Europäische Union Wann und wie kommt der Brexit?

Großbritannien geht ohne Plan in die Verhandlungen. Können die Briten im Binnenmarkt bleiben? Und warum sitzt Donald Trump mit am Verhandlungstisch? Wie es in Sachen Brexit 2017 weitergeht – vier Fragen und Antworten.

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Brexit Quelle: AP

Als die Briten in einem Referendum entschieden hatten, die Europäische Union zu verlassen, schwirrten sofort Ideen durch geschockte Köpfe, wie die Umsetzung vielleicht doch noch zu vermeiden wäre: Eine zweite Abstimmung? Ein Einspruch des Parlaments? Oder könnte die Regierung die Verhandlungen über den Ausstieg einfach nie einleiten?

Mit dem Amtsantritt von Theresa May als Premierministerin fanden diese Erwägungen ein Ende. Sie zeigte schon im Juli 2016 klare Kante: „Brexit bedeutet Brexit.“

Sechs Monate später fragt man sich: Was ist der Plan? Wann geht es los? Bleiben die Briten im gemeinsamen Binnenmarkt? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen im kommenden Jahr.

Wann kommt der Brexit?

Wenn es nach der Europäischen Union geht, sollen die Briten im März 2019 die Europäische Union verlassen haben. Der Zeitplan sieht wie folgt aus: Die Briten leiten im kommenden März den Brexit offiziell ein, indem sie den Artikel 50 der Europäischen Verträge aktivieren. Das hatte May bereits mehrfach angekündigt. Laut Verträge bleiben dann zwei Jahre Zeit für die Verhandlungen, um den Austritt in allen rechtlichen Details zu regeln. Nur wenn die EU-Mitgliedsstaaten einstimmig diese Frist verlängern sollten, bliebe mehr Zeit.

Shopping-Boom und Immobilien-Schock
Brexit-Demonstranten in Großbritannien Quelle: REUTERS
Britische Pfundnoten Quelle: dpa
In Großbritannien beliebt: der Brotaufstrich Marmite. Quelle: dpa
Großbritannien-Fan Quelle: AP
Der britische Finanzminister Philip Hammond und die Premierministerin Theresa May Quelle: REUTERS
British-Airways-Maschine Quelle: AP
Touristen in London Quelle: dpa

Dass sie das tun ist nach heutigem Stand aber unwahrscheinlich. Dies hat vor allem mit den Wahlen zum Europäischen Parlament zu tun, die turnusmäßig im Frühjahr 2019 stattfinden werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen die Briten die EU verlassen haben, damit keine britischen Abgeordneten mehr im nächsten Parlament sitzen werden.

Welche Strategie verfolgen die Briten für die Verhandlungen?

Die britische Regierung will das Vereinigte Königreich im europäischen Binnenmarkt halten, aber die sogenannten vier Freiheiten einschränken, also den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Nicolai von Ondorza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt nicht, dass unter diesen Bedingungen ein Kompromiss möglich ist. „Den Zugang zum Binnenmarkt wird es nur ganz oder gar nicht geben – das haben die restlichen Europäer London klargemacht“, sagt der Politikwissenschaftler. Sein Resümee: „Die britische Regierung hat keinen Plan für den Brexit.“

Trump sitzt mit am Verhandlungstisch

Josef Janning vom European Council on Foreign Relations glaubt, dass die May-Regierung darauf baue, dass die Europäer und insbesondere die Deutschen nur hoch pokern. „Die Briten können sich nicht vorstellen, dass ein enger Verbündeter wie Deutschland knallhart in oder out sagt“, sagt Janning. Und falls doch? Dann dürfte London vor allem probieren, die restlichen Europäer gegeneinander auszuspielen, insbesondere den Osten und Süden gegen die Länder in Zentral- und Westeuropa. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump könnte London als Atommacht beispielsweise mit Sicherheitsgarantien locken, für die die USA unter dem künftigen Präsidenten womöglich nicht mehr einstehen wollen. Der Preis dafür wäre ein Entgegenkommen bei den Brexit-Verhandlungen.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Ohnehin sitzt Trump zumindest indirekt mit am Verhandlungstisch. Theresa May steht nämlich vor der Frage, ob sie sich außen- und sicherheitspolitisch künftig eher an der Seite der Europäer oder an der der USA sieht. Sucht sie den Schulterschluss mit den Europäern, könnte ihr das auch in den Brexit-Verhandlungen nützlich sein. Unterstützt sie eher Trump dürfte ihr das im Kreise der europäischen Staats- und Regierungschefs kaum Sympathien einbringen.

In welchen Bereichen sind die Briten zu Kompromissen bereit?

Beim Geld könnten sich London und Brüssel wohl am ehesten einigen. Mehrere britische Kabinettsmitglieder haben bereits in Aussicht gestellt, dass London die finanziellen Verpflichtungen auch künftig erfüllen wird. Allerdings dürfte London wohl nachverhandeln wollen. „Die Briten wollen zahlen, aber deutlich weniger als bislang“, sagt EU-Experte Janning. „Das werden die restlichen Europäer kaum akzeptieren.“

Es geht im kommenden Jahr nicht nur um die Bewahrung der EU. Es geht um den gesamten Westen. Soll 2017 nicht zum Horror-Jahr werden, müssen vor allem vier Dinge geschehen.

Für die Briten zeigt sich auch in diesem Fall wieder das grundlegende Dilemma. Sie wollen im Binnenmarkt bleiben, aber die notwendigen Auflagen nicht erfüllen – ganz anders als Norwegen. Das skandinavische Land ist kein EU-Mitglied, akzeptiert aber alle vier Freiheiten sowie europäische Gesetze, die sich auf den gemeinsamen Binnenmarkt beziehen und zahlt ins Brüsseler Budget ein. Würde das Vereinigte Königreich dieses Modell akzeptieren, verriete es die Idee des Brexit-Referendums. Die Briten könnten die Privilegien des Binnenmarktes in Anspruch nehmen, hätten aber die gleichen Pflichten wie ein EU-Mitglied. Und genau dagegen hatte die britische Bevölkerung im Referendum gestimmt

Wie mächtig ist Theresa May?

Die Premierministerin steht seit sechs Monaten an der Spitze der britischen Regierung und ist die klare Nummer eins. Nach dem Referendum und dem Rücktritt ihres Amtsvorgängers David Cameron hat sie dem Land Orientierung gegeben. „Für Theresa May beginnt nun die kritische Phase“, sagt Nicolai von Ondarza. Sie müsse jetzt einen Plan für den Brexit entwickeln. „Alle verstehen langsam, wie viel für das Vereinigte Königreich auf dem Spiel steht und dass London am Ende der große Verlierer sein könnte. Und zugleich machen die harten Brexit-Befürworter Druck, damit endlich die Verhandlungen beginnen.“ Kurzum: Wenn es May nicht gelingt, eine überzeugende Verhandlungsstrategie vorzulegen, wird auch der Druck auf sie steigen.

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