
Wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Verhandlungstisch her. Die Griechenland-Krise mutiert zum Running Gag. Mehr als 60 Prozent der Griechen haben gegen Reformen, gegen Sparmaßnahmen und damit auch gegen Europa gestimmt. Dennoch wird weiter verhandelt.
Die letzten Zugeständnisse der Griechen beinhalten keine Einschnitte bei den Pensionen, eine Hauptforderung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Pensions- und Gehaltszahlungen verzehren etwa drei Viertel der Primärausgaben des griechischen Staates. Allein die Pensionsausgaben entsprechen 16 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der IWF forderte eine Reduzierung der Quote auf 15 Prozent. Griechenland hat also wieder einmal nicht geliefert.
Aber der IWF wird letztlich von Washington aus regiert und dort will man einen Deal – vor allem aus geostrategischen Gründen. US-Präsident Barack Obama hat bereits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert. Für Europa bedeutet eine permanente Alimentierung Griechenlands eine gigantische Fehlallokation von Kapital - finanziellem und politischem.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
Ein kleiner, korrupter und wirtschaftlich unbedeutender Staat im Südosten der Europäischen Union (EU), ohne Katasterwesen und ohne funktionierende Steuerverwaltung strengt sich an, zum Spaltpilz der Eurozone und der gesamten EU zu werden. Ein Treppenwitz der Geschichte. Es ist kaum anzunehmen, dass die Briten in einer solchen EU bleiben wollen. 2016 wird auf der Insel darüber abgestimmt. Vielleicht wird dann immer noch - oder schon wieder - verhandelt.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass die britische Regierung ausgerechnet in dieser Woche eine weitere Absenkung der Körperschaftssteuer (von 20 auf 18 Prozent) von 2020 an in Aussicht gestellt hat. Zugleich wird eine Rückführung der Sozialausgaben angestrebt. Die britische Regierung entwirft damit de facto ein Gegenmodell zur jetzigen EU. „Wir wollen weg von einem Land mit hohen Sozialausgaben und hohen Steuern hin zu einem Land mit niedrigen Sozialausgaben und niedrigen Steuern“, sagte jetzt der britische Finanzminister George Osborne. Bis 2030 soll Großbritannien so zur reichsten Volkswirtschaft des Westens werden.
Die EU wird sich zwischen dem Modell Großbritannien und dem Modell Griechenland entscheiden müssen. Frankreich hat sich bereits für das Modell Griechenland entschieden. „Frankreich weigert sich, dass Griechenland die Eurozone verlässt“, erklärte der französische Premierminister Manuel Valls am Mittwoch vor der Nationalversammlung in Paris. Seine Rede wurde live nach Griechenland übertragen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist Frankreich neben Griechenland das Land mit den höchsten Sozialausgaben.
Mit jedem weiteren Rettungspaket für Griechenland steigen die finanziellen Risiken für die kleineren und zumeist ärmeren Eurostaaten. Slowenien, Estland und die Slowakei haften für Griechenland bereits mit vier und mehr Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Diese Länder haben eine harte Anpassungskrise hinter sich, ihren Bevölkerungen wurde viel abverlangt.
Zum Dank sollen sie sich jetzt an der permanenten Alimentierung der wesentlich reicheren und halsstarrigen Griechen beteiligen. Jenen Griechen, die sich ihren Euro-Beitritt unter Beihilfe einer amerikanischen Investmentbank, deren Mitarbeiter der heutige EZB-Präsident Mario Draghi seinerzeit war, herbeibetrogen haben.
Wer soll das noch verstehen? Europa hat seine Zukunft möglicherweise längst hinter sich.