Euro-Krise Draghi schanzt Krisenländern billige Kredite zu

Mit Minizinsen versucht die Europäische Zentralbank, eine Deflation abzuwenden und die Krisenländer zu stabilisieren. Damit gefährdet sie den nötigen Schuldenabbau und pumpt neue Spekulationsblasen auf.

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Die alten Herren der EZB
Mario Draghi (Italien)Im September feierte der EZB-Präsident seinen 66. Geburtstag. Damit ist er der Zweitälteste im Direktorium - und auch älter als das Durchschnittsalter, das bei etwa 59 Jahren liegt. Laut US-Journalist Neil Irwin ist das kein Nachteil. Schließlich erfordere der Job viel Erfahrung und Wissen. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jens Weidmann (Deutschland)Er ist mit 45 Jahren der Zweitjüngste im Rat und scheint auf diesem Bild vor Energie nur so zu sprühen. In seiner Antrittsrede sprach er sich für eine klare Trennung von Geld- und Fiskalpolitik aus. Im September 2011 distanzierte er sich von der Krisenpolitik der EZB. Er hielt die eingegangenen Risiken für zu hoch. Waidmann ist übrigens gegen eine Frauenquote: „Ich möchte mehr Frauen in Führungspositionen haben und das möglichst schnell“, sagte Weidmann. „Eine Quote zu setzen, die ich am Ende nicht erreichen kann und Erwartungen zu schüren, die ich nicht erfüllen kann, ist nicht mein Ansatz.” Quelle: REUTERS
Vítor Constâncio (r.) (Portugal)Der Vizepräsident der EZB wird im Oktober stolze 70. Damit ist er der älteste im Rat. Auch wenn das Foto in einem anderen Zusammenhang gemacht wurde, es sieht fast so aus, als könne er das selbst nicht glauben. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jörg Asmussen (Deutschland)Er gehört zu den Küken des EZB-Direktoriums. Im Oktober knackt er die 47. Aber damit liegt er immer noch über zehn Jahre unter dem Durchschnitt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Benoît Cœuré (Frankreich)Der Franzose ist mit seinen 44 Jahren der Zweitjüngste im Rat. Er hat sich gemeinsam mit Jörg Asmussen zum Ziel gesetzt, die EZB transparenter zu machen, so erzählten sie dem Focus-online. Quelle: REUTERS
Peter Praet (Belgien)Der belgische Chefvolkswirt des Direktoriums ist 64 Jahre alt. Lange ist er bei der Vergabe von Top-Ämtern in der europäischen Geldpolitik leer ausgegangen. 2011 nutzte er seine Chance und wurde Direktoriumsmitglied der EZB. Er gilt als idealer Kompromisskandidat zwischen Deutschland und Frankreich. Quelle: dpa Picture-Alliance
Yves Mersch (Luxemburg)Der fast 64-jährige Direktor wurde anfangs gar nicht aufgenommen. Sein Platz wurde sechs Monate für eine Frau freigehalten. Dann gab der Europäische Rat nach. Quelle: dpa Picture-Alliance

Ein Einkauf im Supermarkt kann in diesen Tagen schnell zu einem teuren Vergnügen werden. Wer beim Frühstück nicht am Brotaufstrich sparen will, muss für ein Päckchen Markenbutter fast ein Drittel mehr auf den Tresen legen als vor einem Jahr. Das Glas Milch zum Frühstück kostet 20 Prozent mehr, der Quark ist 13 Prozent teurer. Da dürfte so manchem Bundesbürger der Appetit auf das geliebte Frühstücksbrötchen vergehen. 4,2 Prozent mehr als im Vorjahr müssen die Deutschen derzeit für Nahrungsmittel berappen. Ein Preisschub, der selbst die ordentlichen Lohnzuwächse der vergangenen Monate weit übersteigt. Nur dank der gesunkenen Mineralölpreise gab die Teuerungsrate für die Lebenshaltung im Oktober auf 1,2 Prozent nach, wie das Statistische Bundesamt Anfang vergangener Woche berichtete.

