Eurokrise Portugals steiniger Weg

Steigende Exporte und ein sinkendes Defizit geben Portugal Hoffnung – weitere Hilfskredite braucht es dennoch.

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Luís Febra Quelle: Thomas Meyer

Krise? In der Welt des portugiesischen Mittelständlers Luís Febra kommt dieses Wort nicht vor. „Unsere Auftragsbücher sind randvoll“, sagt der Geschäftsführer von Socem, einer zwischen Lissabon und Porto angesiedelten Unternehmensgruppe. Mit seinen 350 Mitarbeitern produziert und exportiert er hoch komplizierte Metallformen für die Kunststoffindustrie sowie Plastikteile für die Automobil- und Elektronikbranche. Vergangenes Jahr verkauften Febras Unternehmen Waren im Wert von 18 Millionen Euro, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein guter Teil davon ging nach Deutschland.

Die Rezession, der 78 Milliarden schwere Rettungskredit von der Europäischen Union (EU), dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB), die immer neuen Sparrunden der Regierung und das Schreckensvorbild Griechenland – all das spielt für Febra kaum eine Rolle, und vielen seiner Kollegen geht es ähnlich. Socem ist Teil eines Clusters von mehr als 500 Formenbauern im Norden Portugals; die wohl größte Zusammenballung dieses Sektors in Europa. Viele dieser Unternehmen bauen nicht nur Formen, in die ihre Kunden dann den flüssigen Kunststoff gießen, sondern sie fabrizieren auch selbst Plastikteile. Fast alles geht in den Export, vor allem nach Deutschland, Spanien und Frankreich.

Extrem spezialisiert

Gegen die internationale Konkurrenz, die vor allem in Deutschland sitzt, kann Socem sich behaupten. Zwar sind „die deutschen Hersteller meist extrem spezialisiert, weil sie den Kunden nebenan haben“, sagt Febra. Doch aus dem Nachteil, keinen eigenen Markt zu haben, hätten die Portugiesen eine Tugend entwickelt: „Wir sind Chamäleons, arbeiten für mehrere Sektoren gleichzeitig und können uns schnell umstellen“, erzählt der Firmenchef beim Rundgang durch die blitzsauberen, von großen Maschinen und Robotern deutscher und Schweizer Herkunft dominierten Fabrikhallen: „Portugals Markt ist die Welt.“

Diagramm: Die Schere schließt sich Quelle: EU-Kommission

Dass Portugal der Welt mehr als Tourismus zu bieten hat, beweisen nicht nur Firmen wie Socem, sondern auch die Exportstatistik. Die Gesamtausfuhren stiegen 2011 um 15 Prozent, die Exporte nach Deutschland nahmen sogar um 20 Prozent zu. Mittlerweile sind 80 Prozent des Importvolumens durch Ausfuhren gedeckt, das Handelsbilanzdefizit war Ende 2011 auf die Hälfte des Vorjahres geschrumpft. Im Bereich Automobile und Autoteile fuhr Portugal sogar einen Handelsüberschuss ein.

Zu diesen Erfolgen tragen auch deutsche Unternehmen wie Bosch, Volkswagen oder Kirchhoff Automotive bei, die in Portugal Fabriken mit modernster Technologie aufgebaut haben und von dort exportieren. Allein Bosch hat in den vergangenen fünf Jahren 130 Millionen Euro investiert, unter anderem in ein Forschungszentrum für Warmwasserboiler. Bis 2013 will die Gruppe weitere 65 Millionen in ihre portugiesischen Aktivitäten investieren.

Portugal braucht wettbewerbsfähige Unternehmen

Textilarbeiterin in Portugal Quelle: Reuters

Auch Kirchhoff Automotive hat wenig Grund zur Klage über die portugiesische Tochter Gametal. Seit die Iserlohner den Automobilzulieferer 1993 übernahmen, wuchs Gametal im Schnitt jährlich um 15 Prozent. „Im Vergleich zu allen anderen Ländern in Europa sind unsere Lohnkosten sehr wettbewerbsfähig“, sagt Paul van Rooij, Leiter von Gametal. „Nur im extremen Osten von Europa sind die Lohnkosten niedriger.“

Selbst im gehobenen Textilsektor, in dem in den Neunzigerjahren viele deutsche und portugiesische Unternehmen der Löhne wegen ausgewandert waren, kehren sie mittlerweile wieder zurück, sagt Christian Bothmann, Geschäftsführer des Strumpfherstellers Falke in Portugal. Der Mittelständler aus dem Sauerland ist seit mehr als 30 Jahren im Land. Nicht zuletzt die gestiegenen Produktionskosten in China haben die Kalkulation zugunsten von Portugal verändert. „Hier haben sie Qualität, Zuverlässigkeit, Flexibilität, eine große Textiltradition und Nähe zum Markt, was sie unter dem Strich billiger werden lässt“, weiß Bothmann.

