Eurozone Kampf gegen die Deflation – oder: was die EZB wirklich plant!

Für dauerhaft niedrige Zinsen hat die EZB weithin gesorgt, das reale Wachstum kann sie aber nur bedingt beeinflussen. Die verbleibende Zielgröße ist also die Inflation.

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Foto der EZB in Frankfurt am Main Quelle: dpa

Die Zielrate der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Inflation in der Eurozone liegt bei moderaten zwei Prozent, aber die ist aktuell weit außer Sicht. Die zuletzt berichteten Daten zur allgemeinen Teuerung offenbarten gar leichte Deflation. Daraus aber wird ein Schreckgespenst konstruiert, ein Synonym für den Tod ökonomischer Aktivität - und das dient der Rechtfertigung einer beispiellosen Geldschwemme an den Finanzmärkten.

Offiziell will die EZB Gutes   Der Bankensektor soll de facto zum Nulltarif zusätzliche Liquidität erhalten und sich an seine Transmissionsfunktion im Wirtschaftskreislauf erinnern: Günstige Kredite an den Privatsektor vergeben um die Konjunktur zu beleben.

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Während in den USA Quantitative Easing (QE) realwirtschaftlich zu funktionieren scheint, versagt es in Japan auf der ganzen Linie. Dort hat es – seit Dezember 2012 unter dem Akronym Abenomics – zu einem Anstieg der Staatsschuld auf fast 230 Prozent der gesamten Wertschöpfung eines Jahres geführt, ohne nennenswertes Wachstum zu schaffen. Seit Frühjahr 2013 sind umgerechnet 1250 Milliarden Euro frischen Geldes aus der Notenpresse der Bank of Japan in die japanischen Märkte geflossen.

Ergebnis: Die  OECD prognostiziert für Japan Wachstumsraten von 0,25 Prozent (2014), 0,75 Prozent (2015) und 1,0 Prozent (2016). Eine Wachstumsstimulierung sieht anders aus. Massive strukturelle Probleme in Japan verhindern offenbar ein besseres Ergebnis.

Weitere Stationen im griechischen Schuldendrama

Unter strukturellen Problemen leidet auch Europa. Tatsächlich soll der Finanzsektor völlig überschuldete Staaten weiterhin zu obszön niedrigen Zinsen über Wasser halten. Dafür wird den Banken ein regelmäßiger Ausstieg aus ihren „Junk Bonds“ geboten, indem sie die Papiere an die EZB durchreichen können. Die kann dann behaupten kann, sie betriebe keine Staatsfinanzierung, denn sie kaufe die Papiere ja am Sekundärmarkt.

Quantitative Easing - und zuvor schon die Aussicht darauf - schmiert also die Aktivitäten der Marktteilnehmer an den haussierenden Bond- und Aktienmärkten. Es verhindert offizielle Staatspleiten, die faktisch längst eingetreten sind. Und es setzt eine Wirkungskette in Gang, deren tiefere Absicht nur die Erzeugung von massiver Inflation sein kann. Dazu muss der Euro zuerst zu einer Schwachwährung gemacht werden. Die erste Etappe ist erreicht: Der Euro wertete gegenüber dem Dollar binnen Jahresfrist um 17 Prozent ab.

Die europäische Politik signalisiert den Devisenmärkten den klaren Willen zur Schwächung der eigenen Währung. Quantitative Easing als Werkzeug  zur Krisenbekämpfung schwächt automatisch die Währung der Krisenregion – vor allem  wenn die reine Aufblähung der Geldmenge das einzige Ergebnis sein könnte. Hilfreich auch, dass die Wachstums-und Zinsdifferenzen derzeit ohnehin für den Dollar sprechen.

Wer von der Euroschwäche profitierte

Ist nun der Euro stark genug geschwächt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die steigenden Importpreise in die Binnenwirtschaft hineinfressen und die Inflation anheizen. Europa hat starke Gewerkschaften , und nach der Teuerung kommt der Teuerungsausgleich – mindestens. In Italien weiß noch jeder, was die Scala Mobile ist.

Zugegeben, im Augenblick ist von Inflation keine Spur. Vielmehr bejubeln Ökonomen den Ölpreiskollaps als Konjunkturprogramm für Unternehmen und private Haushalte, aber die Gegenbewegung wird kommen­ -  und ist ansatzweise bereits da. Nachdem im Januar der HWWI-Rohstoffpreisindex gegenüber dem Dezemberdurchschnitt in Dollar ölpreisbedingt noch einmal um 17 Prozent gefallen war,  betrug derselbe Preisrückgang in Euro gerechnet nur 11,8 Prozent.

Die volle Wirkung niedriger Rohstoffpreise auf den Weltmärkten kommt in der Eurozone nicht mehr an. Und ihre Halbwertzeit kann in Wochen gemessen werden. Der Ölpreis der Sorte Brent ist in den vergangenen vier Wochen in Dollar gerechnet um gut 25 Prozent gestiegen.

