Der Bundesbankpräsident als Wegbereiter für die Vereinigten Staaten von Europa - das passt so gar nicht zum Bild des gestrengen Währungsideologen. Auch Jens Weidmann weiß, was auf dem Spiel steht. Seine Leute haben versucht, die Kosten eines Zusammenbruchs der Währungsunion abzuschätzen. Das Ergebnis: Es droht ein Desaster, für Deutschland und ganz Europa.
Wenige Tage später hat auch Draghi einen großen Aufritt. Er hat sich dafür einen Festakt der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Berlin ausgesucht. An der Wand ein überlebensgroßes Foto von Ludwig Erhard, im Publikum Mittelständler und Koalitionspolitiker. So stellt man sich als italienischer Notenbanker wahrscheinlich die Höhle des Löwen vor.
Draghi lässt die Einführungsworte von Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser über sich ergehen. Als er an der Reihe ist, warnt er davor, die Krise durch billiges Geld der Notenbank lösen zu wollen. Vielleicht war das nur so dahingesagt, um die Vorbehalte der Deutschen gegen einen Italiener an der Spitze der Notenbank auszuräumen, aber Draghi lässt seinen Worten Taten folgen. Ein noch von seinem Vorgänger angeordnetes Anleiheankaufprogramm legt er nach Amtsantritt auf Eis, zur Politik hält er in den ersten Wochen seiner Amtszeit bewusst Distanz. Die Bild- Zeitung setzt Draghi in einer Fotomontage eine Pickelhaube auf. Weil er "so deutsch" sei.
Uneinigkeit über den Weg zur stabilen Währungsunion
Selbst jetzt, auf dem Höhepunkt der Krise, schreckt der Italiener vor bedingungslosen Hilfsleistungen zurück, die an den Finanzmärkten wahrscheinlich einen maximalen Effekt erzielen würden. Wenn ein Land die Unterstützung der EZB in Anspruch nehmen will, muss es nach dem neuen Plan der Notenbank vorher einen genehmigten offiziellen Hilfsantrag bei der EU vorweisen und seine Haushalte überwachen lassen.
Die Maßnahmen der Notenbanken gegen die Krise
Die Probleme an den Hypotheken- und Kreditmärkten greifen auf den Interbanken-Geldmarkt über. EZB und Fed sehen sich gezwungen, zusätzlich Liquidität in den Markt zu pumpen.
Die Notenbanken in den fünf wichtigsten Währungsräumen greifen gemeinsam ein, um ein Austrocknen der Geldmärkte zu verhindern.
Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers öffnen die großen Zentralbanken die Geldschleusen, um mitten in der Panik an den Finanzmärkten die Geschäfte am Geldmarkt am Laufen zu halten.
Die wichtigsten Notenbanken weltweit senken gemeinsam die Zinsen - ein historischer Schritt. 4. Dezember 2008: Die EZB senkt ihren Leitzins überraschend um einen dreiviertel Prozentpunkt auf 2,5 Prozent. Es ist der größte Zinsschritt seit der Einführung des Euro und der Gründung der europäischen Notenbank.
Die Fed kappt ihren Leitzins auf eine Spanne zwischen null und 0,25 Prozent - ein Rekordtief.
US-Notenbankchef Bernanke kündigt den Ankauf von Staatspapieren für zunächst 300 Milliarden Dollar an. Die Fed erweitert außerdem ihre bestehenden Programme zur Stützung der Kreditmärkte und Banken auf rund eine Billion Dollar.
Die EZB senkt ihren Leitzins auf das Rekordtief von einem Prozent.
Die EZB stellt den Banken der Euro-Zone erstmals für ein ganzes Jahr Liquidität zur Verfügung. Mehr als 1000 Banken rufen die Riesensumme von 442 Milliarden Euro ab. 6. Juli 2009: Die EZB beginnt offiziell mit dem Ankauf von Pfandbriefen.
224 Banken aus der Euro-Zone rufen beim letzten Jahrestender der EZB knapp 100 Milliarden Euro ab. Das ist ein Wendepunkt.
Die Federal Reserve erhöht den Zinssatz für Übernachtkredite von 0,5 auf 0,75 Prozent und verteuert damit Notkredite für Banken erstmals seit Ausbruch der Krise.
EZB-Chef Trichet kündigt an, dass die Notenbank auch über das Jahresende 2010 hinaus Sicherheiten mit einem schwächeren Rating als „A-“ akzeptieren wird. Sie hilft damit indirekt den griechischen Banken und erleichtert die Refinanzierung Griechenlands.