Angesichts des Teuerungsschubs im Supermarkt dürften die meisten Bürger die Diskussion, die derzeit unter Ökonomen tobt, verwundert zur Kenntnis nehmen. Denn die Experten streiten darüber, ob Europa auf eine Deflation, also eine längere Phase sinkender Preise, zusteuert. Anlass dafür ist, dass die Teuerungsrate in der Euro-Zone im Oktober unerwartet kräftig von 1,1 auf 0,7 Prozent gefallen ist.

Als die Europäische Zentralbank (EZB) – sie strebt eine Preissteigerung von knapp unter zwei Prozent an – wenige Tage nach der Bekanntgabe der Miniteuerungsrate sogleich die Leitzinsen herunterschraubte, war die Deflationsdebatte nicht mehr zu stoppen. Für zusätzliche Verwirrung sorgte EZB-Chef Mario Draghi, als er auf Rückfragen erklärte, er könne für Europa keine Deflation erkennen, „wenn man darunter einen sich selbst

Die zehn größten Euro-Lügen 2013
Francois hollande Quelle: dpa
Mario Draghi Quelle: dpa
José Manuel Barroso Quelle: REUTERS
Wolfgang Schäuble Quelle: AP
Martin Schulz Quelle: REUTERS
Antonis Samaras Quelle: dapd
Jean-Claude Juncker Quelle: dpa

erfüllenden Verfall der Preise für eine sehr breite Kategorie von Gütern und über eine breite Zahl von Ländern versteht“.

Was also ist dran an dem Szenario einer Deflation, und welche Folgen hätte es, wenn das Preisniveau tatsächlich sänke?

Bis vor Kurzem noch warnten Ökonomen besorgte Anleger und Sparer vor einer großen Inflation. Die milliardenschweren Liquiditätsspritzen, mit denen die wichtigsten Notenbanken das Weltfinanzsystem seit Jahren stützen, würden sich bald in die Gütermärkte ergießen und die Preise nach oben treiben, hieß es. Tatsächlich hat die US-Notenbank Fed ihre Bilanzsumme durch den Ankauf von Wertpapieren und die damit verbundene Ausgabe von Zentralbankgeld seit der Lehman-Pleite fast vervierfacht. Die Bilanzsumme der EZB hat sich im gleichen Zeitraum verdoppelt, auch wenn sie zuletzt leicht rückläufig war.

Vergabe neuer Kredite stockt

Von der angekündigten großen Inflation ist jedoch bis dato nichts zu sehen. Manche Mahner von einst haben daher eine 180-Grad-Wende vollzogen. „Inflation gibt es nur noch in den Geschichtsbüchern“, sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Vor einigen Jahren hatte der Hamburger Ökonom noch vor Inflationsraten über fünf Prozent gewarnt. „Die EZB alleine kann nicht Inflation erzeugen“, sagt Straubhaar nun. Erst wenn die Geschäftsbanken das Geld der Zentralbank nutzen, um damit Kredite zu vergeben, komme der Stein ins Rollen. „Dann kann Inflation entstehen“, so Straubhaar.

Derzeit ist eine neue Kreditbonanza aber nicht zu erkennen. Vor allem die Banken in den Krisenländern der Euro-Zone halten sich mit der Vergabe neuer Kredite zurück. Im September lagen die Ausleihungen an private Haushalte und Unternehmen um rund zwei Prozent unter Vorjahr. Die für die Preisentwicklung relevante Geldmenge M3 (sie umfasst Bargeld, Sichteinlagen, Termineinlagen, Anteile an Geldmarktfonds sowie Bankschuldverschreibungen) kommt nicht in Schwung. Im September legte sie nur um 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Vielen Banken mangelt es an Eigenkapital, mit dem sie Kredite unterlegen müssen. Zudem fragen die Bürger und Unternehmen in den Südländern wegen ihrer noch immer hohen Schulden und der schwachen Konjunktur kaum Kredite nach. „In Südeuropa ist der Sicherheitspuffer gegen eine Deflation gefährlich dünn geworden“, warnt daher Straubhaar.

