Europäische Zentralbank Warum das Euro-Projekt gescheitert ist

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Künstlich nach unten gedrückter Zins

Kontrolliert hingegen eine staatliche Zentralbank wie die EZB den Zins und drückt diesen unter die Zeitpräferenzrate der Menschen, etwa um die Konjunktur anzukurbeln, sind ökonomische Verwerfungen programmiert. Die Menschen sind dann nicht mehr bereit, auf heutigen Konsum zu verzichten. Lieber nehmen sie zu Billigzinsen Kredite auf und konsumieren auf Pump. Zudem lassen die niedrigen Marktzinsen Investitionsprojekte rentabel erscheinen, die es bei genauer Betrachtung gar nicht sind.  

Weil der künstlich nach unten gedrückte Zins Investitionen auslöst, die nicht durch entsprechende Ersparnisse gedeckt sind, konkurrieren Investoren und Konsumenten um knappe Ressourcen. Die Folge ist ein Konjunkturboom, der die Preise und die Kosten in die Höhe schießen lässt. Die Kostenexplosion treibt viele Investitionsprojekte in die Verlustzone. Brechen die Unternehmen die Projekte daraufhin ab, folgt auf den Boom der Bust.  

In der ersten Hälfte der 2000er Jahre erlebten die Südländer der Währungsunion einen solchen zinsgetriebenen Boom-Bust-Zyklus. Im Vorfeld der Euro-Einführung waren die Kapitalmarktrenditen in diesen Ländern kräftig gesunken. Nach dem Platzen der New Economy-Blase drückte die EZB auch die Leitzinsen kräftig nach unten – und verstärkte so den Boom, bis dieser mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 platzte.   

Dass der Einheitszins für die Eurozone nicht funktionieren kann, liegt daran, dass sich die Zeitpräferenzen der Menschen zwischen den Mitgliedsländern unterscheiden. Wie sehr das der Fall ist, zeigt eine Untersuchung des Bonner Ökonomen Armin Falk, die in der renommierten Fachzeitschrift „Quarterly Journal Of Economics“ erschien ist.

Falk und seine Ko-Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Menschen in den südlichen Ländern Europas eine höhere Vorliebe für den Gegenwartskonsum besitzen als die Menschen im Norden. Das heißt: Im Süden sind höhere Zinsen nötig als im Norden, um die Menschen zum Sparen zu bewegen und Boom-Bust-Zyklen zu verhindern. Der Einheitszins der EZB macht das jedoch unmöglich. Verschärft wird das Problem dadurch, dass die Frankfurter Eurohüter mit ihren Anleihekäufen in den vergangenen Jahren auch die internationalen Zinsunterschiede am Kapitalmarkt eingeebnet haben.

Spätestens seit dem Ausbruch der Eurokrise legt die EZB ihren Leitzinsentscheidungen zudem neben ökonomischen auch politische Überlegungen zugrunde. Offenbar sieht sie ihren Auftrag darin, die Eurozone in ihrer derzeitigen Zusammensetzung zu erhalten, wie die whatever-it-takes-Rede von EZB-Chef Mario Draghi aus dem Jahr 2012 gezeigt hat. Daher muss die EZB nolens volens Rücksicht auf die wirtschaftlich prekäre Lage der schwachbrüstigen Südländer und ihrer kippligen Banken nehmen. Dass die Südländer im Rat der EZB die Mehrheit besitzen, zementiert die Politisierung des Zinses.  

Heterogene Zeitpräferenzen und ein politisierter Einheitszins markieren eine ökonomische Fehlkonstruktion, deren inhärente Fragilität und Rettungsbedürftigkeit den politischen Zusammenhalt der Gesellschaften in Europa gefährden. Kann die Eurozone trotzdem überleben? Vielleicht. Doch der Preis dafür sind immerzu wiederkehrende Krisen, ökonomische Deformationen und eine schleichende Wohlstandserosion. Die entscheidende Frage ist daher: Wie lange machen die Menschen in Europa das mit?

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