Europa 2017 Wir müssen den Westen vor sich selbst retten

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Vier Aufgaben für die EU

Hierzu vier  Punkte:

Die EU muss zu einem Minimalkonsens zurückfinden, der, wenn nicht von allen, dann doch von einer großen Mehrheit der Mitgliedstaaten getragen wird. Das beinhaltet Rechtsstaatlichkeit, also die Betonung von ‘Checks and balances’: unabhängiger Justiz, Medien etc. Das sollte z.B. im Falle der polnischen Regierung deutlicher als bisher betont werden. Gleichzeitig ist aber wichtig, dass man sich bei dem Konflikt um Flüchtlinge und Migration gegenseitig zuhört, anstatt der jeweils anderen Seite das Europäertum abzusprechen. Noch wichtiger ist aber, dass die EU und ihre Institutionen sich viel stärker als bisher in den Augen der Bürger mit dem Thema Sicherheit verbinden. Beim besseren Schutz der Außengrenzen sind im vergangenen Jahr Fortschritte erzielt worden – das muss auch gesagt werden. Die Kooperation von Polizei und Geheimdiensten muss ein essentieller Teil einer neu aufgestellten EU-Anti-Terror-Politik werden. Schließlich – und genauso wichtig: Die EU muss, möglicherweise in kleineren Gruppen von Ländern, eine echte militärische Interventionskapazität entwickeln.

Welche politischen Momente den Deutschen in Erinnerung bleiben
Jahreswechsel 2015-2016-in-Köln Quelle: dpa
Jan-Böhmermann Quelle: dpa
Joachim-Gauck Quelle: dpa
Streit zwischen Unionsschwestern„Perfekte Merkel“: Das Jahr war geprägt vom erbitterten Flüchtlingsstreit zwischen CDU und CSU. Kaum eine Woche verging, dass Horst Seehofer nicht scharf gegen Merkel schoss. Die Klausur der Unionsspitze in Potsdam im Juni sollte Frieden bringen. Mit der Brexit-Entscheidung der Briten im Nacken und bei lähmender Sommerhitze wollten die Kanzlerin und der CSU-Chef sich annähern. Die Schattenseite: Seehofer wollte sich nicht auf Merkel als gemeinsame Kanzlerkandidatin festlegen. Stattdessen berichtete er von einer Merkel-Figur, die in seiner Modelleisenbahn-Anlage vorkomme. Seine bisherige sei zu groß, entspreche nicht dem Maßstab. Jetzt habe er eine neue - „eine maßstabsgetreue und perfekte Angela Merkel“. Versteht sich von selbst, dass die neue Merkel etwas kleiner ist. Quelle: REUTERS
Beate-Zschäpe Quelle: dpa
Einheitsfeier-in -Dresden Quelle: REUTERS
Angela-Merkel Quelle: dpa

Die beginnenden Brexit-Verhandlungen sollten so konstruktiv wie möglich geführt werden. Das Endergebnis wird wahrscheinlich eher einem Freihandelsabkommen (wie z.B. CETA mit Kanada) ähneln als einer weiteren Mitgliedschaft der Briten im Binnenmarkt. Das sollte aber begleitet werden von einer fest institutionalisierten Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und besonders der Terrorbekämpfung. Auf jeden Fall verhindert werden muss ein ‘dirty Brexit’  - also ein Austritt ohne Abkommen, unter Verletzung internationalen Rechts.

Gegenüber der neuen US-Administration, die ja nicht nur aus Donald Trump besteht, sollten die Europäer zwei Dinge kombinieren: Eine demonstrative Erhöhung der Verteidigungshaushalte – nur 5 der 28 NATO-Mitglieder erfüllen das selbst gesteckte Ziel von Ausgaben in Höhe von 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Und in den Wirtschaftsbeziehungen müssen die Europäer selbstbewusst betonen, wie wichtig der europäische Markt für US-Exporte ist und wie viele Arbeitsplätze europäische Investitionen in den USA schaffen. Vor allem aber: Auch das Amerika Donald Trumps braucht Bündnispartner, wenn es wieder ‘great’ werden soll.

Um schließlich mit dem wachsenden Populismus zurecht zu kommen, ist ein Bündnis aller ‘Etablierten’ gegen die Demagogen nicht immer das beste Mittel, weil man ihnen dadurch erst eine Aufteilung in Eliten und ‘das Volk’ erleichtert. Es gibt doch weiter Unterschiede zwischen Mitte-Links und Mitte-Rechts: in der Wirtschaft, bei der Sicherheit und in Fragen kultureller Identität und ‘political correctness’. In einigen EU-Mitgliedsländern sind Populisten schon an der Macht, andere werden folgen. Sie werden so oder so ihre Wähler irgendwann enttäuschen: entweder indem sie über die Jahre eine differenziertere Politik machen als versprochen, oder indem sie scheitern.

Das vor uns liegende Jahr kann also wirklich über die Zukunft des Westens entscheiden. Er ist schwächer als je zuvor in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten. Aber wenn Europäer und Amerikaner 2017 ein paar Dinge richtig machen, dann kann die Katastrophe noch verhindert werden. Denn wie eine Welt ohne einen starken Westen aussieht, das kann man derzeit in Aleppo beobachten.

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