Wofür die Deutschen bei der Euro-Rettung haften

Tatsächlich sanken die Lebenshaltungspreise in Spanien im Oktober zum Vorjahr um 0,1 Prozent, in Griechenland gingen die Preise sogar um zwei Prozent zurück. Doch was auf den ersten Blick nach Deflation riecht, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als eine heilsame Korrektur. Denn hinter dem Absacken der Teuerungsrate stecken neben den gefallenen Preisen für Energie insbesondere die gesunkenen Lohnstückkosten in vielen Krisenländern. Seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise haben die Peripheriestaaten mit Ausnahme Italiens ihre Lohnstückkosten nach Berechnungen der Commerzbank um insgesamt acht Prozent gesenkt. Das habe den Unternehmen Spielraum verschafft, die Preise zu senken, nachdem diese in den Jahren vor Ausbruch der Staatsschuldenkrise zu stark gestiegen waren, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. „Die Rückgewinnung preislicher Wettbewerbsfähigkeit hat nichts mit Deflation zu tun und ist uneingeschränkt zu begrüßen“, urteilt Krämer.

Deflation und Depression geht nicht einher

Wer wettbewerbsfähig ist und wer nicht
Platz 57: BulgarienBulgarien wird zurecht als das Armenhaus Europas bezeichnet. Unter 60 Ländern, die die Schweizer Wirtschaftshochschule IMD (International Institute for Management Development) nach ihren wirtschaftlichen Stärken und Schwächen miteinander verglichen hat, landet Bulgarien auf Platz 57 (Platz 54 im Jahr 2012). Damit ist Bulgarien das wirtschaftlich schwächste Land der Europäischen Union. Noch schlechter stehen nur noch Kroatien (Platz 58), das am 1. Juli der EU beitreten wird, Argentinien (Platz 59) und Venezuela (Platz 60) da. Wirklich gut schneidet Bulgarien nur beim Preisniveau ab, da belegt es im internationalen Vergleich Platz vier. In Disziplinen wie Beschäftigungsrate, Arbeitsmarkt, Bildung, Infrastruktur, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Gesundheit und Investments schafft es das osteuropäische Land nicht einmal unter die Top 30. Quelle: dpa
Platz 55: RumänienIm gleichen Atemzug mit Bulgarien wird stets Rumänien genannt. Das Land liegt im internationalen Vergleich auf Rang 55, im Vorjahr schaffte es Rumänien noch auf Platz 53 von 60 im World Competitiveness-Ranking. Von 21,35 Millionen Einwohnern haben 10,15 Millionen einen Job, die Arbeitslosenquote beträgt 6,8 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Rumäniens liegt bei 169,4 Milliarden Euro - im internationalen Vergleich macht das Platz 48 von 60. Beim BIP pro Kopf schafft es das Land mit 16.062 Euro auf Rang 46. Wirklich glänzen kann auch Rumänien nur beim Preisniveau, da landet es auf Platz neun von 60. Die zweitbeste Wertung bekommt das osteuropäische Land für seine Beschäftigungsquote: Hier liegt es im internationalen Vergleich auf Rang 33. Fragt man Unternehmen, was sie am meisten am Wirtschaftsstandort Rumänien schätzen, nennen 78,7 Prozent die offene und freundliche Art der Menschen. Eine kompetente Regierung lobten dagegen nur 11,5 Prozent und ein wirksames Rechtssystem attestierte dem Land niemand. Dafür lobten immerhin 52,5 Prozent der Befragten die Dynamik der Wirtschaft. Quelle: dpa
Platz 54: GriechenlandAuch Griechenland gehört weiterhin zu den Sorgenkindern Europas, konnte sich aber binnen eines Jahres von Rang 58 auf 54 verbessern. Griechenland muss auch 2013 weiterhin daran arbeiten, seinen aufgeblasenen Verwaltungsapparat zu verkleinern und den Finanzsektor wieder auf die Beine zu bringen. Auch in puncto Korruptionsbekämpfung und Steuersystem hat das Land noch einiges an Arbeit vor sich. Dementsprechend rangiert Griechenland, gerade was die Gesamtsituation der heimischen Wirtschaft angeht, auf Platz 60 von 60 Staaten. Auch beim BIP-Wachstum und der Kreditwürdigkeit gibt es nur Platz 60. Allerdings hat sich in Griechenland seit dem letzten Ranking auch einiges verbessert: So konnte das Land sein Image, die Anpassungsfähigkeit der Regierungspolitik und die Staatfinanzen verbessern sowie die Bürokratie verringern. Unternehmen schätzen an Griechenland besonders die gut ausgebildeten Arbeitskräfte sowie das allgemein hohe Bildungsniveau. Quelle: dpa
