Die jüngsten Wahlen im Euroraum in Portugal und Spanien haben abermals gezeigt, dass wirtschaftlicher Reformeifer sich für die regierenden Parteien politisch nicht auszahlt. Der Zeitraum zwischen dem Beginn der Reformen und den ersten sichtbaren Erfolgen ist bei den vorherrschenden Wahlzyklen von vier Jahren offensichtlich zu lang. Dieses Muster wurde auch schon zuvor in den Wahlergebnissen einer Reihe anderer Länder deutlich.
Regierenden Parteien, die notwendige und ökonomisch auch sinnvolle Reformen vorantrieben, verloren deutlich an Zustimmung und teilweise sogar die Regierungsverantwortung. Somit ist das klare Signal der letzten Wahlen im Euroraum an die regierenden Parteien: Lasst die Reformen sein, die Wähler werden es euch nicht danken - erhöht lieber die Sozialleistungen.
Neun Klischees über die EU – und die Wahrheit dahinter
Die EU gilt vielen als Verwaltungsmoloch. Mit rund 33.000 Mitarbeitern beschäftigt die EU-Kommission in etwa so viele Menschen wie die Stadtverwaltung München.
Seit der Einführung direkter Europawahlen 1979 hat das EU-Parlament deutlich mehr Einfluss gewonnen. Die Abgeordneten bestimmen über die meisten Gesetze mit, haben das letzte Wort beim Haushalt und wählen den Kommissionspräsidenten.
Deutschland leistet den größten Beitrag zum EU-Haushalt. 2012 zahlte Berlin netto 11,9 Milliarden Euro. Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind Dänemark oder Schweden aber noch stärker belastet.
Zehn Jahre nach der Osterweiterung erweist sich die Angst vor dem „Klempner aus Polen“ als unbegründet. Stattdessen wächst die Wirtschaft in den neuen Mitgliedstaaten.
Neue Sanktionen gegen Russland beweisen: Die EU spielt eine Rolle in der Ukraine-Krise - ebenso wie bei anderen Krisenherden in aller Welt. Den EU-Staaten fällt es dennoch oft schwer, in der Außenpolitik mit einer Stimme zu sprechen.
Bereits seit 2009 abgeschafft, lastet die „Verordnung (EWG) Nr. 1677/88“ noch wie ein Fluch auf Brüssel. Die Vorschrift setzte Handelsklassen für das grüne Gemüse fest und gilt als Paradebeispiel für die Regulierungswut von Bürokraten.
In diesem Jahr verfügt die EU insgesamt über mehr als 130 Milliarden Euro. Das ist viel Geld, entspricht aber nur rund einem Prozent der Wirtschaftsleistung der Staaten.
Die Landwirtschaft macht einen sehr großen, aber kleiner werdenden Teil des EU-Haushalts aus. Der Agrar-Anteil am Budget ist in den vergangenen 30 Jahren von 70 auf 40 Prozent geschrumpft.
Die EU-Abgeordneten erhalten monatlich zu versteuernde Dienstbezüge von 8020,53 Euro. Hinzu kommen stattliche Vergütungen etwa für Büros, Mitarbeiter und Reisen. Ein Bundestagsabgeordneter erhält 8252 Euro, ebenfalls plus Zulagen.
Einige der abgestraften Regierungen haben schnell gehandelt. In Spanien und Italien, Portugal und Frankreich hat man die Konsolidierungspolitik deutlich verwässert oder ganz beendet. Stattdessen verlangt man nun mehr Solidarität von Deutschland und erwartet, dass die deutsche Regierung sich mit Forderungen nach wirtschaftlichen Reformen zurückhält. Deutschland soll sich also solidarisch zeigen, ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Die Basis dieser Forderung scheint dabei zu sein, dass ohne mehr Solidarität von Seiten Deutschlands die politische Instabilität im Euroraum weiter zunähme. Nur - aus deutscher Sicht gilt genau das Gegenteil. Je mehr einseitige Solidarität von Deutschland verlangt wird, desto weniger ist die deutsche Bevölkerung zu Zugeständnissen bereit, desto mehr wachsen hier Euro-Müdigkeit und Euro-Skepsis.
Fehlallokationen bei Investitionen
Die ökonomischen Ungleichgewichte und die daraus resultierenden Fliehkräfte innerhalb des Euroraumes sind das größte Problem für den Euroraum. Bislang war die Europäische Zentralbank (EZB) in Lage, diese Ungleichgewichte durch eine extrem expansive Geldpolitik auszugleichen. Die Hoffnung war dabei, dass der südliche Euroraum zur ökonomischen Vernunft kommt und die Phase der niedrigen Zinsen nutzt, um die notwendigen Strukturreformen anzugehen. Bisher hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Vielmehr steigen mit dem Andauern der Niedrigzinspolitik die ökonomischen Kosten.
