Einheitswährung für einen uneinheitlichen Wirtschaftsraum bleiben ungelöst.

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