
Die Sparer und Mario Draghi werden wohl keine Freunde mehr. Trotzdem will die Europäische Zentralbank (EZB) nun mithilfe einer Studie die Gemüter beruhigen. EZB-Generaldirektor Ulrich Bindseil erklärt mit seinen Co-Autoren Clemens Domnick und Jörg Zeuner von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), warum von einer Enteignung der Sparer durch die EZB keine Rede sein kann.
Langfristig hänge der reale Zins, also der Zins abzüglich der Inflationsrate, vom Wachstum ab, so die Autoren der Studie. Geldpolitik könne diesen Zins nicht nachhaltig manipulieren. "Das geht vielleicht zeitweise, etwa für ein oder zwei Jahre", schreiben die Autoren. Das sei aber nicht der Zeithorizont, der für den Sparer relevant sei. Diese hätten normalerweise einen Anlagehorizont von rund 20 Jahren.
Die Ökonomen versuchen sich am Gegenbeweis: Würde die EZB langfristig versuchen, den Zins künstlich zu steigern, würde das dem Sparer mehr schaden als nützen. Zwar würden die höheren Zinsen die Erträge der Sparer steigern, gleichzeitig würde die Zentralbank aber das Wachstum abbremsen, so die Studienautoren.
Fragen zum EZB-Anleihekaufprogramm
Die Preisentwicklung im Euroraum bereitet den Notenbankern Sorgen. Im Januar und Februar sind die Verbraucherpreise auf Jahressicht jeweils gesunken. Deshalb befürchten die Währungshüter eine Deflation, also einen anhaltenden Preisrückgang quer durch die Warengruppen. Das könnte dazu führen, dass Verbraucher und Unternehmen Anschaffungen in Erwartung weiterer Preissenkungen verschieben und die Wirtschaft erlahmt. Dies will die EZB mit den Käufen verhindern: „Das Programm wird dazu beitragen, die Inflation wieder auf ein Niveau zurückzuführen, das mit dem Ziel der EZB im Einklang steht.“ Die EZB strebt eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent an.
Die EZB kauft Wertpapiere am Sekundärmarkt - also nicht direkt bei Staaten, sondern bei Banken oder Versicherern. So wird Geld ins Finanzsystem geschleust. Die EZB erwartet, dass das Programm den Unternehmen in ganz Europa helfen wird, leichter Zugang zu Krediten zu erhalten. Das werde die Investitionstätigkeit steigern, Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum insgesamt stützen. Dafür druckt sich die EZB quasi selbst Geld, die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „Quantitative Lockerung“ (QE).
Die EZB will Papiere von Eurostaaten, von internationalen Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder von nationalen Förderbanken wie der KfW kaufen. Bei Staatsanleihen gilt: Gekauft werden nur Papiere von guter Bonität. Anleihen, die von Ratingagenturen als Ramsch gewertet werden, sind außen vor - es sei denn, das Land befindet sich in einem Sanierungsprogramm der EU und erfüllt alle Sparauflagen. Die Überprüfung des Programms muss abgeschlossen sein. Damit ist im Moment ausgeschlossen, dass die EZB Anleihen Zyperns oder Griechenlands kauft.
Bislang vor allem wie ein Schmierstoff für Aktienmärkte. Da viele andere Geldanlagen wegen der niedrigen Zinsen kaum noch etwas abwerfen, stecken Investoren ihr Geld in Aktien. Die Kurse steigen. Experten warnen, dass dadurch Blasen an den Aktienmärkten entstehen können. Ähnliches gilt für Immobilienmärkte. Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret sieht die Gefahr, dass viele Anleger auf der Suche nach Rendite zu Vermögenswerten greifen, die sie bisher wegen deren Risiken gemieden haben: „Die Entstehung von Preisblasen wird damit wahrscheinlicher, und das könnte zu einem Problem für die Stabilität des Finanzsystems werden.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, dass der Reformeifer in Krisenländern nachlassen könnte - schließlich wird das Schuldenmachen billiger, wenn die EZB als großer Akteur auf den Plan tritt. Kritiker werfen der EZB zudem vor, sie finanziere letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit.
