Die Wahrheit über den Zustand der Europäischen Union erfährt man noch am ehesten von den politischen Außenseitern. Ausgerechnet Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National (FN) in Frankreich spricht zum Thema Griechenland und der Krise der Europäischen Union aus, was niemand aus der europäischen Führungsmannschaft zu sagen wagt. "Wir haben ein paar Monate Aufschub gewonnen, aber das Problem wird zurückkommen. Heute reden wir über den Grexit, morgen wird es der Brexit sein und am Tag nach dem Morgen der Frexit”. Le Pen hat Recht.
Die Griechenlandkrise wird zurückkommen, unabhängig vom Ausgang des jüngsten Verhandlungsmarathons und des geplanten Referendums. Die grundsätzlichen Probleme des Landes bleiben. Griechenland leidet an einem eklatanten Mangel an Wettbewerbsfähigkeit, einem ineffizienten Steuersystem, einer unfähigen und marktwirtschaftsfeindlichen politischen Klasse und einer nicht zu tragenden Schuldenlast.
Selbst nach einem weiteren Schuldenschnitt bliebe Griechenland ein ewiger Patient, dessen Staats- und Haushaltsführung allmählich das Verhältnis der EU mit ihren armen, aber reformeifrigen und eigenverantwortlichen östlichen Mitgliedsländern vergiftet. Griechenland braucht eine Schocktherapie. Im Euro-System ist das nicht möglich. Ein Grexit würde die Eurozone langfristig stärken.
Teuer, aber machbar - Euro ohne Griechenland
Sollte Griechenland nicht bald zu einer stabilen politischen Ordnung zurückfinden, wäre eine Pleite des Staates spätestens im Sommer wohl unausweichlich. In einem solchen Fall würde wohl auch die EZB griechische Banken gemäß ihren Statuten nicht mehr als Geschäftspartner bei ihren Refinanzierungsgeschäften mit dem Banksektor akzeptieren können. Sie wären also nicht mehr refinanzierungsfähig und dürften auf den Bankrott zusteuern. Dies wäre das Ende eines griechischen Finanzsektors in der Euro-Zone - der Euro als gesetzliches Zahlungsmittel wäre dann nicht mehr zu halten.
Am Beginn eines Übergangs müssten alleine schon wegen der nötigen technischen Umstellung von Millionen Konten, aber auch um eine Panik und lange Schlangen vor den Banken zu verhindern, die Institute des Landes für einige Tage - vermutlich gut eine Woche - geschlossen bleiben. Parallel würde der gesamte Kapitalverkehr mit dem Ausland für diesen Zeitraum zum Erliegen kommen. In dem Zeitfenster könnte dann die Währungsreform vorbereitet werden - ein banktechnisch und politisch komplizierter Prozess. Unter anderem müssten zahlreiche neue Gesetze erlassen werden. Die Hüter der neuen Währung, also die Notenbanker in Athen, müssten unter anderem eine neue Mindestreservequote und einen neuen Leitzins für ihre Banken beschließen. Zudem müssten sie Vorbereitungen für den so gut wie sicheren Fall treffen, dass die neue griechische Währung am Devisenmarkt massiv abwertet.
Wahrscheinlich würde in Griechenland eine neue Währung in zwei Stufen eingeführt. Während sie auf Konten als Buchgeld mehr oder weniger per Knopfdruck umgestellt werden könnte, bräuchte die Bargeldeinführung mehr Zeit - schließlich müssten Münzen geprägt und Geldscheine gedruckt werden. Anschließend müsste das Geld im Land verteilt werden - eine logistische Herkulesaufgabe. In dieser Phase könnte der Euro weiterhin als Tauschmittel für den Alltag fungieren. Hier gibt es eine Art Vorbild: Das Balkanland Montenegro verwendet den Euro bereits einseitig als Zahlungsmittel im Bargeldverkehr, ohne dass es offiziell Mitglied der Euro-Zone ist.
