Ex-Sparkommissar Carlo Cottarelli Dieser Mann sollte Italiens Schulden abtragen – hier erklärt er sein Scheitern

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Die 50-Milliarden-Lücke

Cottarelli lässt sich nicht beirren. Er seziert den Haushalt, entwickelt Ideen für Einsparungen, aber auch für strukturelle Verbesserungen. „Herr Verboten“, nennen in die italienischen Medien nun. Cottarelli fühlt sich missverstanden. „Ich will doch den Staat gar nicht klein machen“, sagt er. „Die schlechte Haushaltssituation ist in vielen Dingen vor allem ein Problem schlechter Organisation Es gibt alle Zahlen, aber die Frage ist, ob die so zusammengeführt werden, dass man damit einen Staat führen kann.“

Also macht sich Cottarelli ans zusammenführen. Doch nun geht er jenen auf die Nerven, die im Finanzministerium eigentlich den Haushalt zusammenführen. Zudem gibt es einen Wechsel an der Spitze der Regierung. Der forsche Matteo Renzi putscht Cottarellis Förderer Enrico Letta weg. Mit Pier Carlo Padoan installiert Renzi einen Finanzminister, der wenig Wert auf einen Sparkommissar neben sich legt. Padoan beginnt mit der Neuordnung des Haushalts auf seine Art. Die Zahlen werden schnell besser.

Cottarelli sitzt zunehmend auf einem Beobachterposten und ist machtlos. Er sagt: „Natürlich hat sich Padoan bemüht, den Haushalt in Ordnung zu bringen. Aber richtig ernst hat er damit auch nicht gemacht.“ Um Italien wirklich voran zu bringen hätte man die Korruption richtig bekämpfen, die Justiz entbürokratisieren, das Nord-Süd-Gefälle ernsthaft ausgleichen müssen. Die Regierung Renzi macht all das – aber eher langsam, hält sich immer mehr mit Streitereien auf. Als Cottarellis Vorhaltungen nerven, wird er auf einen Posten beim IWF abgeschoben.

Der nervige Kommissar ist nun weg, das Problem bleibt. Italiens Schuldenberg wächst auch unter der Regierung Renzi weiter. Erst im letzten Jahr der Legislatur schafft es die sozialdemokratische Regierung, die Neuverschuldung zurückzufahren. Die Trendwende? Der Mann, der den Schuldenberg systematisch abtragen sollte, sagt: Nein. „Sie müssen ja nur die völlig unrealistischen Privatisierungserlöse in der Haushaltsprojektion für die nächsten drei Jahren herausrechnen, dann kommen Sie auf eine Lücke von 50 Milliarden Euro im Vergleich von Ziel und Wirklichkeit.“

Dabei will der Ökonom, der heute zu öffentlichen Finanzen an der katholischen Universität Mailands lehrt und forscht und dort im Rektorat sitzt, gar nicht den vergrätzten Experten geben, der vor den Unbillen der Politik zurück in den Elfenbeinturm floh. „Das Problem ist ja längst nicht nur die Politik, sondern vor allem, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit nicht einsieht.“ Allein wenn Cottarelli, dem sie in Rom eine gewisse Eitelkeit und bis an Sturheit grenzende Emsigkeit nachsagen wie -tragen, das jüngste Wahlergebnis sieht. Die Bewegung Cinque Stelle wurde da stärkste Fraktion, gefolgt von der PD, der rechten Lega und der konservativen Forza Italia von Silvio Berlusconi.

Bis auf den PD haben alle dieser Parteien vor der Wahl das Blaue vom Himmel versprochen. Bedingungsloses Grundeinkommen, Flat-Tax-Steuern, gar keine Steuern – sowas eben. Für Cottarelli steht fest: „Es haben die gewonnen, die gegenüber fiskaler Seriosität nicht besonders aufgeschlossen sind.“ Vor der Wahl hat er die Parteien gefragt, wie sie zum Haushaltsdefizit stehen. Die Cinque Stelle haben gar nicht geantwortet. Vom PD hieß es, wenn man so weitermache wie bisher, sei alles auf gutem Wege. Die Lega äußerte sich unverständlich. Und Berlusconis Forza Italia versprach, den Primärüberschuss des Landes auf vier Prozent zu treiben – schickte dann aber konkrete Ideen mit, die das Gegenteil bewirken würden. Cottarelli vermutet dahinter bereits System: „Vielleicht wollen manche auch den Haushalt nicht sanieren, weil sie einen Grund suchen, aus dem Euro zu kommen Die Situation ist schon gefährlich.“

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