EuGH-Generalanwalt zu EZB-Anleihekäufen Das Verbot der Staatsfinanzierung löst sich auf

EZB-Präsident Mario Draghi Quelle: REUTERS

Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat keine Einwände gegen die Anleihekaufprogramme der EZB. Seine lapidare Empfehlung hilft Draghi - und erodiert das Vertrauen in europäische Regelwerke.

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Alles andere wäre eine Sensation gewesen. Der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes, Melchior Wathelet, hat nach Prüfung des Beschlusses der EZB von 2015, Staatsanleihen von Mitgliedsstaaten zu kaufen, „nichts“ gefunden, „was seine Gültigkeit beeinträchtigen könnte“. Mit Erleichterung dürfte man im EZB-Turm in Frankfurt diese Nachricht vernommen haben. Für die deutschen Sparer und Steuerzahler besteht dazu kein Grund.

Die Karlsruher Richter hatten den EuGH um eine rechtliche Bewertung gebeten. Aus ihrer Sicht könnte das Programm das Mandat der EZB überzogen und Zuständigkeiten der EU-Staaten verletzt haben. Vor dem Verfassungsgericht geklagt hatten unter anderem die Euro-Kritiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, einst führende Mitglieder der Partei Alternative für Deutschland (AfD), aber auch der CSU-Politiker Peter Gauweiler und der Ökonom Markus C. Kerber. Letztlich geht es um die Frage, ob der Kauf von Staatsanleihen von Eurozonenmitgliedsstaaten an den „Sekundärmärkten“ (also nicht direkt vom emittierenden Staat) eine Überschreitung des EZB-Mandats bedeute, also als Staatsfinanzierung einzuordnen sei.

Für Nichtjuristen scheint die Antwort klar: Natürlich ist es eine indirekte Form der Staatsfinanzierung, wenn die Zentralbank die Nachfrage nach Schuldtiteln des Staates anheizt, indem sie sich Käufern dieser Papiere als verlässlicher Endabnehmer anbietet. Der Umweg – über die „Sekundärmärkte“ – ändert nichts am Ziel der Staatsschulden: das ist die Bilanz der EZB, für die letztlich die steuerzahlenden Bürger aller Eurozonenländer gemeinsam haften. Seit dem Start des Programms im Sommer 2015 hat die EZB Schuldtitel im Wert von fast 2,6 Billionen Euro in die Bücher genommen. In manchen Monaten kaufte die EZB Schulden im Volumen von 80 Milliarden Euro auf. Seit diesem Monat sind es „nur“ noch höchstens 15 Milliarden monatlich. EZB-Präsident Mario Draghi hat das völlige Ende Programms zum Jahreswechsel angekündigt.

Sachlich zu bestreiten ist das Faktum der monetären Staatsfinanzierung kaum. Aber juristische Argumente müssen eben nicht unbedingt dem entsprechen, was man gemeinhin Menschenverstand nennt, sondern dem, was in Gesetzen und Verträgen steht. Und verboten ist laut „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ ( Art 123 Absatz 1) „der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen [also den Mitgliedsstaaten] durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken“. Dieses Wörtchen – „unmittelbare“ – bietet also die Lücke für den Umweg über die „Sekundärmärkte“.

Wathelet räumt in seiner Begründung außerdem der EZB und den nationalen Zentralbanken einen weitestgehenden Ermessensspielraum ein und beruft sich dazu seinerseits auf eine frühere Aussage des EuGH, wonach: „vom ESZB [dem Europäischen System der Zentralbanken] mit Rücksicht darauf, dass geldpolitische Fragen gewöhnlich umstritten sind und es über ein weites Ermessen verfügt, nicht mehr als der Einsatz seines wirtschaftlichen Sachverstands und der ihm zur Verfügung stehenden notwendigen technischen Mittel verlangt werden ..., um diese Analyse mit aller Sorgfalt und Genauigkeit durchzuführen.“ Diese Sorgfalt sei in den Protokollen der geldpolitischen Sitzungen des EZB-Rates hinreichend belegt. Salopper formuliert: Der EZB-Rat wird schon wissen, was er tut, schließlich hat er „wirtschaftlichen Sachverstand“.

Die Möglichkeit, dass Draghi und seine Mitentscheider in der EZB und den nationalen Zentralbanken neben ihrem wirtschaftlichen Sachverstand auch wirtschaftliche oder politische Interessen haben könnten, scheint für die EuGH-Richter und Generalanwalt Wathelet keine Rolle zu spielen. Welche Interessen das im Falle Draghis sein dürften, kann man in dem demnächst erscheinenden Buch „Die Draghi-Krise“ von Mitkläger Markus C. Kerber ab dem 11. Oktober erfahren. Der Verdacht liegt nahe, dass der ehemalige Präsident der Banca d’Italia an der Aufrechterhaltung des Bankensystems und der Kreditversorgung seines Heimatlandes zu Ungunsten der Sparer und Steuerzahler in anderen Euro-Staaten interessiert ist. Das Anleihekaufprogramm trägt dazu bei.

Mit dem Vorschlag des Generalanwalts sinkt nun also die ohnehin sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Luxemburger Richter ihrerseits Einwände gegen das Anleihekaufprogramm geltend machen. Sie werden in ihrem Gutachten vermutlich ähnlich antworten wie Wathelet es vorschlägt, und damit dem Bundesverfassungsgericht ein gewichtiges Argument liefern für die Ablehnung der Klage von Lucke, Henkel, Gauweiler und Co. Alles andere wäre nicht nur eine Sensation, sondern bedeutete eine beispiellose Delegitimierung der EZB und der gesamten Euro-Rettungspolitik. Für alle, die an dieser leitend beteiligt waren und sind, wäre das eine Katastrophe. Würde der EuGH die Argumentation der Kläger stützen, wären Mario Draghi und alle, die das Anleihekaufprogramm beschlossen haben, unmittelbar angreifbar. Die Währungsunion stünde dann nicht nur vor ihrem selbstversursachten ökonomischen Scherbenhaufen, sondern auch vor einem politischen.

Den totalen und unmittelbaren Kladderadatsch kann eine solche Rechtsprechung vielleicht mittelfristig bannen. Aber das Vertrauen in die einst feierlich gelobten Regeln der Währungsunion kann diese lapidare Rechtfertigung der monetären Staatsfinanzierung nicht wiederherstellen. Das ist ein für alle Mal im Eimer. Man braucht nur wenig wirtschaftlichen Sachverstand um zu ermessen, was das bedeutet.

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