Die Zielrate der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Inflation in der Eurozone liegt bei moderaten zwei Prozent, aber die ist aktuell weit außer Sicht. Die zuletzt berichteten Daten zur allgemeinen Teuerung offenbarten gar leichte Deflation. Daraus aber wird ein Schreckgespenst konstruiert, ein Synonym für den Tod ökonomischer Aktivität - und das dient der Rechtfertigung einer beispiellosen Geldschwemme an den Finanzmärkten.
Offiziell will die EZB Gutes Der Bankensektor soll de facto zum Nulltarif zusätzliche Liquidität erhalten und sich an seine Transmissionsfunktion im Wirtschaftskreislauf erinnern: Günstige Kredite an den Privatsektor vergeben um die Konjunktur zu beleben.
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Frank Träger, 55, berät seit 2002 börsennotierte Small- und Mid-Caps in Kapitalmarkt- und Investor-Relations-Fragen. Zuvor war er Analyst und Fondsmanager beim Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. und beim Versicherungsriesen Axa.
Während in den USA Quantitative Easing (QE) realwirtschaftlich zu funktionieren scheint, versagt es in Japan auf der ganzen Linie. Dort hat es – seit Dezember 2012 unter dem Akronym Abenomics – zu einem Anstieg der Staatsschuld auf fast 230 Prozent der gesamten Wertschöpfung eines Jahres geführt, ohne nennenswertes Wachstum zu schaffen. Seit Frühjahr 2013 sind umgerechnet 1250 Milliarden Euro frischen Geldes aus der Notenpresse der Bank of Japan in die japanischen Märkte geflossen.
Ergebnis: Die OECD prognostiziert für Japan Wachstumsraten von 0,25 Prozent (2014), 0,75 Prozent (2015) und 1,0 Prozent (2016). Eine Wachstumsstimulierung sieht anders aus. Massive strukturelle Probleme in Japan verhindern offenbar ein besseres Ergebnis.
Weitere Stationen im griechischen Schuldendrama
Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB). Dabei könnte eine Aufstockung und Verlängerung der Notfallhilfe für Griechenland bewilligt werden. Die griechischen Banken haben immer größere Probleme, weil Bürger des Landes ihre Konten aus Furcht vor der finanziellen Zukunft abräumen. Seit vergangenen Mittwoch können die Banken griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite hinterlegen, um an frisches Geld zu kommen.
Das Ultimatum der Europartner für Griechenland läuft ab. Bis dahin soll Athen einen Antrag für eine sechsmonatige Verlängerung des Hilfsprogramms stellen - zusammen mit verbindlichen Zusagen.
Das bereits verlängerte Hilfsprogramm der Europäer endet. Aus dem Programm stehen noch 1,8 Milliarden Euro aus.
2,1 Milliarden Euro müssen an den IWF und 1,9 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt werden.
Die Finanzminister der Euro-Zone kommen routinemäßig zusammen, Griechenland dürfte wieder ein Thema sein.
Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU.
Im Juni sind 2,62 Milliarden an Schulden fällig, im Juli 5,12 Milliarden und im August 3,69 Milliarden Euro. 6,68 Milliarden davon sind Schulden bei europäischen Institutionen. Insgesamt muss Athen 2015 rund 22,5 Milliarden Euro zurückzahlen.
Unter strukturellen Problemen leidet auch Europa. Tatsächlich soll der Finanzsektor völlig überschuldete Staaten weiterhin zu obszön niedrigen Zinsen über Wasser halten. Dafür wird den Banken ein regelmäßiger Ausstieg aus ihren „Junk Bonds“ geboten, indem sie die Papiere an die EZB durchreichen können. Die kann dann behaupten kann, sie betriebe keine Staatsfinanzierung, denn sie kaufe die Papiere ja am Sekundärmarkt.
Quantitative Easing - und zuvor schon die Aussicht darauf - schmiert also die Aktivitäten der Marktteilnehmer an den haussierenden Bond- und Aktienmärkten. Es verhindert offizielle Staatspleiten, die faktisch längst eingetreten sind. Und es setzt eine Wirkungskette in Gang, deren tiefere Absicht nur die Erzeugung von massiver Inflation sein kann. Dazu muss der Euro zuerst zu einer Schwachwährung gemacht werden. Die erste Etappe ist erreicht: Der Euro wertete gegenüber dem Dollar binnen Jahresfrist um 17 Prozent ab.
Die europäische Politik signalisiert den Devisenmärkten den klaren Willen zur Schwächung der eigenen Währung. Quantitative Easing als Werkzeug zur Krisenbekämpfung schwächt automatisch die Währung der Krisenregion – vor allem wenn die reine Aufblähung der Geldmenge das einzige Ergebnis sein könnte. Hilfreich auch, dass die Wachstums-und Zinsdifferenzen derzeit ohnehin für den Dollar sprechen.
Wer von der Euroschwäche profitierte
Ist nun der Euro stark genug geschwächt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die steigenden Importpreise in die Binnenwirtschaft hineinfressen und die Inflation anheizen. Europa hat starke Gewerkschaften , und nach der Teuerung kommt der Teuerungsausgleich – mindestens. In Italien weiß noch jeder, was die Scala Mobile ist.
Zugegeben, im Augenblick ist von Inflation keine Spur. Vielmehr bejubeln Ökonomen den Ölpreiskollaps als Konjunkturprogramm für Unternehmen und private Haushalte, aber die Gegenbewegung wird kommen - und ist ansatzweise bereits da. Nachdem im Januar der HWWI-Rohstoffpreisindex gegenüber dem Dezemberdurchschnitt in Dollar ölpreisbedingt noch einmal um 17 Prozent gefallen war, betrug derselbe Preisrückgang in Euro gerechnet nur 11,8 Prozent.
