Lassen Sie mich ein bisschen weiter ausholen: Die Lage im Euroraum zu charakterisieren, ist keine erfreuliche Angelegenheit. Seit mehr als sechs Jahren leidet der Währungsraum an einem sehr schwachen Wachstum. Zusammen mit den nun stark fallenden Ölpreisen hat das die Inflationsrate nahe an die Nulllinie gebracht.
Die Europäische Zentralbank hat sich selbst unter den Zwang gesetzt, mit allen verfügbaren Möglichkeiten die Gefahr einer Deflation abzuwehren und das Wachstum zu stimulieren. Damit strapaziert sie ihr Mandat bis an die Grenzen und setzt ihre Glaubwürdigkeit – das wichtigste Gut jeder Zentralbank – aufs Spiel.
Falsche Wirtschafts- und Strukturpolitik
Die Misere wurde durch eine falsche Wirtschafts- und Strukturpolitik in Teilen des Euroraums verursacht. Nur hier ist die Lösung für die Probleme zu finden. Unglücklicherweise wird diese Einsicht aber nicht in allen Mitgliedsländern geteilt – die Gemeinschaft zerfällt zunehmend in zwei Lager mit schwer vereinbaren Hauptströmungen.
Die Länder, die hauptsächlich durch strukturelle Reformen und Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit vorankommen wollen – und die notwendigen Reformen auch von den anderen einfordern – berufen sich auf einen marktwirtschaftlichen Ansatz, in dem man sich durch hohe Wettbewerbsfähigkeit eine starke Stellung in der zunehmend globalisierten Welt erarbeitet und damit auch ein Wohlstandsniveau schafft, das ein hohes Niveau der sozialen Sicherung ermöglicht.
Deutschland und Großbritannien sind die wichtigsten Wortführer dieses Lagers. Im anderen Lager, angeführt von Frankreich, glaubt man eher an staatliche Interventionen und eine mehr vom Staat als von einem individualisierten Unternehmertum angetriebene wirtschaftliche Entwicklung.
So wichtig ist Schottland für die deutsche Wirtschaft!
Die jährliche Wirtschaftsleistung beträgt rund 131 Milliarden Pfund - umgerechnet fast 165 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Berlin und Brandenburg zusammen.
Deutschland exportierte 2013 Waren im Wert von umgerechnet gut fünf Milliarden Euro nach Schottland. "In der Rangliste unserer wichtigsten Kunden würde Schottland einen Platz unter den ersten 50 belegen", sagt der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. "Und zwar noch vor Staaten wie Irland und Griechenland." Großbritannien insgesamt steht mit einem Volumen von knapp 76 Milliarden Euro an Nummer drei, hinter Frankreich und den USA, aber noch vor den Niederlanden und China. Die Schotten kaufen vor allem deutsche Maschinen und Fahrzeuge, aber auch chemische Produkte.
Schottland lieferte 2013 Waren im Wert von etwa drei Milliarden Euro in die Bundesrepublik. Das würde zu einem Platz unter den 50 wichtigsten deutschen Lieferanten reichen, noch vor Australien oder Saudi-Arabien.
Alkohol ist tatsächlich ein großer Exportschlager. Nummer eins sind zwar Maschinen und Fahrzeuge. Nach Angaben der Scotch Whisky Association wurde 2013 Whisky im Wert von 172 Millionen Pfund (216 Mio Euro) nach Deutschland exportiert. Die Bundesrepublik ist damit fünftgrößter Abnehmer hinter den USA, Frankreich, Singapur und Spanien.
Mehr als 200, sagt DIHK-Experte Treier. "Davon wiederum sind knapp 40 hundertprozentige Töchter von Industrieunternehmen wie BASF, Bosch und Evotec." Insgesamt beschäftigen die deutschen Firmen rund 20.000 Mitarbeiter in Schottland.
Nun hat es sich in den vergangenen Jahren ergeben, dass das marktwirtschaftliche Wirtschaftsmodell erfolgreicher war als das staatliche Interventionsmodel. Leider wurden aber dennoch nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen, also die Wirtschaftspolitik in den interventionistisch eingestellten Ländern in Richtung marktwirtschaftlicher Elemente angepasst.