Doch Portugal braucht noch viel mehr wettbewerbsfähige Unternehmen, um die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumkurs zu bringen. Jahrzehntelang lebte das Land über seine Verhältnisse, leitete den Großteil seiner Finanzmittel und Arbeitskräfte in die Produktion nicht handelbarer Güter. Das manifestiert sich in den Kreditportfolios der Banken, wo Darlehen an den Staatssektor, an die Bau- oder Immobilienwirtschaft einen viel zu großen Anteil haben. Das zeigt auch die hohe Arbeitslosigkeit von rund 14 Prozent, die nicht zuletzt durch die Sanierung des öffentlichen Sektors weiter steigen wird und nur durch eine Re-Industrialisierung abgebaut werden kann.

Erschreckende Schulden

„Die Verschuldung der öffentlichen Verwaltung sowie der öffentlichen Unternehmen betrug Ende 2011 knapp 236 Milliarden Euro, der private Sektor war im gleichen Zeitraum mit circa 480 Milliarden Euro verschuldet“, rechnet der in Portugal ansässige deutsche Unternehmensberater Stephan Stieb vor. Per Ende 2011 habe die Gesamtverschuldung Portugals somit erschreckende 418 Prozent des BIPs erreicht.

Das auf drei Jahre angelegte Anpassungsprogramm, das Portugals Premierminister Pedro Passos Coelho im Gegenzug zum Rettungskredit umsetzen muss, sieht ab 2013 die Rückkehr zu Wirtschaftswachstum vor – getragen von Exporten und privaten Investitionen. Bis dahin soll die Regierung den aufgeblähten öffentlichen Sektor in großen Teilen umstrukturieren und teilweise privatisieren, die Banken sollen das Verhältnis von Krediten zu Einlagen stark verbessern – und viele andere Wachstumsbremsen sollen verschwinden. Doch ob das so schnell gehen kann – daran zweifeln portugiesische Ökonomen und Unternehmer. „Die Wachstumsvorhersage der Troika für 2013 wird nicht eintreten“, meint auch Ex-Finanzminister Eduardo Catroga.

So klagen Industrieunternehmen ausnahmslos über einen Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Portugals Universitäten bringen zwar gute Ökonomen, Ingenieure oder IT-Spezialisten hervor. Doch „vor allem im mittleren, technischen Bereich hapert es an einer praktischen Berufsausbildung“, sagt Kirchhoff-Automotive-Manager van Rooij.

Vertrauen nicht zurückgewonnen

Portugal Euro Quelle: dpa

Im Gegensatz zu ausländischen Investoren haben portugiesische Unternehmen derzeit auch mit Liquiditätsengpässen zu kämpfen. Da das Rettungsprogramm den Banken des Landes eine Schrumpfkur vorschreibt, haben selbst erfolgreiche portugiesische Exportunternehmen Mühe, ihre Kreditlinien zu halten. Kleinere auf den lokalen Markt konzentrierte Unternehmen können zum Teil keine Aufträge mehr annehmen, weil sie nicht in der Lage sind, die Produktion vorzufinanzieren

Die Regierung von Premier Passos Coelho unternimmt große Anstrengungen, um die mit der Troika vereinbarte Haushaltssanierung und die geforderten Strukturreformen umzusetzen. Sie präsentierte einen Sparhaushalt, kürzte die Gehälter im öffentlichen Dienst und erhöhte die Einkommensteuer. Die Bevölkerung nahm dies trotz Rezession und ohnehin niedrigem Gehaltsniveau fast ohne Murren hin. Laut Troika sind die Chancen recht gut, dass Portugal sein Haushaltsdefizit dieses Jahr auf 4,5 Prozent senken kann – obwohl die Wirtschaft voraussichtlich um mehr als drei Prozent schrumpfen wird.

Weniger Feiertage

Zu den gesunkenen Lohnkosten kommt jetzt noch eine Arbeitsmarktreform. Mit den Arbeitgebern und einer der beiden Gewerkschaften hat sich die Regierung auf sechs Feier- und Urlaubstage weniger sowie auf die Halbierung der Überstundenzuschläge geeinigt. Das soll Portugal im Standortwettbewerb mit Fernost oder Osteuropa helfen. Portugal sei „on track“ bei der Umsetzung des umfangreichen Anpassungsprogramms, bescheinigten die Troika-Vertreter nach der jüngsten vierteljährlichen Überprüfung im Februar.

Dennoch hat das Land das Vertrauen der Anleger am Kapitalmarkt noch nicht zurückgewonnen. Die Rendite auf zehnjährige portugiesische Anleihen liegt bei rund 14 Prozent, ein unhaltbarer Zustand. Ein Schuldenschnitt wie in Griechenland steht zwar derzeit nicht zur Debatte, nicht zuletzt, weil Portugal mit rund 100 Prozent des BIPs eine deutlich niedrigere Schuldenlast hat als Griechenland. Doch dass sich das Land, wie im Kreditprogramm geplant, schon Ende 2013 wieder selbst langfristig am Kapitalmarkt finanzieren kann, scheint derzeit unrealistisch.

Die Hoffnung richtet sich daher auf ein zweites Rettungspaket. Auch die Troika bereitet sich auf die Vergabe neuer Hilfskredite vor: Sofern die Regierung „weiterhin das Anpassungsprogramm strikt umsetzt, haben die Euro-Mitgliedstaaten ihre Bereitschaft erklärt, Portugal zu unterstützen, bis es wieder Zugang zu den Kapitalmärkten hat“, heißt es in der Erklärung der Kreditgeber von Ende Februar.

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