Die Europäische Zentralbank (EZB) fügt ihrer ultralockeren Geldpolitik bald einen weiteren Baustein hinzu. Ab Juni werden den Geschäftsbanken des Euro-Raums langfristige Kredite zum Nulltarif angeboten. Mit den großen Geldsalven will die EZB insbesondere die Kreditvergabe an die Wirtschaft anschieben. Bank-Manager erwarten, dass die Langfristdarlehen vor allem in Südeuropa Anklang finden, wo Banken erst langsam die Folgen der Euro-Schuldenkrise hinter sich lassen. In wirtschaftlich stärkeren Regionen - wie etwa Deutschland - haben Geldhäuser dagegen andere Sorgen: Dort wird eher auf die Kosten geschaut, wenn überschüssige Gelder anfallen und bei der Zentralbank geparkt werden. Denn dann werden Strafzinsen fällig.
Spanien beispielsweise erholt sich gerade von den Jahren der Krise. 2015 wuchs die Wirtschaft mit 3,2 Prozent so stark wie seit Jahren nicht mehr - entsprechend steigt die Nachfrage von Unternehmen und Haushalten nach Darlehen und damit auch der Geldbedarf der Banken. Die Banco de Sabadell mit Sitz bei Barcelona schätzt, bis zu rund 21 Milliarden Euro über das neue EZB-Kreditprogramm abrufen zu können. Der Grund: "Wir erwarten, dass dieses Jahr Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen in unserer Bilanz um drei bis vier Prozent steigen", sagt Albert Coll, Direktor für Marktbeziehungen des Bankhauses. Ähnlich schätzen Experten die Situation in anderen südeuropäischen Ländern wie Portugal und Italien ein.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Die EZB will gleich vier dieser dicken neuen Geldsalven auflegen. Sie tragen die Abkürzung "TLTRO II", was für "targeted longer-term refinancing operations" steht, also für zielgerichtete längerfristige Refinanzierungsgeschäfte. Das letzte TLTRO-II-Geschäft soll März 2017 starten. Dabei gilt der jeweilige Leitzins zum Zeitpunkt der Zuteilung. Momentan sind das null Prozent. Banken erhielten zurzeit also zinslose Kredite. Institute, die mehr Darlehen an Firmen und Haushalte ausreichen, erhalten sogar eine Prämie - in der Spitze wären momentan bis zu 0,4 Prozent möglich. Die Euro-Wächter wollen mit dieser ausgefeilten Konstruktion Anreize schaffen, dass Banken das viele Geld auch tatsächlich in Form von Krediten an die Wirtschaft weitereichen.
Nach Berechnungen des Bankhauses Morgan Stanley könnte die EZB über diese Geldspritzen so bis zu 1,6 Billionen Euro zusätzlich in das Finanzsystem der Euro-Zone pumpen. Die Experten der Citigroup taxieren die Summe auf maximal 1,5 Billionen Euro - für Geldhäuser in Spanien gehen sie dabei von bis zu 150 Milliarden Euro aus.
Dagegen dürfte die Nachfrage in Deutschland eher gering ausfallen. "Das ändert die Spielregeln für deutsche Banken nicht, denn ihre Liquiditätslage war von Anfang an gut", sagt etwa HypoVereinsbank-Finanzvorstand Francesco Giordano. Da Firmen angesichts eines eher mageren Wirtschaftswachstums nur wenig Investitionsmöglichkeiten sehen, bleibt auch der Bedarf an Darlehen eher verhalten. "In Märkten wie Deutschland ist die Kreditnachfrage sehr schwach gewesen", sagt Giordano. So wuchsen bei der HypoVereinsbank (HVB) die Einlagen 2015 mit sieben Prozent doppelt so stark wie das Kreditvolumen gegenüber Kunden. Für das Bankhaus bedeutet dies: Es gibt zurzeit wenig Gründe, um am neuen EZB-Kreditprogramm teilzunehmen.
Giordano zufolge spüren Institute in diesem Umfeld vor allem die Belastungen durch die EZB-Niedrigzinspolitik. Der seit 2014 negative Einlagensatz bedeutet dabei unter anderem, dass das Cash-Management teurer wird. "Unter dem Strich ist die Rate von minus 0,4 Prozent ein direkter Verlust für uns", sagt der HVB-Vorstand. Aktuell haben Banken aber kaum andere Wahlmöglichkeiten. Denn würden sie stattdessen Banknoten in ihren Tresoren horten, würden Kosten für Lagerung, Schutz und Versicherungen anfallen. Da ist der Strafzins immer noch das kleinere Übel.