




Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde für die Europawahl für verfassungswidrig erklärt. Laut den Karlsruher Richtern verstößt die Sperrklausel gegen die Chancengleichheit der politischen Parteien – und gegen das Gebot, das jede Stimme des Wählers gleichen Einfluss haben muss. Das Urteil fiel denkbar knapp mit fünf zu drei Richterstimmen aus. Bei der nächsten Europawahl am 25. Mai wird in Deutschland damit – anders als in den meisten anderen EU-Ländern – voraussichtlich gar keine Sperrklausel gelten. Schon 0,5 Prozent der Stimmen in Deutschland könnten dann für einen Sitz im Straßburger Parlament reichen.
Die Folgen sind dramatisch. Ohne die Drei-Prozent-Klausel wird es zu einer weiteren Zersplitterung der politischen Lager im Europäischen Parlament kommen. 2009 hätten ohne Sperrklausel die Freien Wähler (1,7 Prozent der Stimmen), die Republikaner (1,3 Prozent), die Tierschutzpartei (1,1 Prozent), die Familienpartei (1,0 Prozent) und die Piratenpartei (0,9 Prozent) den Sprung ins Parlament geschafft – auf Kosten der großen Blöcke von Sozialdemokraten und Konservative. Sie müssen mit weniger Sitzen auskommen, eigene Mehrheiten werden unwahrscheinlicher. Kurzum: Auch in Brüssel könnte bald eine Große Koalition unausweichlich sein.
Bitterer Beigeschmack: Auch rechtsextreme Kräfte dürften ins EU-Parlament einziehen und sich – finanziert mit Steuergeldern – ein üppiges Gehalt von knapp 8.000 Euro, 4.299 Euro an Spesen und 304 Euro Sitzungsgeld pro Tag genehmigen.
Die kleinen Parteien – wen wundert es – begrüßen dennoch einhellig das Urteil. Sie sehen die Demokratie gestärkt, schließlich wird ein „erheblicher Teil der Wählerstimmen“ nicht mehr unter den Tisch fallen, so Thorsten Wirth, Bundesvorsitzender der Piratenpartei. Die AfD spricht von einem „guten Signal“, die Wahlen würden „demokratischer und gerechter“.
Fakt ist: Die „Alternative für Deutschland“, insbesondere aber die FDP, wird von diesem Urteilsspruch profitieren. Bei der Bundestagswahl im September 2013 hatte die Angst vieler Bürger, sie würden mit einem Votum für die Euro-Kritiker oder die Liberalen ihre Stimme verschenken, den Einzug der beiden Parteien ins Parlament verbaut. Eine beachtliche Zahl von Wählern tritt taktisch an die Urne, nichts ist ihnen wichtiger, als dass ihr Kreuz Gewicht hat. Potenzielle FDP-Wähler haben nun nichts mehr zu befürchten, der Weg der Liberalen ins Parlament ist frei.