Europa-Schule Brüssel Wo Ursula von der Leyen, Boris Johnson und Thomas Rabe zur Schule gingen

Hoher Politbesuch an der Europa-Schule in der Chaussée de Waterloo im Jahr 1962. Quelle: imago images

Was haben die künftige EU-Kommissionspräsidentin, der mutmaßlich künftige britische Premier und der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann gemeinsam? Sie alle lernten in Brüssel. An einer Europa-Schule.

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Kaum war Ursula von der Leyen Anfang des Monats als nächste Kommissionspräsidentin nominiert, trudelten bei ihr die Glückwünsche ein. Einer kam per Twitter von den Europa-Schulen aus Brüssel. Der Stolz über den unerwarteten Karriereschritt der einstigen Schülerin war unverkennbar. Bis zum Jahre 1971 besuchte von der Leyen die Europa-Schule in Uccle, einem Stadtteil im Süden Brüssels – wie nach ihr Boris Johnson, der sich anschickt, britischer Premier zu werden und Thomas Rabe, der seit 2012 den Medienkonzern Bertelsmann leitet.

An der Chaussée de Waterloo, wo sich zu Unterrichtsbeginn und nachmittags die Schulbusse stauen, hat sich seit von der Leyens Zeiten einiges geändert. Früher wurde nur in den vier Sprachen der Gründerstaaten unterrichtet: Deutsch, Französisch, Niederländisch und Italienisch. Heute existieren acht Haupt-Sprachabteilungen und jedes Kind hat Anspruch auf Unterricht in der Muttersprache.

Noch immer gilt allerdings das Prinzip Mehrsprachigkeit: In Europa-Stunden müssen Kinder von früh an eine Fremdsprache sprechen. Bei von der Leyen war es Französisch, damals auch auf dem Schulhof die Lingua Franca. Von der Leyen ist das anzumerken, bis heute kommt ihr Französisch leicht über die Lippen. Von Boris Johnson ist bekannt, dass er ebenfalls exzellent Französisch spricht – und nur so tut, als beherrsche er es nicht.

Die erste Europa-Schule wurde 1958 gegründet, um die Kinder von Beamten der Europäischen Gemeinschaft zu unterrichten. Aus einem Standort in Brüssel sind mittlerweile vier geworden, eine fünfte Schule soll auf dem früheren Nato-Gelände im Stadtteil Evere entstehen. Mit den Erweiterungsrunden der EU ist das EU-Personal gewachsen und somit die Nachfrage nach den Plätzen an den Schulen. Die Nachfrage ist so groß, dass die Europa-Schulen aktuell nur Kinder von EU-Mitarbeitern und Diplomaten aufnehmen können. „Aus pädagogischen Gründen bedauern wir das“, sagt Andreas Beckmann, stellvertretender Generalsekretär der Europa-Schulen.

Zu von der Leyens Zeiten besuchten noch viele Gastarbeiterkinder die Europa-Schule in der italienischen Sektion, und auch in der deutschen Abteilung fanden sich nicht nur Akademikerkinder. Heute bleiben Kinder aus wohlsituierten Familien unter sich, und die Abi-Fahrt geht schon mal nach Kuba. „Fast hundert Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten beginnen ein Hochschulstudium“, sagt Schuldirektor Brian Goggins.

Der Anspruch an die Absolventen ist hoch. Nach zwölf Jahren sollen sie zwei weitere Fremdsprachen so gut wie ihre Muttersprache beherrschen. Ab der achten Klassen werden Fächer wie Erdkunde oder Geschichte in der ersten Fremdsprache unterrichtet. „Am Schluss habe ich nur noch Deutsch, Mathe, Philosophie, Bio und Physik auf Deutsch gelernt“, erzählt David, der 2016 an einer Brüsseler Europa-Schule Abitur gemacht hat und heute auf Englisch in Maastricht studiert. Als ihn sein Vater vor der Geographie-Prüfung abfragte, kannte er die Fachbegriffe vor allem auf Französisch.

Schüler aller 28 EU-Nationen lernen auf den Europa-Schulen nach einem gemeinsamen Lehrplan, der alle zehn Jahre überarbeitet wird. Geschichte wird aus einem europäischen Blickwinkel gelernt, und nicht etwa aus einem deutschen. „Den zweiten Weltkrieg haben wir in vier Wochen behandelt“, erinnert sich David. „In Deutschland wären das wohl eher zwei Jahre gewesen.“

Gerade weil Lehrer nicht den Lehrplan abspulen können, den sie von zu Hause gewohnt sind, sondern neuen Stoff vermitteln müssen, fällt es den Europa-Schulen gar nicht so leicht, Personal zu rekrutieren. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich dafür eingesetzt, dass Lehrer attraktive Gehälter bekommen. Oettinger sieht die Schulen als Teil eines Pakets für EU-Beamte. Weil die-EU Kommission nicht mit den Gehältern im Privatsektor mithalten kann, will sie mit Extras wie attraktiven Schulen für Kinder punkten.

Ein Problem wird Oettingers Entscheidung allerdings nicht abstellen können: Der Mangel an britischen Muttersprachlern. Die Briten schicken seit Jahren weniger Lehrer an die Schulen in Brüssel, mittlerweile sind es nur noch 50. Vor neun Jahren dagegen unterrichteten noch 250 Briten. Nach dem Brexit werden die Entsendungen wohl im Jahr 2021 endgültig enden. Dann müssen sich die Schüler mit Iren und Muttersprachlern aus anderen Weltgegenden mit europäischen Pässen begnügen. Mancher Beamte stört sich jetzt schon, wenn sein Nachwuchs nicht im Englisch der Queen unterrichtet wird. Eine Mutter habe sich über ihren Akzent beschwert, erzählt eine neuseeländische Lehrerin. Sie habe genüsslich dem Akzent der Mutter gelauscht. Die war Amerikanerin.

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