Platz 46: PortugalBinnen eines Jahres ging es für Portugal im IMD-Ranking von Platz 41 runter auf 46. Jetzt soll die rezessionsgeplagte Konjunktur mit Steueranreizen aufgepeppelt werden. Bei Firmeninvestitionen von bis zu fünf Millionen Euro seien Steuererleichterungen von 20 Prozent möglich, sagte Finanzminister Vitor Gaspar. Die Investitionen in Portugal sind zwar binnen eines Jahres von 10,20 Milliarden Dollar auf 13,79 Milliarden gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt schrumpft dennoch weiter. 2012 betrug der Rückgang noch 1,6 Prozent, 2013 waren es schon -3,2 Prozent. Dafür steht Portugal sowohl bei der technischen als auch der wissenschaftlichen Infrastruktur recht gut da. 71,9 Prozent der ausländischen Unternehmer nennen die portugiesische Infrastruktur den attraktivsten Grund, in das Land zu investieren. Weltspitze ist Portugal bei dem Verhältnis Schüler pro Lehrer und den Einwanderungsgesetzen. Auch bei den Ingenieuren belegt Portugal im Ranking Platz vier. Nur Arbeit gibt es für die Fachkräfte kaum, am wenigsten für junge Menschen (Platz 59 bei Jugendarbeitslosigkeit). Auch die Forschung und Förderung von Wissenschaft und Technik, Fortbildungen, Erwachsenenbildung, Börsengänge und der Export gehören zu Portugals Schwächen. Quelle: dpa
Platz 45: SpanienSpanien ist binnen eines Jahres von Platz 39 auf 45 abgestiegen. Im Jahr 2007 stand das Land noch auf Platz 26 der stärksten Volkswirtschaften. Ein deutsche Hilfsprogramm im Volumen von bis zu einer Milliarde Euro soll die angeschlagene spanische Wirtschaft wieder auf die Beine bringen. Derzeit kämpft Spanien besonders mit seiner hohen Arbeitslosenquote (Platz 60 von 60), den Staatsfinanzen (Platz 59) und seinen Verwaltungsverfahren (Platz 56). Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit, Kapitalkosten, Sprachkenntnissen, dem Bankensektor und der Förderung von jungen Unternehmen steht Spanien mehr als schlecht da. Allerdings ist auch auf der iberischen Halbinsel nicht alles schlecht. So ist beispielsweise der Warenexport Spaniens binnen eines Jahres um 1,7 Prozentpunkte gestiegen. Insgesamt schafft es Spanien in neun Wirtschaftsdisziplinen unter die weltweiten Top Ten: Bei den Zinssätzen belegt Spanien unter 60 Ländern Platz drei, bei der Wechselkursstabilität und den Unternehmenszusammenschlüssen und -übernahmen jeweils Platz sechs, beim Export von Dienstleistungen Platz acht. Sowohl bei den Direktinvestments in die Aktien heimischer Unternehmen als auch der durchschnittlichen Lebenserwartung und grünen Technologien schafft es Spanien auf Platz neun und bei der Bilanzsumme des Bankensektors sowie der Arbeitsproduktivität Platz zehn. Quelle: dapd
Platz 28: FrankreichFrankreich dagegen, das ebenfalls wirtschaftlich zu kämpfen hat, konnte sich um einen Platz verbessern. Von Rang 29 ging es hoch auf 28. Trotzdem muss Frankreich seinen Arbeitsmarkt reformieren, wenn es die Erwerbsquote steigern möchte. Weitere Probleme der Grande Nation sind der stetig zunehmende Brain Drain, also das Abwandern von Fachkräften, das stagnierende Wirtschaftswachstum, die geringe Zahl der Beschäftigten, Arbeitsbedingungen und Wochenarbeitsstunden sowie die Haltung gegenüber der Globalisierung. Zu Frankreichs wirtschaftlichen Stärken gehören dagegen die Vertriebsinfrastruktur (Platz eins von 60), die Energieinfrastruktur und die Gesundheitsausgaben (jeweils Platz zwei) sowie die Direktinvestments in Aktien heimischer Unternehmen, der Export von Dienstleistungen, Investments in ausländische Aktien, die Gesundheitsinfrastruktur und die Zahl der Breitbandnutzer (jeweils Platz vier von 60). Insgesamt schaffte es Frankreich in 40 Kategorien 20 mal unter die Top Ten der Welt. Quelle: dpa
Platz 17: IrlandIrland, dass sonst gerne in einem Atemzug mit Italien und Spanien genannt wird, überholt sogar Frankreich, was die wirtschaftliche stärke angeht. Binnen eines Jahres konnte sich die grüne Insel im IMD World Competitiveness-Ranking um drei Plätze verbessern. Das liegt besonders an den gestiegenen Investments, dem herrschenden Zinssatz, dem Wirtschaftswachstum und der Wechselkursstabilität. Auch bei grünen Technologien hat sich Irland laut der Studie seit 2012 verbessert. Zu den besonderen Stärken des rund 4,6 Millionen Einwohner starken Landes gehören Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Unternehmen sowie deren Haltung gegenüber der Globalisierung, die Telefontarife, Belohnungen und Anreize für Investoren, dementsprechend auch die Anzahl an ausländischen Investoren und die Vergabe öffentlicher Aufträge (jeweils Platz eins von 60.) Schlecht steht es allerdings auch in Irland um die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, sowie das BIP pro Kopf bestellt. Quelle: dpa