Stattdessen werden zunehmend Rufe nach Transferleistungen laut: Die starken Länder sollen die schwächeren unterstützen. Diese Forderungen kommen auf den unterschiedlichsten Ebenen zum Ausdruck. Im weitesten Sinne kann man auch die Aktionen der EZB dazu rechnen.
Haften für die EZB-Risiken
Denn deren günstige Effekte wirken sich in erster Linie bei den wirtschaftlich schwächeren Ländern aus, während am Ende prinzipiell alle, de facto aber die leistungsfähigeren Länder am stärksten für die Risiken in der EZB Bilanz haften. Ein anderer Ausdruck dieser wirtschaftspolitischen Grundeinstellung sind Forderungen nach höheren staatlichen Investitionen und einem stärkeren Engagement in europäischen Investitionsprogrammen, bis hin zu einer Transferunion.
Gegen eine Transferunion ist grundsätzlich nichts einzuwenden, solange die Geberländer nicht übermäßig belastet werden und die Empfängerländer die Unterstützung nutzen, um sich strukturell weiterzuentwickeln und so an eigener wirtschaftlicher Dynamik zu gewinnen.
Die historische Erfahrung gibt leider auch hier wenig Grund zu der Annahme, dass das funktionieren kann. Wenn der Anreiz für zum Teil schmerzhafte Reformen fehlte, bliebe die Belastung für die wirtschaftlich erfolgreichen Länder dauerhaft hoch, ohne dass für den Wirtschaftsraum als Ganzes etwas erreicht wäre.
Aber so pessimistisch muss man nicht sein. Immerhin ist mit der Schaffung der Europäischen Währungsunion etwas gelungen, was zuvor viele für unmöglich gehalten hatten. Europäische Solidarität sollte eigentlich bedeuten, dass eine Einigung möglich ist, bei der die Stärkeren zunächst Vorleistungen erbringen und die Schwächeren sich auf Reformen verpflichten und dieser Pflicht auch nachkommen.
Politisch ist ein solcher Pakt schwierig. Die Richtungsentscheidung muss auch von den Bürgern in den Ländern mitgetragen werden. Ansonsten dürften Kräfte an beiden Enden des politischen Spektrums an Stärke gewinnen. In den Geberländern wären es diejenigen, die gegen jegliche Art von Transfers sind und die Gemeinschaft im Prinzip auf eine einfache Freihandelszone reduzieren wollen.
In den Empfängerländern werden dagegen die Parteien am anderen Ende des Spektrums profitieren, die wirtschaftspolitische Reformen als unsozial ablehnen und stattdessen mehr Transfers fordern. Ironischerweise kann es dann sogar politische Konstellationen geben, in denen die beiden Strömungen auf europäischer Ebene kooperieren.
Mir scheint, wir sind inmitten dieses Prozesses – mit ungewissem Ausgang. Im Hintergrund und kaum ausgesprochen, aber den Verantwortlichen durchaus bewusst ist das Szenario, in dem Deutschland sich durch die Transferansprüche überfordert sieht und den Euroraum verlässt.
Der Preis dafür wäre sehr hoch, wirtschaftlich wie politisch, aber Deutschland hätte anders als viele andere Euroländer die Stärke, ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu überstehen.
Großer Verbündeter geht Deutschland verloren
Da sich das niemand wünschen kann, müsste Deutschland sich bemühen, in dem Wettstreit der beiden Lager mehr und stärkere Verbündete zu finden. Von den Grundeinstellungen her ist Großbritannien ein solcher Verbündeter.
Die wirtschaftspolitische Ausrichtung beider Länder folgt stark den marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wenn beide gemeinsam ihr Gewicht in die Waagschale werfen, kann sich diese neigen und den Forderungen der mehr staatswirtschaftlich und interventionistisch denkenden Länder etwas von ihrem Gewicht nehmen.
