Europapolitik im Koalitionsvertrag Deutschlands Interessenverzicht ist fatal für Europa

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Planification pur

Im deutschen Koalitionsvertrag wird gefordert: "spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone, die Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein können". Das entspricht genau dem interventionistischen französischen Modell. Das ist Planification pur und das Gegenteil von deutscher Ordnungspolitik.  

Überdeutlich wird der historisch gewachsene deutsch-französische Interessengegensatz an den Vorstellungen von der Währung. Frankreich betont traditionell die Funktion als "Staatsgeld", wonach Interventionen der Notenbank im Interesse der Regierungspolitik erlaubt sind. In Deutschland dagegen versteht (oder besser: verstand) man nach der Erfahrung zweier totaler Entwertungen die Funktion der Währung als möglichst wertstabiles "Bürgergeld", das politisch motivierten Zugriffen entzogen sein muss. Bei der Schaffung der Währungsunion glaubten sich die damaligen Bundesbanker durchgesetzt zu haben. Die Wirklichkeit der Schuldenkrise, also die so genannten Rettungspakete und der Dauerinterventionismus der EZB unter Mario Draghi, zeigt, dass de facto die französische Konzeption gesiegt hat.

Das deutsche Modell der Wirtschafts- und Währungskultur zu bewahren und gegen französischen und EU-bürokratischen Interventionismus zu verteidigen, das wäre neben der Begrenzung deutscher Beiträge und Haftung das zentrale deutsche Interesse innerhalb der EU. Doch mit diesem Koalitionsvertrag wird die endgültige Kapitulation schon angekündigt.

Das ist nicht Frankreich oder anderen EU-Staaten vorzuwerfen. Macron tut, was seinem Amt als Staatspräsident zukommt: französische Interessen vertreten. Deutschland müsste dem eben mit seinen eigenen Interessen entgegentreten – um schließlich ein akzeptables Arrangement zu finden, das alle nationalen Wirtschaftskulturen berücksichtigt.

Dass Martin Schulz und die anderen Autoren des Europakapitels im Koalitionsvertrag dies nicht zu tun gewillt sind, bedeutet nicht großes Europäertum, sondern einen fatalen deutschen Sonderweg, dem kein anderes Land folgen wird. Ein tragfähiger Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Wirtschaftskulturen wird dadurch unmöglich. Aus offen verhandelten werden vertuschte Konflikte - mit großem Potential für die Entstehung von Ressentiments und radikalen politischen Bewegungen.       

Die Europäische Einigung war, so zumindest die Absicht ihrer Gründerväter, ein Rahmen zur friedlichen Einhegung und zum Ausgleich nationaler Interessen – nicht zuletzt deutscher und französischer. Aber nicht zu deren Abschaffung. Der ordoliberale Denker Wilhelm Röpke warnte schon 1962, "daß es das Wesen Europas ausmacht, eine Einheit in der Vielfalt zu sein, weshalb dann alles Zentristische Verrat und Vergewaltigung Europas ist, auch im wirtschaftlichen Bereiche."

Die europapolitische Selbstlosigkeit der künftigen deutschen Regierung untergräbt nicht nur die bewährte eigene ordoliberale Wirtschaftskultur. Sie schadet nicht nur den eigenen Bürgern und vor allem deren Nachkommen, denen sie unverhältnismäßige Lasten aufbürdet. Die Verleugnung eigener nationaler Interessen ist auch uneuropäisch. Die EU kann nur langfristig bestehen und gedeihen, wenn ihre Akteure die historisch gewachsene Mannigfaltigkeit der nationalen (Wirtschafts-)Kulturen und Interessen als Realität akzeptieren – statt auf illusionäre Ideale zu setzen, die quer zur europäischen Erfolgsgeschichte liegen.

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