EU-Personalfragen weiter offen
Der EU-Gipfel ist mit seinem Paket für Brüsseler Spitzenposten gescheitert. Die Staats- und Regierungschefs wollen sich nun bei einem weiteren Sondertreffen am 30. August auf einen neuen Außenbeauftragten und einen neuen Ratspräsidenten einigen. Das kündigte Gipfelchef Herman Van Rompuy am frühen Donnerstagmorgen in Brüssel an. Offen bleibt auch, wer neuer Währungskommissar wird und ob der niederländische Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem abgelöst wird.
„Wir waren noch nicht an einem Punkt, an dem eine Konsens-Lösung für das gesamte Paket der Nominierungen möglich war“, bilanzierte der Belgier, dessen Mandat Ende November ausläuft.
Das sind Brüssels Top-Jobs
Jean-Claude Juncker ist neuer Chef der EU-Kommission. Der Luxemburger setzte sich erst bei den Europawahlen durch, dann bei einer Kampfabstimmung auf dem EU-Gipfel und schließlich auch beim Votum im EU-Parlament. Damit wird der 59-Jährigen Nachfolger von José Manuel Barroso werden und von November an die EU-Behörde leiten. Juncker hat sich und seine Politik in der vergangenen Woche vor den sieben Fraktionen des Parlaments vorgestellt. Er kündigte eine Reihe von Veränderungen an. Unter anderem will er den Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Möglichkeit aus der Troika heraushalten, die die Sanierungsbemühungen von Schuldenstaaten überwacht. Stattdessen soll die Eurogruppe - also die Finanzminister der Staaten mit Eurowährung - in der Troika vertreten sein. Juncker erklärte sich auch zu Verhandlungen mit Großbritannien über die Rück-Übertragung von Zuständigkeiten an die nationalen Regierungen bereit. Die Grundprinzipien der EU - die Freizügigkeit für Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital - sind für Juncker jedoch nicht verhandelbar.
Jeder der 28 EU-Staaten stellt einen Kommissar. Besonders begehrt ist der Posten des EU-Außenbeauftragten, also des europäischen Außenministers. Derzeit hat die Britin Catherine Ashton das Amt inne. Die medienscheue Sozialdemokratin trat den Posten ohne große außenpolitische Erfahrung an und wurde besonders zu Beginn als zu zögerlich kritisiert. Für Ashtons Nachfolge wurde die erst 41-jährige italienische Außenministerin Federica Mogherini gehandelt, die allerdings erst seit ein paar Monaten Erfahrung in ihrem Amt sammelt und zunächst scheiterte. Als Alternative gilt die derzeitige EU-Kommissarin für internationale Hilfe, Kristalina Georgieva. Die Bulgarin würde zudem den Osten Europas in den Spitzenämtern vertreten.
Der Präsident der Eurogruppe muss einerseits in dem Gremium der Euro-Finanzminister eine Spaltung zwischen Krisenstaaten und Musterschülern vermeiden, andererseits finanzpolitische Versäumnisse deutlich kritisieren. Und dabei muss sich der Amtsinhaber bewusst sein, dass seine öffentlichen Äußerungen von Investoren aufmerksam verfolgt werden und die Finanzmärkte bewegen können. Bisher kam der Präsident der Eurogruppe aus dem Kreis der Finanzminister, derzeit besetzt den Posten der niederländische Ressortchef Jeroen Dijsselbloem. Doch Medienberichten zufolge gibt es im Kreis der Euro-Finanzminister Kritik an seiner Amtsführung - Dijsselbloem vertrete zu sehr die Interessen seines eigenen Landes.
Offiziell endet das Mandat des Sozialdemokraten Mitte 2015. Überlegt wird aber offenbar, Dijsselbloem abzulösen und durch einen hauptamtlichen Vorsitzenden der Eurogruppe zu ersetzen. Das hätte dann den Vorteil, dass kein amtierender Finanzminister mehr die Geschäfte des wichtigen Eurozonen-Gremiums leitet. Als möglicher Kandidat gilt der aktuelle spanische Finanzminister Luis de Guindos. Eine Berufung des Konservativen dürfte vor allem von südlichen Krisenländern unterstützt werden.
Der stille Belgier Herman Van Rompuy hat seit Ende 2009 das zuvor neu geschaffene Amt des ständigen EU-Ratspräsidenten inne. In der Funktion organisierte und leitete der Christdemokrat die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU und lotete vor allem auch während der Schuldenkrise Kompromisse aus - eine wichtige Aufgabe, die Van Rompuy als früherer Regierungschef im chronisch zerstrittenen Belgien meist geräuschlos erledigte, ohne ins Rampenlicht zu drängen. Gerade das dürfte den Staats- und Regierungschefs an dem 66-Jährigen gefallen haben, dessen Mandat am 30. November endet.
Da der Christdemokrat Juncker die Kommissionsspitze übernimmt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Van Rompuys Nachfolger aus einem anderen politischen Lager kommt. Im Rennen ist die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Dänemarks, Helle Thorning-Schmidt. Ihr Nachteil ist jedoch, dass sie nicht aus einem der 18 Euro-Länder kommt. Genannt werden auch der sozialdemokratische Kanzler Österreichs, Werner Faymann, der liberale Ex-Ministerpräsident Estlands, Andrus Ansip, und der ebenfalls liberale niederländische Regierungschef Mark Rutte.
