Was sind die Vorteile des Binnenmarkts aus ökonomischer Sicht? Wenn Schranken zwischen Ländern fallen, können produktivere Unternehmen Marktanteile von weniger produktiven Unternehmen im Ausland übernehmen. Schärferer Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und mehr Auswahl. Ein größerer Heimatmarkt ist gleichzeitig ein Vorteil für Unternehmen, die von Skaleneffekten profitieren können.
Nationale Regierungen gehen den weiteren Ausbau des Binnenmarkts allerdings mit einem schwachen Ehrgeiz an. Im Sommer konstatierte die EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten im Schnitt acht Monate länger als erlaubt gebraucht haben, um Binnenmarktrichtlinien umzusetzen. Ein Jahr zuvor lag der Verzug nur bei fünfeinhalb Monaten. Seit 2008 liegt der Anteil der Binnenmarktrichtlinien, die gar nicht umgesetzt werden, bei über einem Prozent. Regelmäßig muss die EU-Kommission Länder vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, damit überhaupt etwas passiert.
Vor allem bei den Dienstleistungen versuchen Regierungen, heimische Anbieter zu schützen. Deutschland, aber auch Frankreich, Österreich und Italien halten trotz Dienstleistungsrichtlinie die Eingangsbarrieren hoch. Schwedische Architekten beispielsweise können in Deutschland nur arbeiten, wenn sie eine von drei explizit genannten Universitäten besucht haben. Die Einschränkung ist schwer nachvollziehbar angesichts der hohen Standards im schwedischen Baugewerbe.
Neue Hindernisse
Niemand hindert Regierungen daran, neue Hürden aufzubauen. „Die EU-Kommission hat zu wenig qualifizierte Mitarbeiter, um die nationale Gesetzgebung auf neue Hindernisse abzuklopfen“, sagt John Springford vom Centre for European Reform in London. Dies erklärt, weshalb in den alten EU-Staaten 94 Prozent aller Dienstleistungen von einer inländischen Firma erbracht werden.
Als hätte die EU-Kommission schon gar keine Lust, sich mit den Mitgliedstaaten anzulegen, fallen die Initiativen aus Brüssel relativ kraftlos aus. „Die Kommission zeigt die Dringlichkeit nicht auf“, kritisiert Riccardo Perissich, früherer Generaldirektor Industrie der EU-Kommission.
Mario Monti, mittlerweile scheidender Regierungschef Italiens, hatte im Februar noch einmal einen Anlauf gemacht, um den gemeinsamen Markt auf der politischen Agenda zu platzieren. Gemeinsam mit elf Regierungschefs etwa aus Großbritannien, Spanien und Polen entwickelte er einen Fahrplan für die nächste Stufe des Binnenmarkts. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Brief übrigens nicht unterzeichnet.