Die volle Wirkung niedriger Rohstoffpreise auf den Weltmärkten kommt in der Eurozone nicht mehr an. Und ihre Halbwertzeit kann in Wochen gemessen werden. Der Ölpreis der Sorte Brent ist in den vergangenen vier Wochen in Dollar gerechnet um gut 25 Prozent gestiegen.
Sicher, die europäische Exportwirtschaft profitiert von der Euroschwäche. Aber ist es nicht vornehmlich der deutsche Exportweltmeister, der Windfall Profits über die Währung erzielt, weil Deutschland und die notleidenden Südländer bekanntlich dieselbe Währung haben und sich so kein vernünftiger Wettbewerbsvorteil der Südländer gewinnen lässt? An den deutschen Export aber denkt EZB-Präsident Mario Draghi aber gewiss nicht an erster Stelle.
Sein Blick ist auf etwas ganz anderes gerichtet: Die Schuldenquote in den Problemländern, also das Verhältnis von Staatsschulden zur jährlichen Wirtschaftsleistung.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
In den Verträgen von Maastricht wurde für diese Kennziffer eine Höchstgrenze von 60 Prozent vereinbart. In Griechenland liegt sie inzwischen bei 176 Prozent und in Italien bei 132 Prozent, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Der Quotient ist eine dynamische Größe. Der Schuldenstand im Zähler wächst mit einer Wachstumsrate, die näherungsweise dem durchschnittlichen Zins auf die Schuld entsprechen dürfte. Die Bezugsgröße im Nenner - das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - wächst jährlich in Höhe des nominalen Wirtschaftswachstums, also in Höhe des realen Wachstums plus Inflationsrate. Damit ist klar, dass sich mittels einer starken Inflationierung der Wirtschaft über die Zeit eine kräftige Verbesserung der relativen Schuldensituation erreichen lässt, sofern die Zinsen niedrig bleiben. Der verschuldete Staat wird zum Inflationsgewinner.
Eine Beispielrechnung, wann Italien eine Schuldenquote von 60% erreichen könnte
Für dauerhaft niedrige Zinsen hat die EZB weithin gesorgt, das reale Wachstum kann sie aber nur bedingt beeinflussen. Die verbleibende Zielgröße ist also die Inflation – aber sicher nicht die offiziell genannten zwei Prozent. Laut Schätzung der EU-Kommission hat Italien 2014 eine reale Schrumpfung des BIP um 0,5 Prozent erlitten, bei fast stabilen Preisen (Inflationsrate 0,2 Prozent). Die Staatsschuld betrug 131,9 Prozent des BIP. In diesem Jahr soll das BIP real um 0,6 Prozent steigen bei leicht rückläufigen Preisen (Inflationsrate minus 0,3 Prozent).
Der Schuldenquotient stiege auf 133 Prozent. Daraus errechnet sich ein Schuldenanstieg um 1,2 Prozent. Das entspricht annähernd der aktuellen Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen. Diese Daten zum Status Quo sollen Ausgangspunkt einer Beispielrechnung sein.
Wie viel Jahre es dauerte, bis Italiens Schuldenquote unter verschiedenen Annahmen zu Schuldenentwicklung und nominalem Wirtschaftswachstum das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent erreichte | |||||||
| nominales BIP-Wachstum (in Prozent) | ||||||
3,5 | 4,0 | 4,5 | 9,6 | 10,3 | 10,7 | ||
Schuldenwachstum | 1,5 | 40 Jahre | 32 Jahre | 26 Jahre | 10 Jahre |
|
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2,0 | 52 Jahre | 40 Jahre | 32 Jahre |
| 10 Jahre |
| |
2,5 | 80 | 54 | 40 |
|
| 10 Jahre |
Stünde Italien bei einer Schuldenquote von 130 Prozent und wollte das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent, dann würde dieser Prozess die in der Tabelle genannten Jahre beanspruchen, unter der Annahme verschiedener nominaler Wachstumsraten für das Bruttoinlandsprodukt und verschiedener Raten, mit denen der Schuldenstand wächst. Die Zeitspannen reichen von 26 Jahren im günstigsten Fall bis zu 80 Jahren im ungünstigsten Fall. In solchen Zeiträume wird niemand ernsthaft denken.
Würde man alternativ und modellhaft annehmen, dass Italien sämtliche Schulden jetzt mit einem zehnjährigen Bond und einer Verzinsung von 1,5 Prozent refinanziert, über die Laufzeit einen ausgeglichenen Primärhaushalt erzielt - also ohne Tilgung, aber auch ohne Neuverschuldung - und man wollte bei Fälligkeit des Bonds das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent erreicht haben, dann müsste das nominale jährliche Wirtschaftswachstum in dieser Zeit durchschnittlich 9,6 Prozent erreichen. Wenn davon das reale Wachstum bei durchschnittlich 1,5 Prozent läge, müsste die Inflation gleichzeitig bei über acht Prozent liegen.
Würde die Rate, mit der die Schulden wachsen (etwa bei leicht ungünstiger Entwicklung der Zinsen, lediglich auf 2,5 Prozent steigen) müsste bei sonst gleichen Bedingungen das nominale jährliche BIP-Wachstum im Schnitt bereits 10,7 Prozent erreichen. Die Inflation näherte sich also schon fast der Zehn-Prozent-Marke an.
Und das in einem Umfeld niedriger Zinsen!