Professor Kerber, die Verfassungsrichter haben sich bei der mündlichen Verhandlung viel Zeit für die Anhörung der Klägeranwälte und der Sachverständigen genommen. Haben die Nachfragen der Richter erkennen lassen, wie sie zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen?
Kerber: Die Richter haben Herrn Asmussen, den Vertreter der EZB, eindringlich und kritisch gefragt, welche Folgen die Anleihekäufe für die Stabilität der Preise haben, welche Belastungen von ihnen für den Bundeshaushalt ausgehen und welche Folgen sie für die Glaubwürdigkeit der europäischen Geldpolitik haben. Anders als im Ersturteil zum Euro-Rettungsschirm ESM vom September vergangenen Jahres ging es auch um das Zusammenspiel zwischen ESM und EZB. Der ESM kann auf dem Primärmarkt Anleihen direkt von den Krisenländern kaufen und diese anschließend auf dem Sekundärmarkt an die EZB weiterverkaufen.
So fließt frisches Geld der EZB über den ESM in die Staatshaushalte der Krisenländer. Dieses geschieht auch, wenn der ESM Hilfskredite an die Krisenländer vergibt und diese durch die Ausgabe eigener Anleihen finanziert. Die Banken können die ESM-Anleihen zeichnen und als Sicherheiten für Geldleihgeschäfte bei der EZB hinterlegen.
In diesem Fall fließt das Geld von der EZB über die Banken an den ESM und von dort an die Staatshaushalte der Krisenländer. Dieser Mechanismus der Staatsfinanzierung, auf den ich in meinem Eingangsplädoyer hingewiesen habe, sollte die Aufmerksamkeit der Verfassungsrichter geweckt haben.
Die EZB hat den Märkten signalisiert, sie werde notfalls unbegrenzt Anleihen der Krisenländer am Sekundärmarkt kaufen. Vor dem Verfassungsgericht hat sie dagegen den Eindruck zu erwecken versucht, das Programm sei quantitativ beschränkt. Was ist nun wahr?
Kerber: Die EZB argumentiert, das Kaufprogramm sei durch die Fokussierung auf Anleihen der Krisenländer mit einer Laufzeit von bis zu 3 Jahren auf rund 524 Milliarden Euro beschränkt. Doch das ist lediglich eine unverbindliche Angabe der EZB. Nichts hindert die Notenbank daran, ihr Kaufprogramm auf Anleihen mit längerer Laufzeit auszuweiten, wenn sie das für nötig erachten sollte. Die EZB beansprucht für sich eine Allmachtposition wie ein souveräner Diktator, der im rechtsfreien Raum agiert. Auch das scheinen die Verfassungsrichter zur Kenntnis genommen zu haben.
"Kaufversprechen der EZB hat Agonie der Euro-Zone verlängert"
Die EZB verweist darauf, dass sie Krisenländeranleihen nur kaufen wird, wenn sich das begünstigte Land Reformen unterwirft.
Kerber: Die Konditionalität, die die EZB immer wieder betont, ist eine Schimäre. Der ESM kann im Rahmen seiner vorsorglichen Kreditlinie Anleihen von Krisenländern kaufen, ohne dass diese Reformauflagen erfüllen müssen. Der ESM muss nur zu dem Ergebnis kommen, das ein Land im Prinzip gesund ist. Anschließend reicht er die Anleihen über den Sekundärmarkt an die EZB weiter. Die Notenbank hat ihr Ankaufprogramm lediglich daran gebunden, dass das Land ein Hilfsprogramm beim ESM beantragt hat und dieser aktiv geworden ist. Zwar gibt die EZB vor, nur solange die Anleihen eines Krisenlandes zu kaufen, wie dieses sich an Reformauflagen hält. Doch was von solchen Reformversprechen zu halten ist, haben wir ja gesehen.
Die EZB weist darauf hin, dass ihr Kaufversprechen die Finanzmärkte beruhigt habe. Ohne das Versprechen wären Krisenländer und Banken vom Kapitalmarkt abgeschnitten worden, was die Euro-Rettung für Deutschland noch teurer gemacht hätte.
Kerber: Man kann es auch anders sehen: Das Kaufversprechen der EZB hat die Agonie der Euro-Zone verlängert. Wer behauptet, die EZB habe Deutschland noch höhere Kosten für die Euro-Rettung erspart, ignoriert die Option, die Deutschland immer hat: Das Euro-Experiment an einem bestimmten Punkt geregelt oder ungeregelt auslaufen zu lassen. Diese Option wird von allen Beteiligten unterschätzt. Die deutsche Bevölkerung steht der Euro-Rettung äußerst skeptisch gegenüber.
Wie werden die Verfassungsrichter am Ende entscheiden?
Kerber: Das Verfassungsgericht lebt davon, dass es von allen akzeptiert wird. Das ist nur der Fall, wenn es Grenzen einzieht ohne den Beteiligten weh zu tun. Die entscheidende Frage ist, was passiert, wenn die Richter feststellen, dass die EZB mit den Anleihekäufen ihr Mandat überschreitet? Können die Verfassungsrichter die EZB dann mit Sanktionen belegen? Das Verfassungsgericht hat für sich immer in Anspruch genommen, Hoheitsakte der Europäischen Gemeinschaft, die über die Ermächtigungen hinausgingen, einzuhegen.
Wenn die Bundesbank der Ansicht ist, dass die Maßnahmen der EZB rechtlich unzulässig und ökonomisch falsch sind, dann muss sie sich der Beteiligung an den Anleihekäufen verweigern. Ein salomonisches Urteil des Verfassungsgerichts könnte der Bundesbank Argumente für eine solche Entscheidung an die Hand geben ohne sie dazu zu zwingen. Viel wird darauf ankommen, wie die Verfassungsrichter ihr Urteil formulieren.