Europäische Zentralbank Diese Geldpolitik offenbart Realitätsverweigerung

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Die EZB definiert in Orwell'scher Neusprechmanier

Nun mag man wie die EZB argumentieren, der jüngste Preisschub sei in erster Linie darauf zurück zu führen, dass die Energiepreise im Vergleich zum niedrigeren Vorjahresniveau gestiegen sind. In den nächsten Monaten dürfte dieser statistische Basiseffekt allmählich wieder verschwinden und die Inflationsrate etwas sinken.

Doch erwartet selbst die EZB, dass die Euro-Inflation im Durchschnitt dieses Jahres bei 1,7 Prozent liegt. In Deutschland, wo sich Konjunktur und Arbeitsmarkt besser entwickeln als im Rest der Eurozone, dürfte die Teuerung noch höher ausfallen.  

Da hilft es nichts, auf die Kernrate der Inflation (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise)  zu verweisen, wie Draghi und manche Ökonomen es tun. Diese liegt zwar aktuell bei nur 1 Prozent. Doch wen interessiert das schon, wenn er an der Tankstelle und auf dem Wochenmarkt  für Benzin und Gemüse kräftiger als bisher zur Kasse gebeten wird? Es ist schon ein starkes Stück, was die EZB da treibt. Erst definiert sie in Orwell`scher Neusprechmanier 2 Prozent Inflation als Preisstabilität um. Ist die Rate dann erreicht, lenkt sie die Diskussion auf die Kernrate, weil diese noch deutlich unter der Marke von zwei Prozent liegt. Da fragt man sich, was die EZB wohl macht, wenn auch die Kernrate die Marke von 2 Prozent erreicht? Noch mehr Güter aus dem Warenkorb herausrechen und eine Kern-Kern-Rate ermitteln, damit sie dann behaupten kann, ihr Ziel immer noch nicht erreicht zu haben?

Wer wissen will, was die EZB wirklich treibt, der konnte es heute von Draghi höchst persönlich erfahren. Auf die Frage von Journalisten nach den Gefahren für den Euro durch den erstarkenden Populismus in Europa antwortete der oberste Währungshüter entlarvend, der Euro sei für Europa „ein Kanal der Solidarität“. Und Solidarität sei in Zeiten wie diesen, in denen die äußeren und inneren Bedrohungen zunähmen, besonders wichtig.

Man könnte Drahgis Aussage auch so formulieren: Der Euro ist längst keine Währung mehr, die ihre Kaufkraft im wahrsten Sinne des Wortes bewahrt, sondern ein Instrument der innereuropäischen Umverteilung von Wohlstand und Vermögen. Auf der Geberseite der Transfermaschine stehen die Nettogläubiger, zuvorderst die Deutschen. Ihr Vermögen schmilzt durch die negativen Realzinsen made in Frankfurt dahin wie Schnee in der Sonne Süditaliens. Auf der Gewinnerseite stehen dagegen die hochverschuldeten Südländer, deren Schulden dank Inflation entwertet werden.

Doch niemand hat die Bürger im Norden Europas gefragt, ob sie zu der von der EZB initiierten Solidaritätsaktion zugunsten der Südländer bereit sind. Ihr Votum dürften sie daher bald nachträglich abgeben: An den Wahlurnen.

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