Die EZB kündigt im Kampf gegen die eskalierende Schuldenkrise in der Euro-Zone an, am öffentlichen und privaten Anleihemarkt in großem Stil aktiv werden zu wollen. Die Notenbank gibt damit ihren Widerstand gegen den Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder auf, der Kritikern zufolge zu einem Ansteigen der Inflation führen könnte. Laut EU-Vertrag kann die EZB die Anleihen nur am Sekundärmarkt erwerben und nicht direkt bei den Regierungen.
Die Fed stoppt unter dem Eindruck der nur zähen Konjunkturerholung in den USA und der andauernden Misere am Arbeitsmarkt den begonnenen Exit. Sie will Geld, dass sie durch Fälligkeit bereits erworbener Immobilienpapiere bekommt, wieder reinvestieren und neue Staatsanleihen kaufen.
Japans Notenbank zieht im Kampf gegen Wirtschaftskrise, Deflation und den starken Yen weitere Register. Sie senkt den Leitzins auf null und legt einen fünf Billionen Yen (60 Milliarden Dollar) schweren Fonds auf, über den sie die unterschiedlichsten Wertpapiere ankaufen und so weiteres Geld in die Wirtschaft pumpen will.
Die Fed beschließt den Ankauf von weiteren Staatsanleihen im Volumen von 600 Milliarden Dollar bis Ende der ersten Jahreshälfte 2011. Zusätzlich sollen auslaufende Papiere aus dem Bestand ersetzt werden. Insgesamt hat die neuerliche Geldspritze damit ein Volumen von 850 bis 900 Milliarden Dollar.
Die EZB beschließt eine Verdoppelung ihres Grundkapitals auf knapp elf Milliarden Euro. Bezahlen müssen dies die ihr angeschlossenen nationalen Notenbanken: Die Bundesbank muss entsprechend des Kapitalschlüssels gut eine Milliarde Euro auf ihren Anteil dazupacken.
Nach Erdbebenkatastrophe, Tsunami und Atomdebakel in Japan intervenieren die wichtigsten Notenbanken der Welt gemeinsam am Devisenmarkt.
Die EZB beginnt mit dem Ankauf von Anleihen Italiens und Spaniens. Beide Länder waren zuvor ins Visier der Märkte geraten.
Die Fed erklärt, dass sie ihren Leitzins wegen der mauen Konjunktur noch für „mindestens“ zwei Jahre nahe Null halten will.
In einer koordinierte Aktion stellen EZB und Fed sowie die Notenbanken Kanadas, Japans, Großbritanniens und der Schweiz den von der Krise gebeutelten europäischen Banken Dollar zur Verfügung. Den Instituten fiel es zuletzt schwer, sich Dollar-Kredite zu beschaffen - viele US-Investoren haben ihnen aus Angst vor den Folgen der Schuldenkrise den Geldhahn zugedreht. Fast gleichzeitig lockert auch die chinesische Notenbank unerwartet ihre Geldpolitik. Sie senkte erstmals seit drei Jahren die Mindestreserve-Anforderungen der Banken.
Dieses Junktim soll sicherstellen, dass die Aussicht auf das Geld der Notenbank nicht dazu führt, dass die Regierungen das Reformieren einstellen. Und es soll gewährleisten, dass die Technokraten in den Geldtürmen nicht allein darüber entscheiden, ob ein Land gerettet wird. Denn auch für die Risiken, die die Zentralbank eingeht, muss am Ende der Steuerzahler aufkommen - nur dass die unabhängigen Zentralbanker anders als gewählte Politiker nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.
Es ist der Versuch, demokratische Legitimität und ökonomische Effizienz in Einklang zu bringen. Und es ist eine Enttäuschung für die Südeuropäer im Zentralbankrat, die sich für Käufe ohne Auflagen ausgesprochen hatten.
Es gibt zwischen Mario Draghi und Jens Weidmann wahrscheinlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Doch in dieser Phase der Krise zählen die Unterschiede mehr. Beide sind der Auffassung, dass sich eine Zentralbank darauf beschränken sollte, die Inflation zu bekämpfen. Beide wollen die Währungsunion erhalten. Für beide heißt das: mehr Reformen und mehr Europa. Aber über den Weg dorthin sind sie sich uneinig - und auf diesen Weg kommt es jetzt an.