Europas Zukunft "Deutschland muss seine Interessen besser vertreten"

Die Ökonomen Marcel Fratzscher und Markus C. Kerber streiten über die Zukunft Europas. Quelle: Illustration: Mario Wagner

Frankreich fordert mehr Risikoteilung und gemeinsame Haftung in Europa. Wie soll Deutschland darauf reagieren? Ein Streitgespräch mit den Ökonomen Markus C. Kerber und Marcel Fratzscher im WirtschaftsWoche-Club.

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Professor Fratzscher, Professor Kerber, bevor wir über die Zukunft der Europäischen Union reden: In welchem Zustand sehen Sie Europa heute?
Fratzscher: Europa boomt! Wir haben die schwere Krise überwunden, auch die viel gescholtene Geldpolitik der EZB hat vieles richtig gemacht. Aber bevor wir zu euphorisch werden: Die Geburtsfehler des Euro haben wir noch nicht korrigiert. Es gibt noch viel zu tun, etwa bei der Bankenunion. Jetzt geht es um die letzten, großen Schritte, um die EU zu vollenden – und um eine bessere Balance aus Subsidiarität, Eigenverantwortung und Integration.

Kerber: Wir sind an einer Wegscheide angelangt, da haben Sie recht. Bei dem, was daraus folgen sollte, hören unsere Gemeinsamkeiten allerdings schon auf. Die Frage ist doch: Will Europa weitergehen im Geiste der Freiheit und einer beschränkten Integration – oder soll die EU unwiderruflich zu einer bundesstaatlichen Haftungsunion werden? Für mich ist klar: Gehen wir den Weg in die Haftungsunion, verliert die europäische Idee das Volk. Der wachsende Populismus auf dem Kontinent ist ein Warnsignal, das wir nicht überhören dürfen!

Welche Rolle spielt die Politik der EU-Kommission für die zunehmende Anti-EU-Stimmung?
Kerber: Es herrscht in Brüssel eine administrative Dekadenz, weil die Kommission nach Pariser Modell aufgebaut ist. Und es gibt eine politisch unfassbare Abgehobenheit, die sich für mich vor allem an einer Person festmacht: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Wer ihm lauscht, hört das Programm des Sozialismus: Lasst uns weiter voranschreiten, wir sind fast am Ziel. Auf diesem Weg wird nur leider das regelgebundene Europa zerstört.

Zu den Personen

Fratzscher: Das sehe ich anders. Es geht dabei ja nicht um mehr Vergemeinschaftung, sondern um eine kluge Balance zwischen Regeln und Solidarität. Bedenken Sie: Europa ist klein im globalen Maßstab. Wir werden uns nur behaupten, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Wenn also Beitrittsländer die Kriterien für die Währungsunion erfüllen, sollte man sie auch aufnehmen – aber auch nur dann.

Kerber: Herr Fratzscher, machen Sie die Augen auf! Die Entwicklung des Euro zeigt überdeutlich, dass es ein abenteuerliches Experiment war, eine einheitliche Währung über einen so heterogenen Wirtschaftsraum zu stülpen. Der Stabilitätspakt existiert nur noch auf dem Papier. Ohne üppige Transfers wird die Euro-Zone nicht beisammenbleiben. Und da wird es dann sehr konkret. Wollen die Deutschen wirklich mit ihren soliden Sparkassen-Einlagen für zypriotische Banken haften? Ich glaube nicht.

Wie beurteilen Sie die Ideen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, mehr gemeinsame Haftung und Risikoteilung in Europa zu schaffen?
Kerber: Ich kenne Macron schon viele Jahre – seit er stellvertretender Generalsekretär im Élysée war. Als Präsident benimmt er sich wie ein Autokrat. Er will nicht nur in Frankreich den Ton angeben, sondern in ganz Europa. Das ist der alte französische Traum, Deutschland über Brüssel in den Griff zu bekommen.

Mit Verlaub: Konstruieren Sie da nicht einen Konflikt, der gar nicht existiert?
Kerber: Nein. Die DNA der französischen Eliten ist vollkommen anders als die der Deutschen. Allein wie Macron mit einigen Äußerungen in die deutsche Regierungsbildung hineingefunkt hat – eine einzige Instinktlosigkeit, die ich mir nur mit Überheblichkeit erklären kann.

Fratzscher: Herr Kerber, Ihre Einschätzungen zu Frankreich und Macron sind grundfalsch. Schon der Ton stört mich. Wir sollten anerkennen, was Macron im eigenen Land an Reformen leistet. Was heißt denn das in letzter Konsequenz, was Sie hier unterstellen? Dass wir den Euro abwickeln sollen? Zurück zum Europa der Vaterländer? Das ist doch keine realistische und auch keine wünschenswerte Option. Wir müssen die Fehler in der Architektur der Währungsunion korrigieren. Das ist der einzig sinnvolle Weg.

Braucht es für eine funktionierende Einheitswährung denn überhaupt eine politische Union?
Fratzscher: Nein, die ist nicht nötig. Übrigens auch keine Transferunion. Was wir hingegen benötigen, ist eine Versicherungsunion. Die umstrittene gemeinsame Einlagensicherung für Banken folgt genau diesem Prinzip: Es gibt zunächst einen nationalen Topf, der im Krisenfall angezapft wird. Erst wenn der nicht ausreicht, greift ein europäischer Topf. Wobei Länder mit größeren Bankenrisiken natürlich auch größere Reserven aufbauen müssen.

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