Europäische Währungsunion Die Eurozone, eine Sackgasse fauler Kompromisse

Das Kernproblem der Währungsunion sind die unterschiedlichen Wirtschaftskulturen der Länder. Faule Kompromisse können diese verdecken, aber nicht beseitigen. Die politischen Nebenwirkungen werden immer bedrohlicher.

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Der Euro wurde trotz entgegengesetzter wirtschaftspolitischer Kulturen der Mitgliedsländer eingeführt. Die daraus entstehenden Probleme lassen sich nicht dauerhaft unter den Teppich kehren. Diese Erkenntnis hat die verantwortlichen politischen Akteure bis heute nie daran gehindert, es trotzdem zu versuchen. Nicht ohne Nebenwirkungen. In der Eurokrise spitzt sich die Lage zu. Faule Kompromisse setzen den Wohlstand der Bürger aufs Spiel und sind Wasser auf die Mühlen der Populisten von links und rechts. Höchste Zeit für eine selbstkritische Analyse.

Seit über 60 Jahren wird in Europa über eine gemeinsame Währungspolitik diskutiert, seit über 15 Jahren gibt es den Euro als gemeinsames gesetzliches Zahlungsmittel. Trotzdem ist es nie gelungen, ein gemeinsames europäisches Verständnis für den Euro zu entwickeln. Europa ist in zwei Lager geteilt, und alle Abmachungen und Verträge zwischen diesen Lagern haben für die jeweilige Seite eine ganz andere Bedeutung.

Frankreich und Deutschland stehen exemplarisch für die gegensätzlichen Positionen. Sie sind nicht nur der Motor des europäischen Einigungsprozesses, sondern repräsentieren auch idealtypisch die unterschiedlichen Vorstellungen in der Wirtschaftspolitik, die Ausdruck eines ganz unterschiedlichen Staatsverständnisses sind. Frankreich setzt auf den Primat der Politik, Deutschland auf den Primat vereinbarter Regeln.

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Das politische System in Frankreich ist geprägt durch die „tradition républicaine“ und eine starke Zentralisierung der Machtstrukturen. Frankreich ist der älteste Nationalstaat Europas und baut auf dem Fundament der einen und unteilbaren Republik auf. In der Linie dieser Tradition steht die Auffassung, dass der politische Wille den Markt dominieren soll. Deutschland war nie im gleichen Maße Nationalstaat wie Frankreich. Es gab auch nie etwas Vergleichbares zur französischen Revolution. Deutschland war immer, vom Heiligen römischen Reich  bis zur Bundesrepublik, föderal organisiert. Einzige und prägende Ausnahme war die Diktatur des Nationalsozialismus. Das Erbe dieser Zeit war eine dezidierte Abneigung gegen Zentralisierung und Präferenz für regelbasiertes staatliches Handeln, das die Macht der Regierung begrenzen sollte.

Die öffentlichkeitswirksamen und symbolträchtigen Fortschritte in der deutsch-französischen Freundschaft haben lange Zeit über den inhaltlichen Graben insbesondere in der Wirtschafts- und Währungspolitik hinweggetäuscht. Der holländische Zentralbanker André Százs war Mitglied der Werner-Gruppe, Europas erster ernsthafter Versuch zur Herstellung einer Währungsunion im Jahr 1969. Sein Kommentar ist bezeichnend für das Wesen der europäischen Währungsunion: „Ein Kompromiss nicht in dem Sinne, dass die Mitgliedstaaten ihre Differenzen dadurch beilegten, dass sie sich auf eine Zwischenposition einigten, sondern vielmehr eine Verständigung auf Dokumente, die ihnen scheinbar die Freiheit ließen, weiterhin ihren eigenen Interessen den Vorrang zu geben.“

Rhetorik und gemeinsame Absichtserklärungen können nicht davon ablenken, wie schnell die Prinzipien des Vertrags von Maastricht in der Eurokrise über Bord geworfen wurden. Für Deutschland waren die Regeln von Maastricht Bedingung für die Aufgabe der D-Mark und das wichtige Fundament, auf dem der Euro entstehen sollte. Frankreich, aber auch Ländern wie Italien oder Griechenland haben eine unpolitische Zentralbank, langfristig stabilitätsorientierte Geldpolitik und Regeln wie die Nichtbeistandsklausel zwar pro forma akzeptiert, aber nie als prägenden Wert ihrer Wirtschaftskultur verinnerlicht.  

Die Tragik Deutschlands auf dem Weg in die Währungsunion besteht darin, dass die für den Euro maßgebenden politischen Köpfe zwar immer die Gefahren einer Haftungs- und Transferunion erkannt hatten aber jeweils übergeordnete Interessen verfolgten. Durch die starke Position der D-Mark wurden Währungsfragen zur Verhandlungsmasse für das Durchsetzen priorisierter politischer Ziele degradiert. Das Muster ist immer das gleiche: Während Frankreich eine Währungsunion nach seinen Vorstellungen erzwingen möchte, nutzt Deutschland Zugeständnisse in Währungsfragen um Unterstützung bei eigenen Projekten zu erhalten. Willy Brandt brauchte Rückendeckung für seine Ostpolitik, Helmut Schmidt sah die Notwenigkeit eines vereinten Europas um unabhängig von den USA Schutz gegen die Sowjetunion aufzubauen, Helmut Kohl brauchte die Billigung Frankreichs bei der Wiedervereinigung Deutschlands.

Angela Merkel und Emanuel Macron wollten dieses Muster beim Gipfeltreffen in Brüssel Ende Juni wiederholen. Für die Unterstützung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise verlangte Frankreich im Gegenzug weitere Zugeständnisse Deutschlands in der Euro-Rettungspolitik. Es bleibt vorerst aber bei der Meseberger Erklärung. Zum Glück!

Faule Kompromisse kann sich Deutschland nicht mehr leisten. Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 gilt die politische Lage auch hierzulande als angespannt. Die Folgen der Euro-Rettungspolitik sind immer stärker bei den Sparern zu spüren. Viele Menschen sorgen sich um ihre finanzielle Absicherung im Alter. Mit der Angst wächst auch das Misstrauen gegenüber der Politik.

Die Vermischung von Währungsfragen mit Migrationsthemen schürt das Misstrauen in die Politik. Ein eigener Haushalt für die Eurozone sorgt nur für zusätzliche Verteilungskämpfe zwischen den Mitgliedsländern. Statt die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, werden zukünftige politische Spannungen provoziert. Anstatt weiter in die Sackgasse der faulen Kompromisse zu laufen, ist eine Umkehr notwendig.  Der Euro hat es nicht geschafft, die Wirtschaftskulturen anzugleichen. Das muss gar nicht schlimm sein. Die eigentliche Größe Europas liegt in der kulturellen Vielfältigkeit, auch in der Wirtschaft.

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