
Sage noch jemand, Griechenlands neue Machthaber seien unerfahrene diplomatische Tölpel! Zwar mögen sich Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis seit ihrem Amtsantritt vor vier Wochen mit ihren nassforschen Auftritten in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten viele Feinde gemacht haben. Doch als es darum ging, durch richtiges Timing in die Offensive zu kommen, lieferten die beiden diplomatische Präzisionsarbeit ab.
Wie sonst soll man sich erklären, dass die Regierung in Athen ausgerechnet am Mittwochmorgen vergangener Woche erklärte, man werde am nächsten Tag einen Antrag auf Verlängerung der Rettungskredite in Brüssel stellen, um den drohenden Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden. Denn am gleichen Tag trafen sich in Frankfurt die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB). Wichtigster Tagesordnungspunkt des Notenbankertreffens: die Ausweitung der Notkredite, die die griechische Zentralbank an die Geschäftsbanken des Landes vergibt. Mit diesen Geldleihgeschäften, bekannt unter dem Kürzel ELA (Emergency Liquidity Assistance), hält die griechische Zentralbank die maroden hellenischen Banken künstlich am Leben. Ohne ausreichende ELA-Kredite ständen die Banken vor dem Kollaps – und Griechenland müsste den Euro verlassen.
Kennzahlen der vier griechischen Großbanken
Anteil notleidender Kredite:
29,7 Prozent des gesamten Kreditvolumens, Ende 2013
Rückstellungen:
39,2 (in Relation zu den notleidenden Krediten, Ende 2013)
Nicht durch Rückstellungen gedeckte notleidende Kredite:
13,8 Milliarden Euro
Eigenkapital:
9,5 Milliarden Euro (hartes Eigenkapital CET1, Ende März 2014)
Bereinigtes Eigenkapital:
4,7 (um Steuerforderungen, Ende März 2014)
Quelle: Fitch
Anteil notleidender Kredite:
41,4 Prozent des gesamten Kreditvolumens, Ende 2013
Rückstellungen:
43,7 (in Relation zu den notleidenden Krediten, Ende 2013)
Nicht durch Rückstellungen gedeckte notleidende Kredite:
17,7 Milliarden Euro
Eigenkapital:
8,9 Milliarden Euro (hartes Eigenkapital CET1, Ende März 2014)
Bereinigtes Eigenkapital:
5,8 (um Steuerforderungen, Ende März 2014)
Quelle: Fitch
Anteil notleidender Kredite:
45,6 Prozent des gesamten Kreditvolumens, Ende 2013
Rückstellungen:
38,8 (in Relation zu den notleidenden Krediten, Ende 2013)
Nicht durch Rückstellungen gedeckte notleidende Kredite:
17,5 Milliarden Euro
Eigenkapital:
8,8 Milliarden Euro (hartes Eigenkapital CET1, Ende März 2014)
Bereinigtes Eigenkapital:
5,4 (um Steuerforderungen, Ende März 2014)
Quelle: Fitch
Anteil notleidender Kredite:
31,77 Prozent des gesamten Kreditvolumens, Ende 2013
Rückstellungen:
46,5 (in Relation zu den notleidenden Krediten, Ende 2013)
Nicht durch Rückstellungen gedeckte notleidende Kredite:
9,1 Milliarden Euro
Eigenkapital:
6,5 Milliarden Euro (hartes Eigenkapital CET1, Ende März 2014)
Bereinigtes Eigenkapital:
2,6 (um Steuerforderungen, Ende März 2014)
Quelle: Fitch
Die Entspannungssignale aus Athen im Schuldenstreit mit seinen Geberländern verfehlten nicht ihre Wirkung. Die Währungshüter um EZB-Chef Mario Draghi beschlossen, den Griechen weitere 3,3 Milliarden Euro Notkredite zu gewähren. Wenige Stunden später trudelte dann der angekündigte Antrag Griechenlands auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms in Brüssel ein. In dem an Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem adressierten Brief kündigt Varoufakis in ungewohnt konziliantem Ton an, Athen stehe zu seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern und sei bereit, mit EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds zusammenzuarbeiten, um eine für alle Seiten akzeptable Lösung im Streit um Reformen und Sparmaßnahmen zu finden.

Mit ihren Notkrediten für marode griechische Banken hat die EZB den reformrenitenten Machthabern in Athen Zeit gekauft. Derweil fördern die Notkredite die Kapitalflucht aus Griechenland und lassen so über das Zahlungsverkehrssystem der Euro-Notenbanken, das Target-System, milliardenschwere Risiken vor allem für die deutschen Steuerzahler entstehen.
Dass Europa den Griechen nachkommt, ist ein schlechtes Zeichen für die Zukunft der Währungsunion. „Jeder Millimeter, den Syriza gewinnt, bedeutet einen ganzen Meter für die Oppositionsparteien in Spanien und Irland“, sagt ein hoher EU-Beamter. In Spanien, wo im Herbst gewählt wird, führt die erst 2014 gegründete Partei Podemos, die sich stark an Syriza orientiert, die Meinungsumfragen an. In Irland, wo im kommenden Jahr Wahlen anstehen, rangieren die Nationalisten von Sinn Féin, einst politischer Arm der Terrororganisation IRA, auf Platz eins vor der Regierungspartei Fine Gael.