Nach der Währungsreform käme innerhalb des europäischen Systems der Zentralbanken das große Aufräumen. Hier rückt das Großbezahlsystem der Notenbanken, Target II, ins Zentrum. Die Zentralbank in Athen hat innerhalb des Systems Verbindlichkeiten gegenüber der EZB in Höhe von rund 100 Milliarden Euro. Hinzu kämen Forderungen der Euro-Notenbanken aus dem umstrittenen Kauf griechischer Staatsanleihen seit Mai 2010 - geschätzt zwischen 40 und 50 Milliarden Euro. Rechnet man diese Posten zusammen steht Athen alleine beim Eurosystem aus EZB, Bundesbank & Co. mit bis zu 150 Milliarden Euro in der Kreide. Auf die Bundesbank entfielen nach dem Kapitalschlüssel der EZB etwas mehr als ein Viertel, also etwa 40 Milliarden Euro. Möglich wäre nun, dass die Griechen das Geld über einen langen Zeitraum, eventuell viele Jahrzehnte, abzahlen. Auch eine Lastenteilung zwischen der Zentralbank in Athen, der EZB und den verbleibenden 16 Euro-Notenbanken ist denkbar. Im schlimmsten Fall, also wenn Griechenland nicht zahlen will oder kann, müsste die Bundesbank Abschreibungen vornehmen und/oder ihre Risikovorsorge erhöhen. Bundesbankgewinne und damit eine jährliche Entlastung des Bundeshaushalts wären dann für lange Zeit Geschichte. Dass diese Belastung der Bundesbank deutlich höher ausfiele als ihr derzeitiges Eigenkapital von fünf Milliarden Euro wäre kein Problem, da Notenbanken im Gegensatz zu normalen Instituten auch mit negativen Eigenkapital operieren können. Die Bundesbank selbst hat dies etwa in den 1970er-Jahren einige Jahre selbst praktiziert.
Auch die Europäische Union braucht eine Schocktherapie. Die Griechenland-Pleite hat gezeigt, dass im Falle einer Überschuldung die Institutionen der EU eine unvermeidliche Staatspleite auf Dauer nicht aufhalten können. Die Wähler werden die Belastungen nicht hinnehmen. Auch Portugal und Italien droht die Überschuldung, Spanien und Frankreich sind auf dem Weg dorthin. Der Bestand der Eurozone bliebe deshalb auch nach einer Lösung der Griechenland-Krise akut gefährdet.
Wenige Monate vor den Parlamentswahlen bereiten die beiden großen spanischen Parteien Wahlgeschenke in Milliardenhöhe vor. Die regierende konservative Partei von Mariano Rajoy plant Steuererleichterungen in Höhe von fünf Milliarden Euro. Zusätzlich soll das 2012 gestrichene Weihnachtsgeld für 2,5 Millionen öffentliche Bedienstete in Bund, Regionen und Kommunen vollständig ausbezahlt werden.
Großzügig zeigen sich auch die Sozialisten. Ihr Spitzenkandidat Pedro Sanchez denkt offenbar nach über die Einführung eines "Grundgehalts" für eine Million bedürftige Familien ohne Einkommen. Das forderte zuvor schon die linkspopulistische Podemos. Kostenpunkt: Rund sieben Milliarden Euro. Die Brüssel für 2016 versprochene Reduzierung des Budgetdefizits von 4,2 Prozent auf 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung bekommt Spanien so jedenfalls nicht hin. Im Gegenteil. Der spanische Schuldenberg wird weiter in hohem Tempo wachsen.
Seit der Finanzkrise 2008 haben sich die Schulden der Zentralregierung in Madrid auf 791 Millionen verdreifacht, die der Regionen auf 240 Milliarden Euro vervierfacht. Wie in Griechenland hatte die Europäische Zentralbank (EZB) auch in Spanien lange vor Ausbruch der europäischen Schuldenkrise das Disziplinierungsinstrument des Marktes durch zu tiefe Zinsen außer Kraft gesetzt. Die Fortsetzung dieser Politik verhindert jetzt eine Konsolidierung der Staatshaushalte und die Umsetzung von Reformen.