Bisher profitiert in erster Linie Deutschland mit sehr stabilem Wirtschaftswachstum und geringer Arbeitslosigkeit, was die Ungleichgewichte noch verstärkt. An den Finanzmärkten werden zunehmend Verwerfungen sichtbar, die auf die niedrigen Zinsen zurückzuführen sind. Zudem dürfte es auch immer mehr zu Fehlallokationen bei den Investitionen kommen: Bei den sehr niedrigen Zinsen werden Geschäftsmodelle lohnend, die in einem normalen Zinsumfeld als unproduktiv gelten würden. Der EZB bleibt aber kaum eine andere Wahl, als mit der derzeitigen Politik fortzufahren, denn ein Zinsanstieg könnte in einigen Ländern zu großen Problemen bei den Staatsfinanzen und im privaten Sektor führen.
Aus nationaler Sicht ist es politökonomisch verständlich, dass in einem Teil der EU-Länder die Akzeptanz für Strukturreformen schwindet und mehr Unterstützung von Seiten der wirtschaftlich stärkeren Länder erwartet wird, während gerade in den stärkeren Ländern die Bereitschaft zur Hilfestellung nachlässt - schließlich beruhen deren wirtschaftliche Erfolge in der Regel auf zum Teil schmerzhaften strukturellen Reformen. Die Diskussion macht es deutlich: Dem Euroraum fehlen eine gemeinsame Idee und gemeinsame Ideale. In wirtschaftlich guten Zeiten machte sich das kaum bemerkbar. Nun jedoch, da das konjunkturelle Umfeld rauer geworden ist und die strukturellen Untergleichgewichte immer deutlicher werden, wird es zu einem sehr großen Problem.
Je mehr Zeit verstreicht, desto größer wird das Problem
Bislang habe ich immer gehofft, dass in den entsprechenden Euro-Ländern die ökonomische Anpassung doch noch stattfindet und die wirtschaftlichen Ungleichgewichte sich so auf ein verträgliches Maß einebnen. Aber je mehr Zeit verstreicht, desto größer wird das Problem.
Kann man das Problem noch lösen? Ich bin noch immer der Überzeugung, dass Europa und der Euroraum allen Mitgliedern großen Nutzen bringt und dass man viel Energie in den Erhalt investieren sollte. Aber auf Dauer kann man nicht nur Idealvorstellungen nachhängen. Die Realität ist, dass die EZB alleine durch ihre politischen Optionen den Euroraum langfristig nicht stabilisieren kann. Notwendig wäre eine grundlegende politische Entscheidung - entweder hin zu mehr Reformen oder hin zu mehr Vergemeinschaftung der strukturellen und finanziellen Risiken. Eine solche Grundsatzeinigung scheint aber derzeit nicht erreichbar. Dafür sind die nationalen Interessen zu gegensätzlich.
Gemeinsamkeiten reichen in vielen grundsätzlichen Fragen nicht
Für die kleine Gruppe der wirtschaftlich starken Länder stellt sich letztendlich die Frage, ob es politisch und ökonomisch langfristig vernünftig ist, Mitglied des Euroraums in seiner gegenwärtigen Gestalt zu bleiben. Das Ergebnis dieser Abwägung könnte das Eingeständnis sein, dass das Projekt keinen nachhaltigen Bestand haben kann, weil in vielen grundsätzlichen Fragen die Gemeinsamkeiten nicht ausreichen. Wenn man zu diesem Schluss kommt und es keine tragfähige politische Lösung für den langfristigen Erhalt des Euroraumes gibt, wäre es nur konsequent, wenn Deutschland zusammen mit einigen anderen Ländern beginnt, den Ausstieg zu managen.
Es stimmt nach wie vor, dass aus einer übergeordneten Sicht ein solcher Schritt widersinnig wäre. Das geopolitische Gewicht Europas und damit auch jedes einzelnen europäischen Landes würde schwinden. Die Vorteile, die der einheitliche europäische Wirtschaftsraum gebracht hat und noch bringen könnte, stünden auf dem Spiel. Die Konsequenzen für das wirtschaftliche Wohlergehen können nur negativ sein.
Man muss aber der Realität ins Auge sehen. Zwei bislang eher unwahrscheinliche Szenarien gewinnen in der letzten Zeit zunehmend an Bedeutung. Entweder ein kontrolliertes Ende des Experiments gemeinsamer Währungsraum, am besten mit einer politischen Option für die weitere Entwicklung der unterschiedlichen Ländergruppen, oder ein unkontrolliertes Zerfallen des Euroraums. Das größere, ökonomisch verlustreichere Übel wäre sicherlich der ungesteuerte Zerfall, womöglich im Zuge einer neuen Eurokrise. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Ob es zu einer solchen Entwicklung kommt ist noch offen. Aber man hat den Eindruck, dass viele Beteiligten darauf hinarbeiten.