Europawahl Der riskante Alleingang der AfD

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Die Basisfinnen könnten als Vorbild für die AfD dienen

Parteichef Timo Soini hat es dennoch geschafft, mit diesem Sammelsurium an Widersprüchen dauerhaften Erfolg zu feiern. Vielleicht, weil er selbst so ein lebender Widerspruch ist: Soini selbst ist gläubiger Katholik, damit Angehöriger einer absoluten Minderheit im protestantischen Finnland. Trotzdem hat er es zu einer der Kernforderungen gemacht, das Pflichtfach Schwedisch, ein Zugeständnis an die andere wichtige Minderheit, in finnischen Schulen abzuschaffen. Bei der Europawahl 2009 erreichte die Partei fast 15 Prozent der Stimmen, auch bei der folgenden Präsidentenwahl kam Soini auf knappe zehn Prozent. Wenn im nächsten Jahr Parlamentswahlen sind, wird in Finnland fest damit gerechnet, dass die Partei Teil der Regierungskoalition wird. Anders als die AfD sind die Basisfinnen bereits eine verhältnismäßig alte Partei: 1995 gingen sie aus der Bauernpartei hervor, die bereits in den Siebzigerjahren für Furore gesorgt hatte.

Das ist Timo Soini

Immer wieder kommt es in der Partei zu ähnlich heftigen Konflikten, wie sie gerade die AfD erlebt, sogar an der Spitze der Partei. So ist der zweite starke Mann in der Parlamentsfraktion der Basisfinnen Jussi Halla-aho, ein Blogger aus der Hauptstadt Helsinki, deutlich radikaler als Parteichef Soini, insbesondere in Fragen der Immigration. Immer wieder leisten er und sein Umfeld sich Ausfälle, die in der finnischen Öffentlichkeit für einen Aufschrei sorgen. So brachte Halla-aho in seinem Blog 2011 den islamischen Propheten Mohammed in den Zusammenhang mit Pädophilie, Somaliern schrieb er einen genetischen Hang zum Vergewaltigen zu. Wenig später stand er wegen Rassendiskriminierung vor Gericht. Parteichef Soini distanzierte sich sofort, wie er bei jeder rechtsradikalen Äußerung eines Parteimitglieds tut. Mit einem Versuch, Halla-Aho aus der Führung der Partei zu drängen aber scheiterte er.

Denn vor Gericht fühlte sich Halla-aho plötzlich missverstanden, der Vergleich sei als satirische Replik auf den Eintrag eines linksliberalen Bloggers zu verstehen. Er kam mit einer Geldstrafe von gut 300 Euro davon. Der Partei schadete die Affäre kein bisschen – im Gegenteil. Aus dem Skandal wurde ein Mosaikstein in der großen Erzählung von der Medienverschwörung gegen die Partei. „Jussi spricht aus, was er denkt und achtet dabei nicht immer genau auf seine Wortwahl“, erklärt der Fraktionsvorsitzende der Partei, Jari Lindström. „Das nutzen manche Politiker und Journalisten aus, um ihm Rassismus zu unterstellen.“ 

So gelingt der Partei sogar das Unmögliche, sie profitiert von einem schwelenden Führungskonflikt. Gemäßigte Protestwähler stimmen für die Wahren Finnen, weil sich Soini von allen radikalen Umtrieben konsequent fernhält. Sogar in anderen Parteien findet sich kaum einer, der die Basisfinnen als gefährlich ansieht. Es ist nicht anrüchig, für die Partei zu stimmen. Auch die radikalen Kräfte aber fühlen sich von der Partei vertreten. So hat sich Halla-aho  von jeder seiner radikalen Positionen später zwar selbst distanziert oder sich sogar entschuldigt. Letztlich steigert dieses öffentliche Widerrufen aber sogar die Wirkung: Die Gemäßigten akzeptieren es als Missverständnis, die Radikalen sehen dahinter Kalkül und betrachten den Flügel der Partei als Brüder im Geiste.

So wird auch jeder AfD-Sympathisant Schnittmengen mit den EU-Kritikern im Norden finden. Eine Kooperation dürfte damit langfristig ebenso "nicht ausgeschlossen" sein (O-Ton Pretzell über ein Bündnis mit UKIP) wie mit den britischen Brüssel-Gegnern. Polit-Kenner Nicholas Startin hält die gemäßigten Rechten damit für die "größere Gefahr für Europa", als die Rechtsextremen um Wilders und Le Pen. "UKIP, AfD & Co. können die EU wirklich herausfordern", sagt Startin. Offen bleibt, ob die AfD-Spitze dies zulässt.

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