Ohnehin ist die Dämonisierung der Deflation, wie sie von keynesianischen Ökonomen betrieben wird, ökonomisch nicht zu rechtfertigen. „In einer Marktwirtschaft werden Fehlentwicklungen durch Anpassungen der Preise korrigiert, dazu gehören auch Preissenkungen auf breiter Front, wenn die Preise zuvor zu stark gestiegen sind“, sagt Stefan Kooths, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Eine Deflation sei daher „nicht der Untergang des Abendlandes“.

Das zeigt das Beispiel Japan. Seit Ende der Neunzigerjahre sind die Verbraucherpreise dort im Schnitt um 0,5 Prozent pro Jahr gesunken. Anders als oft behauptet hat es keine deflationäre Abwärtsspirale gegeben. Statt wegen der sinkenden Preise den Kauf von Gütern aufzuschieben und so die Preise weiter unter Druck zu setzen, strömten die Japaner in die Shoppingmalls. Die Sparquote der privaten Haushalte sank von sieben Prozent im Jahr 2000 auf drei Prozent im Jahr 2011.

Zudem erwiesen sich die Sorgen vor einer steilen Kletterpartie der Realzinsen im Gefolge der Deflation als unbegründet. So lagen die Realzinsen in Japan zwischen 2000 und 2012 bei rund 1,6 Prozent – deutlich niedriger als in anderen Industrieländern (Deutschland: zwei Prozent). Die Gewinne der japanischen Unternehmen stiegen in dieser Zeit trotz rückläufiger Preise. Denn die Arbeitsmarktreformen Ende der Neunzigerjahre hatten die Löhne flexibler gemacht. Sie sanken sogar stärker als die Preise, sodass die Unternehmensgewinne in Relation zum Volkseinkommen zulegten.

