Europäische Union Untergangsstimmung in Ungarn

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Ungarn mit großen Finanzierungsproblemen

EU-Kommissare, die für eine liberale Wirtschaftspolitik gekämpft haben
Mario MontiSuper-Mario nannten sie ihn während seiner Amtszeit in Brüssel von 1995 bis 2004. Den Beinamen verdankt der Ökonomieprofessor seinem resoluten Auftreten - im Zweifel immer für den Markt. Zunächst als Kommissar für den Binnenmarkt, dann zuständig für Wettbewerb, prägte er die damals liberale Wirtschaftspolitik der EU. Quelle: dapd
Karel Van MiertDer im Juni 2009 gestorbene belgische Sozialdemokrat war ein entschlossener Liberalisierer. Von 1989 bis 1999 setzte er als EU-Kommissar gegen nationalen Widerstand den Abbau von Privilegien deutscher Sparkassen durch. Dass der politische Filz der Landesbanken Jahre später an die Oberfläche kam, ist sein Verdienst. Quelle: REUTERS
Martin BangemannDas bleibende Vermächtnis des deutschen FDP-Politikers und EU-Kommissars ist das Ende der nationalen Monopole in der Telekommunikation. Die Kunden profitierten von dieser Liberalisierung auf spektakuläre Art. In Deutschland fiel der Preis für ein zehnminütiges Ferngespräch binnen weniger Jahre um 96 Prozent. Quelle: AP
Frits BolkesteinDer Vorschlag des niederländischen Liberalen für grenzüberschreitende Dienstleistungen treib scharenweise Demonstranten auf die Straßen. Gewerkschaften schürten Ängste vor polnischen Billig-Klempnern, die Arbeitsplätze zerstören und Wasserhähne schlecht reparieren würden. So schlimm kam es dann doch nicht. Quelle: REUTERS

Und durch die umstrittene Politik Orbáns droht dem Land neues Ungemach. Führende Politiker in Brüssel fordern eine harte Hand gegenüber dem konservativen Machtmenschen und diskutieren laut einen Stimmentzug in Europa-Fragen oder die Kürzung von EU-Fördermitteln.

„Die EU-Förderprogramme sind vielerorts die Hauptfinanzierungsquelle“, so Anders-Clever. Würden diese Gelder wegfallen, wären zahlreiche Infrastrukturprojekte in Gefahr. „Gebaut wird inzwischen nur noch, wenn eine EU-Finanzierung hinter einem Vorhaben steckt.“ Denn Auftragnehmer wie Anleger wissen: Beim Staat gibt es nicht mehr viel zu holen. Wie lange die Regierung noch offene Rechnungen zahlen kann, ist fraglich. Fakt ist: An den Märkten kann sich Ungarn kaum mehr finanzieren, nachdem alle der drei großen Ratingagenturen ungarische Staatsanleihen auf Ramschniveau abgewertet haben. Auch die Verhandlungen über einen Notkredit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) liegen auf Eis, zum wiederholten Male.

Ungarns Schwächen

Ministerpräsident Viktor Orbán hatte nach seinem Regierungsantritt 2010 alle Gespräche mit dem IWF abgebrochen. Ende 2011 hatte jedoch die Budapester Regierung um Verhandlungen für einen Notkredit gebeten, weil das Land am Rande des Staatsbankrotts stand. Die formellen Gespräche hatten im Juli 2012 begonnen. Der IWF hatte sich in den vergangenen Monaten aus den Verhandlungen mit Ungarn zurückgezogen, weil die Regierung nicht von ihrer Politik abrückte, unter anderem die Banken mit hohen Sondersteuern zu belasten. Die ungarische Regierung deutet die Verhandlungen anders. Die ungarische Regierung hatte „niemals Bedarf“ an einem Kredit der UN-Sonderorganisation, erklärte der ungarische Minister für Nationale Wirtschaft, György Matolcsy. Vielmehr wollte der IWF Ungarn „das Geld aufschwatzen“.

Ungarns Stärken

Laut Matolcsy steht in Ungarn eine Wachstumswende an. Die Regierung hätte die staatlichen Finanzangelegenheiten geregelt, die Staatsschulden würden verringert. Das Vertrauen Ungarn gegenüber sei gewachsen so Matolcsy. Eine gewagte Prognose.

Die EU-Kommission rechnet nicht damit, dass Ungarn in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum erzielt. Und der IWF stellt laut GTAI fest: „2013 verspricht das BIP in etwa auf Vorjahresniveau zu verharren. Mittelfristig setzt der IWF Ungarns Wachstumspotenzial nur noch mit 1,0 bis 1,5 Prozent jährlich an. Maßgeblich hierfür ist auch die ausgetrocknete Kreditvergabe, zu der die angespannte Lage vor allem einiger Auslandsbanken beiträgt. Die Bruttoanlageinvestitionen sind in Ungarn auf einen historischen Tiefstand gefallen mit Rückgängen um real jeweils 4 bis 5% in den Jahren 2010 bis 2012. Für 2013 prognostizieren das Wirtschaftsinstitut Kopint (Budapest) und die OECD einen Fall um 3 bis 5 Prozent. Die Investitionen werden sich künftig noch stärker auf Anpassungshilfen der EU stützen.“

Die Regierung von Viktor Orbán steht folglich – allen starken Sprüchen aus Budapest zum Trotz – mit dem Rücken zur Wand. Die Europäische Union hat die Trümpfe in der Hand und sollte Druck auf Ungarn ausüben. Treibt die rechtskonservative Regierung das Land weiter in die Isolation, ist der Staatsbankrott nur noch eine Frage der Zeit.

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