Szenario 2: Streit um Abwicklungsregeln
Eine schnelle und umfassende Aufräumaktion ist für Banken jedoch nicht unbedingt attraktiv, da eine Anerkennung der Verluste durch notleidende Kredite für manche Institute die Insolvenz bedeuten könnte. Einige Regierungen wollen deshalb ihrem heimischen Bankensektor durch einen staatlichen Bail-out helfen, was aber mit Inkrafttreten des Abwicklungsmechanismus verboten wurde. Ein Verstoß gegen das Verbot könnte zum offenen Streit zwischen Regierungen und europäischer Aufsicht führen.
Wenn bei einigen Akteuren der Eindruck entsteht, einzelne Länder hielten sich nicht an das Prinzip „gleiche Regeln für alle“, kostet das wertvolles Vertrauen. Es würde dann auch nicht zu einem langfristigen Kompromiss aus Risikoteilung und Risikoreduzierung kommen – die Bankenunion bliebe unvollendet.
Ein Scheitern der Bemühungen, die Bankenunion weiter voranzutreiben, ist aus zwei Gründen gefährlich: Erstens würde ein Kräftemessen zwischen Regierungen und europäischen Institutionen den Abbau von notleidenden Krediten zusätzlich bremsen und ein schwacher Bankensektor die Wirtschaft weiterhin belasten. Zweitens stellt sich ohne den Ausbau der Bankenunion bei der nächsten Krise in einigen Ländern wieder die Frage nach der Schuldentragfähigkeit.
Szenario 3: Ausnahmen unter Auflagen
Die obligatorische Beteiligung der Gläubiger und Eigner schützt zwar den Steuerzahler, birgt aber auch Risiken: Da sich Banken gegenseitig Geld leihen, kann die Insolvenz einer Bank Verluste bei der nächsten Bank verursachen. Auch das neue Regelwerk schließt diese Ansteckungsgefahr nicht aus.
Die fünf großen Baustellen der EU
Die Folgen des globalen Finanzbebens 2008 spalten Europa bis heute - wirtschaftlich und politisch. Während europäische Statistiker für Deutschland zuletzt auf 4,2 Prozent Arbeitslosigkeit kamen, waren es für Griechenland 23,5 Prozent. Das überschuldete Land will finanzielle Freiräume, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei einem Südgipfel holte sich Athen jetzt Rückendeckung von Italien und Frankreich. Nicht nur deutsche EU-Politiker fordern strikte Sparsamkeit und reagieren gereizt. Aber auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern meint, der Sparkurs sei die eigentliche Ursache für die zunehmend antieuropäische Stimmung.
Der Zustrom von Hunderttausenden reibt die Gemeinschaft politisch auf. Hier verlaufen die Risse nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West. Beschlossen ist eine Verteilung von bis zu 160.000 Asylsuchenden aus den Anlandestaaten Italien und Griechenland in der EU. Erledigt waren aber bis Juli gerade einmal gut 3000 Fälle - 2213 Schutzsuchende aus Griechenland und 843 weitere aus Italien.
Die EU-Kommission drängelt, doch vor allem die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen weigern sich. Stattdessen verlangen sie schärferen Grenzschutz. Das trieb nun offenbar Asselborn zu seiner Breitseite gegen die Regierung in Budapest. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ (Dienstag). Die Grenzzäune würden immer höher. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“
Die islamistischen Anschläge in Frankreich, Belgien und zuletzt auch in Deutschland haben Lücken bei Absprachen und Austausch offenbart. Die Verunsicherung ist groß, die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit laut. Und es gibt Querverbindungen zum Flüchtlingsstreit: Vor allem nach den Anschlägen eines mutmaßlichen Afghanen in Würzburg und eines Syrers in Ansbach im Juli sehen sich die Gegner eines großzügigen Asyls bestätigt. EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert jetzt eine lückenlose Erfassung aller, die in die EU einreisen.
Die vielfältigen Krisen schwelen seit langem, doch es war das Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU vom 23. Juni, das daraus eine Existenzkrise für die Union machte. Wird der Ausstieg tatsächlich vollzogen, verliert die Gemeinschaft ihre drittgrößte Wirtschaftskraft, den zweitgrößte Nettozahler und ein diplomatisches Schwergewicht im UN-Sicherheitsrat. Sie wird also kleiner und schwächer. Vor allem aber macht der Schritt EU-Gegnern allerorten Mut, auch in den Gründerstaaten Niederlande, Frankreich und Italien. Denn bei allen Sollbruchstellen scheint die EU fast gespenstisch geeint in populistischer Feindseligkeit gegen Brüssel.
Die simple These, die Eurokraten seien verantwortlich für alles Übel auf dem Kontinent, überdeckt einen Machtkampf der Institutionen: Was darf die EU-Kommission bestimmen? Wie viel Einfluss hat das Parlament? Und worüber entscheiden allein die Einzelstaaten? Über möglichst viel, meinen die Osteuropäer. Die Kommission solle sich zurückhalten, denn die „wirkliche Legitimität“ liege bei den Mitgliedsländern und Parlamenten, sagt Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka. Wie nervös die EU-Exekutive ist, zeigt der Streit um die Abschaffung der Roaming-Gebühren: Nach Murren aus Parlament und Mitgliedstaaten kassierte Kommissionspräsident Juncker flugs den Plan, die Streichung der Zusatzgebühren für Handytelefonate im EU-Ausland auf 90 Tage zu befristen.
Einzelnen Mitgliedstaaten wäre es daher gestattet, ihre Banken auf eigene Kosten und unter strengen Auflagen zu sanieren, um mit den Altlasten der Krise abzuschließen. Eigner und Gläubiger würden an den Verlusten in diesem Fall nur in geringem Maße beteiligt. Banken in Krisenländern könnten dadurch die Wirtschaft wieder mit ausreichend Krediten versorgen. Der Preis dafür wäre wiederum eine höhere Staatsverschuldung.
Ob es nach solchen Ausnahmen zum Ausbau der Bankenunion kommt, hängt davon ab, inwieweit die Mitgliedstaaten darauf vertrauen, dass nach dem Abbau der Altlasten dann wirklich gleiche Regeln für alle gelten. Die europäische Aufsicht und die Kommission sind dabei in einer schwierigen Mittlerrolle: Den Krisenländern müssen sie Wege aufzeigen, die eine großangelegte Säuberung der Bankbilanzen auch im neuen Regelwerk ermöglichen. Wirtschaftlich starke Länder fordern dagegen, dass die Abwicklungsregeln auch gegen politische Widerstände durchgesetzt werden. Die Kritik an der Erlaubnis der Kommission, mehrere italienische Banken mit Steuergeldern abzuwickeln und in einem Fall sogar zu retten, zeigt, dass bisher wenig Einigkeit darüber herrscht, wie die weiterhin anfälligen Bankensysteme in Europa stabilisiert werden sollen.