Wo in Europa die Milliarden versickern
Der Europäische Rechnungshof hat in seinem Jahresbericht für den Haushalt 2011 massive Verschwendungen der EU angeprangert. Fast fünf Milliarden Euro Steuergelder sind demnach in der europäischen Bürokratie einfach versickert. Die Ausgaben für die Landwirtschaft sind der größte Posten im EU-Haushalt. 2011 hat die Staatengemeinschaft fast 44 Milliarden Euro für die Agrarförderung bezahlt. Von dieser umstrittenen Subvention ist aber längst nicht jeder Euro bei den Bauern und den landwirtschaftlichen Betrieben angekommen. Rund 1,3 Milliarden Euro haben sich praktisch in Luft aufgelöst. Doch es geht noch schlimmer. Quelle: dpa
Der Etat für die Außenbeziehungen, Außenhilfe und Erweiterung ist mit rund 6 Milliarden Euro aus EU-Sicht eher klein. Doch auch hier sind rund 68 Millionen Euro verschwendet worden. Quelle: dapd
Die EU-Ressorts Regionalpolitik, Energie und Verkehr haben es mit dem zweitgrößten Budget von knapp 33 Milliarden geschafft, noch mehr Gelder als die Agrar-Kollegen zu verschwenden. Für den Bereich, den unter anderen der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger zu verantworten hat, hat der Rechnungshof eine der höchsten Fehlerquoten erfasst – und das Loch auf mehr als zwei Milliarden Euro beziffert. Quelle: dpa
Oettinger und Co werden – zumindest prozentual – nur noch von den Kollegen aus dem EU-Fachbereichen Umwelt, Fischerei und Gesundheit getoppt. Fast acht Prozent des mehr als 13 Milliarden Euro schweren Budgets ging verloren – mehr als eine Milliarde Euro. Und der Rechnungshof hat noch weitere schwarze Schafe auf der Liste. Quelle: dpa
Auch aus den Fördertöpfen für die europäische Forschung landete einiges daneben. Rund 318 Millionen Euro kamen nicht bei den auserkorenen Empfängern an. Quelle: dpa
Einziger Lichtblick im Bericht des Rechnungshofes: Bei den Ausgaben für die eigene Verwaltung ging nur vergleichsweise wenig verloren. Bei dem Budget von fast zehn Milliarden Euro versickerten rund zehn Millionen. Quelle: dpa
Mit einem ähnlich hohen Budget haben sich die Ressorts Beschäftigung und Soziales einen Fehlbetrag von 224 Millionen Euro geleistet – ein Bereich, in dem schon kleine Beträge einen großen Unterschied ausmachen können. Quelle: Reuters

Ein verlorenes Jahrzehnt hat es daher für Japan durch die Deflation nicht gegeben. Im Gegenteil: Von 2000 bis 2007 wuchs Nippons Wirtschaft um rund zehn Prozent – ähnlich kräftig wie die deutsche Wirtschaft. Beim Pro-Kopf-Einkommen ließen die Japaner sogar Frankreich hinter sich.

Dass Deflation – anders als von Nachfrageökonomen gerne behauptet – in der Regel nicht mit schweren Wirtschaftskrisen einhergeht, zeigt eine Studie der Federal Reserve Bank von Minneapolis. Die Ökonomen Andrew Atkeson und Patrick Kehoe haben für 17 Länder über einen Zeitraum von mehr als 180 Jahren untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen Deflation und Depression gibt. Sie fanden 73 Deflationsphasen, von denen jedoch 65 ohne Depression verliefen. Nur für die Weltwirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre stellten sie einen signifikant negativen Einfluss der Deflation auf das Wirtschaftswachstum fest. „Insgesamt“, so urteilen die Forscher, „gab es viel mehr Deflationen, die mit kräftigem Wachstum statt mit einer schrumpfenden Wirtschaft verbunden waren.“ Und: „Depressionen sind häufiger mit Inflation statt mit Deflation verbunden.“ Dabei fanden die meisten deflationären Wachstumsphasen unter dem Währungsregime des Goldstandards statt.

Kein Ende der Schuldenspirale

Damit bestätigen die US-Forscher den deutschen Ökonomen Arthur Salz, der 1932 im „Deutschen Volkswirt“, dem Vorgänger der WirtschaftsWoche, schrieb: „Die Wirtschaftsgeschichte lehrt, dass stärkster wirtschaftlicher Verfall in Zeiten steigender Preise fällt und dass wirtschaftliche Blütezeiten gerade durch sinkende Preise charakterisiert sind.“

Warum aber fürchten Zentralbanken und Regierungen dann die Deflation wie der Teufel das Weihwasser und setzen alles daran, dass die Preise weiter steigen?

Der Grund sind die hohen Schulden, die Staaten, Banken, Unternehmen und private Haushalte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aufgetürmt haben. Die Ausweitung des Sozialstaats, umfangreiche keynesianische Konjunkturprogramme und jüngst die milliardenschweren Bankenrettungen haben inden Industrieländern staatliche Schuldenberge aufgetürmt, die größer sind als die Wirtschaftsleistung eines gesamten Jahres. Ein Ende der Schuldenspirale ist nicht in Sicht.

Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik

Dass es überhaupt dazu kommen konnte, ist eine Folge des Papiergeldsystems, das sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgesetzt hat. Anders als im Goldstandard, in dem die Geldmenge an das Edelmetall gebunden war, können die staatlichen Zentralbanken zusammen mit den Geschäftsbanken im Papiergeldsystem Kredite und Geld aus dem Nichts schaffen. Für die Regierungen ist das eine Art Freibrief, die Staatsausgaben hemmungslos auszuweiten und durch neue Schulden zu finanzieren. Daher ist ihr Interesse groß an einer Inflation, die den riesigen Schuldenberg schleichend entwertet.

Käme es hingegen zu einer starken Deflation, würde auch das nominale Bruttoinlandsprodukt nach unten gedrückt. Der Schuldenstand in Relation zur Wirtschaftsleistung schösse dann nach oben. Dazu kommt, dass mit den Preisen die Umsätze der Firmen schrumpften, auf die der Fiskus Steuern erhebt. Zudem ließen sinkende Löhne die Einkommensteuerzahlungen erodieren. In den öffentlichen Kassen klafften dadurch immer größere Löcher, der Schuldenberg schwellte weiter an. Den Regierungen fiele es zunehmend schwer, Kreditgeber zu finden. Denn die steigende Kaufkraft des Geldes veranlasste die Sparer, ihr Geld zu Hause zu horten, statt es in Staatsanleihen zu stecken. Die Folge wären Staatsbankrotte und Bankenpleiten.

Kein Weg an massiver Korrektur vorbei

Niedrigere Zinsen und weitere Liquiditätsspritzen für die Banken werden die Preisblasen weiter aufpumpen – auch an den Börsen Quelle: REUTERS

„Regierungen und Banken wären die großen Verlierer einer Deflation, die sogenannten Eliten, die vom Papiergeldstandard profitieren, würden entmachtet“, sagt Thorsten Polleit, Chefökonom von Degussa Goldhandel. Die staatlichen Zentralbanken werden daher alles tun, um eine Deflation zu verhindern. So wie die Bank von Japan, die angesichts der Überschuldung des Staates die Notenpresse angeworfen hat, um die Wirtschaft zu reinflationieren. Auch EZB-Chef Draghi werde nachlegen, glaubt Polleit. „Die EZB wird den Zins weiter Richtung null Prozent drücken und danach Staatsanleihen kaufen“, prophezeit er. Die Äußerungen von EZB-Chefökonom Peter Praet in der vergangenen Woche deuten bereits in diese Richtung.

Auslöser für eine neue Geldschwemme in Europa könnte die US-Notenbank Fed sein. Fährt sie ihre Anleihekäufe wie angekündigt zurück, dürften höhere Zinsen in den USA Kapital aus Europa anlocken. Das triebe die Zinsen auch hierzulande in die Höhe. Die Hoffnungen auf eine bessere Konjunktur und solidere Staatshaushalte in den Krisenländern wären dann Makulatur. Das dürfte die EZB auf den Plan rufen. Niedrigere Zinsen und weitere Liquiditätsspritzen für die Banken aber werden die Preisblasen weiter aufpumpen – erst an den Börsen, später auch am Gütermarkt.

Doch die Reinflationierung, die die Zentralbanken betreiben, legt die Saat für eine noch viel größere Krise. „Man kann die marktwirtschaftliche Bereinigung des Kreditbooms der vergangenen Jahre durch niedrigere Zinsen und das Drucken von neuem Geld allenfalls aufschieben, aber nicht verhindern“, sagt Polleit. Mittelfristig führe kein Weg an einer massiven Korrektur vorbei, die mit Schuldenschnitten und Deflation verbunden ist. „Je länger man diesen Prozess aufschiebt, desto zerstörerischer wird seine Wirkung“, sagt Polleit.

Ähnliches fürchtet IfW-Ökonom Kooths. „Der Versuch, durch Gelddrucken und Bankenrettung die Gläubiger vor Schuldenschnitten und Deflation zu schützen, untergräbt das marktwirtschaftliche Haftungsprinzip“, so Kooths. Damit aber legen Zentralbanken und Regierungen die Axt an die Wurzeln des Wohlstands.

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