Sicher, die europäische Exportwirtschaft profitiert von der Euroschwäche. Aber ist es nicht vornehmlich der deutsche Exportweltmeister, der Windfall Profits über die Währung erzielt, weil Deutschland und die notleidenden Südländer bekanntlich dieselbe Währung haben und sich so kein vernünftiger Wettbewerbsvorteil der Südländer gewinnen lässt? An den deutschen Export aber denkt EZB-Präsident Mario Draghi aber gewiss nicht an erster Stelle.

Sein Blick ist auf etwas ganz anderes gerichtet: Die Schuldenquote in den Problemländern, also das Verhältnis von Staatsschulden zur jährlichen Wirtschaftsleistung.

Der Instrumentenkasten der EZB

In den Verträgen von Maastricht wurde für diese Kennziffer eine Höchstgrenze von 60 Prozent vereinbart. In Griechenland liegt sie inzwischen bei 176 Prozent und in Italien bei 132 Prozent, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Der Quotient ist eine dynamische Größe. Der Schuldenstand im Zähler wächst mit einer Wachstumsrate,  die näherungsweise dem durchschnittlichen Zins auf die Schuld entsprechen dürfte. Die Bezugsgröße im Nenner - das Bruttoinlandsprodukt (BIP) - wächst jährlich in Höhe des nominalen Wirtschaftswachstums, also in Höhe des realen Wachstums plus Inflationsrate. Damit ist klar, dass sich mittels einer starken Inflationierung der Wirtschaft über die Zeit eine kräftige Verbesserung der relativen Schuldensituation erreichen lässt, sofern die Zinsen niedrig bleiben. Der verschuldete Staat wird zum  Inflationsgewinner.

Eine Beispielrechnung, wann Italien eine Schuldenquote von 60% erreichen könnte

Für dauerhaft niedrige Zinsen hat die EZB weithin gesorgt, das reale Wachstum kann sie aber nur bedingt beeinflussen. Die verbleibende Zielgröße ist also die Inflation – aber sicher nicht die offiziell genannten zwei Prozent. Laut Schätzung der EU-Kommission hat Italien 2014 eine reale Schrumpfung des BIP um 0,5 Prozent erlitten,  bei fast stabilen Preisen (Inflationsrate 0,2 Prozent). Die Staatsschuld betrug 131,9 Prozent des BIP. In diesem Jahr soll das BIP real um 0,6 Prozent steigen bei leicht rückläufigen Preisen (Inflationsrate minus 0,3 Prozent).

Der Schuldenquotient stiege auf 133 Prozent. Daraus errechnet sich ein Schuldenanstieg um 1,2 Prozent. Das entspricht annähernd der aktuellen Rendite zehnjähriger italienischer  Staatsanleihen. Diese Daten zum Status Quo sollen Ausgangspunkt einer Beispielrechnung sein.

    

Wie viel Jahre es dauerte, bis Italiens Schuldenquote unter verschiedenen Annahmen zu Schuldenentwicklung und nominalem Wirtschaftswachstum das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent erreichte  

 

nominales BIP-Wachstum (in Prozent)

3,5

4,0

4,59,6

10,3

10,7

Schuldenwachstum
(in Prozent)

1,5

40 Jahre

32

Jahre

26 Jahre

10 Jahre

 

 

2,0

52 Jahre

40 Jahre

32 Jahre

 

10 Jahre

 

2,5

80

54

40

 

 

10 Jahre

 

Stünde Italien bei einer Schuldenquote von 130 Prozent und wollte das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent, dann würde dieser Prozess die in der Tabelle genannten Jahre beanspruchen,  unter der Annahme verschiedener nominaler Wachstumsraten für das Bruttoinlandsprodukt und verschiedener Raten, mit denen der Schuldenstand wächst. Die Zeitspannen reichen von 26 Jahren im günstigsten Fall bis zu 80 Jahren im ungünstigsten Fall. In solchen Zeiträume wird niemand ernsthaft denken.

Würde man alternativ und modellhaft annehmen, dass Italien sämtliche Schulden jetzt mit einem zehnjährigen Bond und einer Verzinsung von 1,5 Prozent refinanziert, über die Laufzeit einen ausgeglichenen Primärhaushalt erzielt - also ohne Tilgung, aber auch ohne Neuverschuldung - und man wollte bei Fälligkeit des Bonds das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent erreicht haben, dann müsste das nominale jährliche Wirtschaftswachstum in dieser Zeit durchschnittlich 9,6 Prozent erreichen. Wenn davon das reale Wachstum bei durchschnittlich 1,5 Prozent läge, müsste die Inflation gleichzeitig bei über acht Prozent liegen.

Würde die Rate, mit der die Schulden wachsen (etwa bei leicht ungünstiger Entwicklung der Zinsen, lediglich auf 2,5 Prozent steigen) müsste bei sonst gleichen Bedingungen das nominale jährliche BIP-Wachstum im Schnitt bereits 10,7 Prozent erreichen. Die Inflation näherte sich also schon fast der Zehn-Prozent-Marke an.

Und das in einem Umfeld niedriger Zinsen!

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