Der Gipfel zeigt somit erneut, wie schwer es ist, in Europa Entscheidungen durchzusetzen, „weil sich 28 Länder einigen müssen", wie die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmid zerknirrscht zu Protokoll gab. Dabei hatte es schon vor dem Gipfeltreffen am Mittwochabend zahlreiche Gespräche um die Besetzung von Europas Top-Jobs gegeben: Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach mit Polens Premier Donald Tusk, der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sondierte für die Konservative die Lage und die Linken um Vizekanzler Sigmar Gabriel, Italiens Regierungschef Matteo Renzi und der französische Präsident Francois Hollande verabredeten, die italienische Außenministerin Federica Mogherini als neue Außenbeauftragte der Europäischen Union durchboxen zu wollen. Renzi äußerte dann auch deutliche Kritik am Gipfelmanagement: „Sie haben uns hierherkommen lassen für eine Einigung, die es dann nicht gegeben hat.“
"Ein bisschen unglücklich"
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchte, zu beruhigen. Es sei wichtig gewesen, bei dem Spitzentreffen eine erste Diskussion zu haben. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann auch zu Entscheidungen kommen“, betonte sie mit Blick auf den neuen Termin Ende August. „Es ist ein bisschen unglücklich, aber nicht dramatisch, überhaupt nicht dramatisch“, meinte Van Rompuy zu den Gipfelberatungen.
Vor allem die baltisches Staaten und Polen blockierten mit ihrem Veto gegen die Berufung Mogerinis eine Einigung. Ihre Begründung: die mangelnde Erfahrung der Italienerin und eine zu russlandfreundliche Haltung.
Zahlen zur EU
... Angestellte zählt die EU-Kommission, darunter 25.000 Beamte.
... soll der EU-Haushalt von 2014 bis 2020 verschlingen.
... netto zahlen die Deutschen jährlich für die EU (2010).
... der Deutschen glauben, dass der Euro ihnen "eher schadet".
Man könnte an dieser Stelle also von den zerstrittenen Staaten von Europa sprechen, genüsslich darauf verweisen, wie träge und handlungsunfähig der Brüsseler Staatenbund ist - oder aber: Man bewertet den Gipfelstreit positiv und freut sich, dass Europa eine zweite Chance bekommt und noch einmal intensiv über die Postenbesetzung diskutieren kann. Denn seien wir ehrlich: Die bisher gehandelten Personen hätten Europa nicht gestärkt, sondern die EU und auch den Euro geschwächt.
Mogherini ist erst seit Ende Februar Außenministerin und hat noch kaum (außen-)politische Erfahrung – so wie ihre Vorgängerin Catherine Ashton anno 2009. Als die Britin vor fünf Jahren in das Amt gehoben wurde, prasselte Kritik auf Brüssel ein. Sie sei „ohne jede Erfahrung“ und eine „Beileidung“, schrieb die spanische Zeitung „El Mundo“, „eine Frau, die über keine – aber gar keine – diplomatische Erfahrung verfügt, monierte die polnische Tageszeitung „Rzeczpospolita“. Die Befürchtungen haben sich längst bestätigt. Zu keinem Zeitpunkt konnte Ashton den Anspruch erfüllen, für die Europäische Union zu sprechen. Sie blieb blass, selbst in der Ukraine-Krise war von der Außenministerin der EU nichts zu hören. Ihre Ablösung ist überfällig. Doch Europa braucht keine sympathische, aber unerfahrene italienische Politikwissenschaftlerin, sondern einen erfahrenen Diplomat - ganz gleich, aus welchem Mitgliedsland oder welchen Geschlechts.
Wichtiger als die Ernennung Mogherinis ist die Neubesetzung des Postens als oberster Kassenhüter der Euro-Zone. Hier könnte der Niederländer Jeroen Dijsselbloem abgelöst werden. Wie bei Ashton kann man sagen: endlich.
Das ist Jeroen Dijsselbloem
Der niederländische Finanzminister heißt mit vollem Namen: Jeroen René Victor Anton Dijsselbloem. Er wurde am 29. März 1966 in Eindhoven geboren.
Dijsselbloem ist in einer katholischen Lehrerfamilie aufgewachsen. Er gilt als werte-konservativ. Seit seiner Attacke auf die Musiksender, die seiner Meinung nach sexistisch sind, wird er in den Niederlanden „Mister Normen und Werte“ genannt.
1992 wurde Jeroen Dijsselbloem Mitglied der Delegation der Partei der Arbeit (PvdA) im Europäischen Parlament in Brüssel. Ab 1992 war er drei Jahre lang Referent für Raumordnungspolitik (Umwelt, Landwirtschaft, Natur) der PvdAFraktion im niederländischen Abgeordnetenhaus. Später kümmerte er sich um die Themen Bildung und Jugendhilfe.
Der niederländische Finanzminister schockte die Sparer Ende März 2013, als er auf dem Höhepunkt der Zypern-Krise, fabulierte, Banken dürften durchaus Pleite gehen, auch Kleinsparer sollten damit rechnen und nicht durch den Steuerzahler oder Sonderfonds geschont werden. Ganz Europa war aufgeschreckt, die Staats- und Regierungschefs sprachlos. Die Frage ist also nicht, ob es gut ist, dass Dijsselbloem auf einem zentralen Posten der Eurogruppe abgelöst werden soll – sondern ob der Spanier Luis de Guindos, der als Favorit gehandelt wird, der richtige Mann ist.