




In der letzten großen Debatte zwischen den europäischen Spitzenkandidaten vor der Europa-Wahl ging es heiß her. Das lag allerdings weniger an einer harten inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen Jean-Claude Juncker (Konservative), Martin Schulz (SPD), Guy Verhofstadt (Liberale), Ska Keller (Grüne) und Alexis Tsipras (Linke) als viel mehr an der durchinszenierten und damit reizvollen Diskussionsrunde. Die Regeln sind schnell erklärt: Jeder Kandidat hat eine Minute für das Eingangsstatement. Mit sogenannten 'Jokern' können die Kandidaten in 30 Sekunden auf ein Statement eines Kontrahenten noch mal eingehen. Im Hintergrund zählt eine Uhr knallhart die Sekunden herunter - und die italienische Moderatorin Monica Maggioni hält sich überwiegend an die Vorgaben.
Das Europawahl-Programm der Parteien
Die CDU setzt mit dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister als deutschem Spitzenkandidaten den Schwerpunkt auf Wirtschaft und Finanzen. Sie will den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM und das Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“ erhalten. Eine Vergemeinschaftung der Schulden wird weiter abgelehnt. „Armutswanderung“ in soziale Sicherungssysteme soll verhindert werden. Bürokratie für kleine und mittlere Unternehmen soll abgebaut und mehr Bürgernähe durch eine Vereinfachung der EU-Gesetzgebung geschaffen werden. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei wird abgelehnt.
Die CSU übt inhaltlich wie personell den Spagat zwischen Anti-Brüssel-Propaganda und Bekenntnissen zu Europa: CSU-Vize Peter Gauweiler bedient die Europagegner und soll die AfD neutralisieren, der offizielle Spitzenkandidat Markus Ferber steht für die proeuropäische Seite. Forderungen sind die Rückgabe nationaler Kompetenzen, Bürokratieabbau, die Verkleinerung der Kommission und die Einführung von Volksentscheiden in Deutschland über wichtige Europafragen.
Bei der SPD gibt es mit dem Europaparlaments-Präsidenten Martin Schulz einen zugkräftigen Spitzenmann, er ist auch der europaweite Kandidat der Sozialdemokraten und soll EU-Kommissionspräsident werden. Rechts- wie Linkspopulisten sagt die SPD den Kampf an. Wichtige Ziele sind: strengere Haftungsregeln für Banken, Trennung von Investment- und Geschäftsbankensystem und ein „Finanz-Check“ für alle neuen Finanzprodukte; Entzug der Banklizenz bei Hilfe zum Steuerbetrug; europaweite Mindestlöhne; weniger Bürokratie, mehr Mitsprache und mehr Macht für das Europaparlament.
Die Linke spricht sich für eine grundlegende Neuausrichtung der EU aus. „Europa geht anders. Sozial, friedlich, demokratisch“, heißt ihr Programm. „Wir wollen einen Politikwechsel, damit die EU nicht vornehmlich Eliten an Reichtum und Macht ein Zuhause bietet, sondern sich solidarisch für alle entwickelt.“ Konkret fordert die Partei Mindestlöhne und -renten in der gesamten EU, eine Neuausrichtung der Währungsunion, die Vergesellschaftung privater Großbanken, ein Verbot von Rüstungsexporten sowie die Auflösung der Nato.
Die Grünen stellen den Klima- und Verbraucherschutz, mehr Datensicherheit und Bürgerrechte in den Mittelpunkt. Antieuropäischen Populismus von Rechts und Links konfrontieren sie mit dem „Ziel eines besseren Europas“. Sie wollen die EU weiterentwickeln und die Erweiterungspolitik der EU fortsetzen. Sie wollen ein Europa der erneuerbaren Energien. Der Atomausstieg soll in der gesamten EU vorangetrieben werden. Lebensmittel sollen frei von Gentechnik und Antibiotika sein. EU-weit verpflichtende Herkunftsangaben sollen dabei Transparenz schaffen.
Die FDP will nach dem bitteren Abschied aus dem Bundestag ein kleines Comeback schaffen. In den Umfragen bewegt sich bei den Liberalen aber bislang nichts. Sollte die AfD besser abschneiden, hätte Parteichef Christian Lindner ein Problem. Von einer Schicksalswahl will er aber nichts wissen. Der Hauptgegner sei Schwarz-Rot, nicht die AfD. Inhaltlich tritt die FDP für mehr Bürgerrechte ein, die Vorratsdatenspeicherung soll verhindert werden. Beim Euro soll der Rettungsschirm ESM schrittweise reduziert, zudem ein Austrittsmechanismus für Euro-Länder geschaffen werden.
Die Alternative für Deutschland setzt mit ihrem Slogan „Mut zu D EU tschland“ ein klares Zeichen. Erst geht es um Deutschland, dann um Europa. Ein Austritt aus dem Euro wird für die Krisenländer Südeuropas gefordert. Neue EU-Mitglieder soll es nicht geben, Kompetenzen sollen auf die nationale Ebene zurückverlagert werden. Neben Parteichef Bernd Lucke auf Listenplatz eins soll der frühere Industriepräsident Hans-Olaf Henkel der Partei ein Gesicht geben. Eine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen lehnt die AfD ab.
Zur Inszenierung gehört auch ein 23 Jahre alter Moderator aus Irland, der für Social Media zuständig ist - und zwischenzeitlich immer wieder Grafiken zeigt: Der Hashtag des Duells #TellEurope liegt schon 20 Minuten nach Start auf Platz 5 der Trending Topics in Deutschland und nach 40 Minuten wurden bereits mehr als 58.000 Tweets weltweit verzeichnet; am Ende der Sendung waren es insgesamt 63.000. Über 90 Minuten rasten die Spitzenkandidaten quer durch sämtliche Themen, die im europäischen Diskurs momentan eine Rolle spielen: Krise in der Ukraine, das Freihandelsabkommen mit der USA, Jugendarbeitslosigkeit und Bankenkrise.
Am stärksten in der Diskussion zeigte sich letztlich Alexis Tsipras, griechischer Politiker und Vorsitzender des Synaspismos (SYN), der von der Vereinigten Europäischen Linke/Nordische Grüne Linke aufgestellt wurde. Das Bündnis, das derzeit 18 Parteien aus 13 EU-Ländern umfasst, kann auch wegen der Euro-Schuldenkrise auf Stimmenzuwächse hoffen. Tsipras ist dafür bekannt, gerne einmal gegen die Kanzlerin oder auch gegen den Spardruck auf die Krisenstaaten zu wettern. Am Donnerstagabend zeigt er sich erstaunlich ruhig. In seinem Eröffnungsstatement - er spricht während der Debatte ausschließlich griechisch - sagte er: "Ich komme aus Griechenland, dem Land, das Versuchskaninchen für die stärkste Austerität der europäischen Führung war. Erleben wir in Griechenland nun eine Erfolgsgeschichte oder eine soziale Tragödie?"
Der griechische Politiker hatte dabei aber eine scheinbar leichte Aufgabe: Er kommt eben auch aus einem Land, dessen Bürger besonders unter den Steuererhöhungen und dem Schuldenschnitt gelitten haben. Damit hatte er gegen die gestandenen Politiker schon längst gewonnen und vielleicht traute er sich deshalb auch als Einziger einen Angriff auf die "Troika" zu. Ein insgesamt gelungener und auch überraschender Auftritt. Ein kleiner Wermutstropfen ist da nur, dass Tsipras bislang Debatten eher vermieden hat.