An einem Samstagmorgen hat Maurizio Morini in die Bar der Eataly-Niederlassung in Bologna gebeten, um die politische und wirtschaftliche Misere zu erklären. Morini ist Generaldirektor des Cattaneo-Instituts, eine Art italienisches Allensbach, und der Ort ist kaum zufällig gewählt. Eataly ist die einzige italienische Neugründung des vergangenen Jahrzehnts, die Kunden wie Investoren wie internationale Märkte überzeugte. Die Kette vertreibt Erzeugnisse italienischer Genussmanufakturen weltweit und gilt als Aushängeschild für eine konzertierte Aktion aus Unternehmertum, Politik und Gesellschaft. Für Morini ist das ein Beispiel, was klappen könnte, würde Italiens Elite sich zusammenreißen.
Italiens große Baustellen
... bedeuten einen historischen Rekord.
... Haushaltskürzungen für EU-Forderungen.
... Steuerausgaben zur Bankenrettung.
„Es fehlt insgesamt“, sagt Morini und nippt an einem Gemüse-Smoothie, der unter globalisierungsbeseelten Italienern den Espresso als Morgengetränk abgelöst hat, „an einer politischen und wirtschaftlichen Vision für Italien.“ Stattdessen zerfalle das Land in unzählige Lager. „Und jedes pflegt Partikularinteressen“, schimpft er. Gerade erst hat sich von Renzis und Gentilonis sozialdemokratischer PD der linke Flügel abgespalten, der nun die Interimsregierung mit sehr linken Wirtschaftspolitikideen erpresst.
Sachpolitik, schimpft Morini, gebe es schon lange nicht mehr. Kulissenpolitik, die ist angesagt. „Die Deutschen hatten irgendwann die Vision des Mittelstands, der die deutsche Wirtschaft weltweit einmalig macht. Das haben wir versäumt.“ Manchmal fragt sich der Professor, ob das zu drehen ist. Die Politik hat die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vernachlässigt, die Wirtschaft wurde schwächer, die Menschen verloren Arbeit, wandten sich von der Politik ab, was die nutzte, um sich erst recht mit sich selbst zu beschäftigen. Ein Teufelskreis.
Morini hat sich nach dem Referendum im Dezember mit den Nein-Wählern beschäftigt und stieß auf überwiegend ökonomisch Abgehängte – unabhängig vom Bildungsgrad. „Denen ist egal, worum es bei Wahlen geht. Sie werden protestwählen, bis sie einen materiellen Fortschritt für sich sehen.“ Er fürchte, dass ein großer Teil davon bereit sei, Demokratie gegen wirtschaftliche Vorteile einzutauschen. Eine Rezession bürgerlicher Werte: „Demokratische Teilhabe funktioniert nur über die Wiederherstellung wirtschaftlicher Teilhabe.“ Nur ist das damit so eine Sache. Wer etwas teilen will, muss etwas haben.
In Italien aber beträgt die Staatsverschuldung 2,2 Billionen Euro, nach den USA und Japan ist das in absoluten Zahlen die dritthöchste öffentliche Verschuldung weltweit. Das Haushaltsdefizit droht laut EU-Kommission 2018 auf 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu steigen. Die Arbeitsproduktivität liegt sechs Prozent, die Investitionen liegen 28 Prozent unter den Werten von vor zehn Jahren. „Die Reformdynamik hat seit Mitte 2016 abgenommen“, moniert die EU-Kommission. „Italiens Wachstum lag in den vergangenen 15 Jahren nahe bei null Prozent gegenüber einem Wachstum von rund 1,2 Prozent im Rest der Euro-Zone.“ „20 Prozent der Firmen“, warnt Vicenzo Boccia, Chef des Industrieverbandes Confindustria, „können global mithalten, aber 60 Prozent haben wegen der Krise ungenutztes Potenzial, und 20 Prozent stecken in großen Problemen.“