Deshalb ist die aktuelle Diskussion in Großbritannien über einen möglichen Austritt aus der EU sehr relevant für Deutschland. Falls Großbritannien die EU verlassen würde, verlöre Deutschland einen wichtigen Partner.
Großbritannien
2013: 1,4 Prozent
2014: 2,6 Prozent
2013: 2,6 Prozent
2014: 2,3 Prozent
2013: 7,7 Prozent
2014: 7,3 Prozent
IHS Global Insight
Dabei liegen die wirtschaftlichen Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für Großbritannien auf der Hand. Die Verflechtungen Großbritanniens mit den übrigen EU-Mitgliedsstaaten im Außenhandel sind sehr eng: 45 Prozent aller britischen Exporte gehen in die Europäische Union – bei den Importen sind es sogar über 50 Prozent.
Damit ist die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner des Vereinigten Königreichs, weit vor den Vereinigten Staaten mit rund 13 Prozent. Betrachtet man die Länder einzeln, dann nehmen die USA zwar die Spitzenposition des wichtigsten Absatzmarktes ein, aber dicht gefolgt von Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Irland.
Ein Teil der EU-Skeptiker in Großbritannien sieht – ausgehend von der Annahme, dass die Insel ohnehin kein Teil Europas ist – die Zukunftschancen für die britische Wirtschaft in einer stärkeren Orientierung auf außereuropäische Partner, insbesondere die USA und die im Commonweath lose kooperierenden Regionen des früheren britischen Imperiums.
Unterstützung gibt dabei das Argument, dass in den letzten Jahren der Handel mit EU-Ländern relativ an Bedeutung verloren hat; noch 2006 gingen rund 54 Prozent der britischen Exporte in die EU. Das mag einerseits an der ausgeprägten Nachfrageschwäche in zahlreichen Euro-Ländern liegen, andererseits daran, dass die britische Wirtschaft zunehmend die Schwellenländer als Absatzmärkte entdeckt hat, die sie noch kurz nach der Jahrtausendwende sträflich vernachlässigt hat.
Inzwischen setzt Großbritannien etwa neun Prozent seiner Exporte in den BRIC-Staaten ab. Insgesamt ist die britische Wirtschaft nicht so stark außenhandelsorientiert wie beispielsweise die deutsche. Während in Deutschland das gesamte Handelsvolumen beinahe so hoch ist wie die nominale Wirtschaftsleistung, liegt es in Großbritannien bei etwa 65 Prozent des BIP.
Die aktuelle Diskussion wird aber gar nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt, sondern ist mehr politisch motiviert. Das (tatsächliche oder vermeintliche) Eingreifen der EU in die nationale Gesetzgebung heizt die EU-skeptische Stimmung an – aktuell gerade am Beispiel der Einwanderungspolitik und der Freizügigkeit von EU-Bürgern.
Großbritannien hatte sich eher aus wirtschaftlichen als aus politischen Gründen für den Eintritt in die EU entschieden und hat sich nie mit dem Gedanken angefreundet, dass damit auch die Weichen in Richtung einer teilweisen Aufgabe von politischer Souveränität gestellt sind.
Je mehr sich der Eindruck des „Hineinregierens“ aus Brüssel und Berlin in Großbritannien verfestigt, desto größer wird die Gefahr, dass die Befürworter eines Austritts aus der EU die Überhand gewinnen. Angesichts des dem zurzeit teilweise ungeschickten Agieren der britischen Regierung sollte man in Deutschland aber nicht übersehen, dass es auch in dieser Hinsicht grundsätzliche Gemeinsamkeiten gibt.
Die Diskussion über einen Austritt Großbritanniens aus der EU könnte in der jetzigen Phase des Euroraumes entscheidend dafür sein, in welche Richtung der Euroraum geht – in eine marktwirtschaftlichen Richtung oder in Richtung mehr Transferunion. Falls die Befürworter der letzteren Position die Überhand gewinnen, ist der Bestand des Euroraumes ernsthaft gefährdet. Denn Deutschland könnte dies auf Dauer nicht mittragen – und ohne Deutschland ist das Modell der Transferunion nicht durchhaltbar.