Im Prinzip schon, doch sie hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Das gilt vor allem für die Zinsen, mit denen die Geldpolitiker eigentlich die Inflation steuern: Eine Zinssenkung verbilligt Kredite und soll Konjunktur wie Inflation antreiben. Doch die EZB hat den Leitzins schon auf 0,05 Prozent gesenkt, also quasi abgeschafft. „Gäbe es noch Spielraum, so hätte die EZB die Leitzinsen bereits gesenkt. Da diese Möglichkeit aber nicht mehr bestand, war das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten das einzig geeignete Instrument, mit dessen Hilfe die EZB ein ähnliches Ergebnis erreichen konnte“, erklärt die EZB.
Zudem würde die Notenbank gegen ihr Mandat der Preisstabilität verstoßen, deren Ziel eine Teuerungsrate von knapp unter zwei Prozent ist. "Eine Deflationsspirale ist sehr teuer für eine Volkswirtschaft", heißt es in der Studie. Auch diese Kosten würden am Ende die Sparer belasten.
Als Anlass für die Studie nimmt die EZB die anhaltende Kritik an der Niedrigzinspolitik der Notenbank. Vor allem von deutschen Medien und einigen Ökonomen seien die Aktionen der Zentralbank als unnötig und nicht effektiv kritisiert worden, so die Verfasser der Studie.
Ist das alles nötig?
Zuletzt war die EZB vor allem für ihr milliardenschweres Anleihekaufprogramm kritisiert worden. Insbesondere in Deutschland waren die Zweifel groß, viele hielten das Programm für unnötig. Während die EZB rechtfertigte, die Gefahr einer Deflation in der Euro-Zone sei angesichts der niedrigen oder negativen Teuerungsraten zu groß, hielten Kritiker die Angst für überzogen. Denn die Inflation ist vor allem aufgrund der niedrigen Ölpreise schwach.
Wird dieser Effekt abgezogen, ist die Gefahr sinkender Preise deutlich geringer. Aus Sicht der Kritiker überwiegen daher die Risiken einer solchen Politik, wie die Gefahr stark steigender Preise. Zudem wird der EZB vorgeworfen, sie wolle mit ihrer Politik lediglich den Peripheriestaaten helfen - diese können sich dank der Anleihekäufe leichter finanzieren, der Reformdruck ist deutlich gesunken.
Gut möglich, dass die EZB-Forscher mit ihrer Einschätzung richtig liegen, dass Sparer zumindest langfristig, also über einen Horizont von etwa 20 Jahren, von der expansiven Geldpolitik profitieren werden. Auf die Seite der EZB schlagen werden die Sparer sich wohl dennoch nicht. Zudem schafft es auch die Studie nicht, mit dem grundsätzlichen Problem der Konstruktion aufzuräumen.
Es ist schließlich kein Zufall, dass der Widerstand gegen die Politik der EZB besonders in Deutschland groß ist. Die Zinsraten der Zentralbank sind gerade für die Bundesrepublik zu niedrig, gemessen am Wachstum hätten sie höher ausfallen müssen. Für einige Krisenstaaten waren die niedrigen Raten dagegen immer noch zu hoch. Dieses Dilemma der heterogenen Euro-Zone wird allerdings auch keine Studie der EZB lösen können.
Trotzdem versuchen sich die Ökonomen auch für Deutschland an Wachstumshilfen. "Ohne Reformen bleibt das Wachstum niedrig", heißt es in der Studie. Wichtig sind aus der Sicht der Ökonomen eine bessere Ausbildung, insbesondere bei der frühkindlichen Bildung gebe es noch Verbesserungsmöglichkeiten. Zudem könnte ein noch größerer Teil der Bevölkerung in den Arbeitsmarkt integriert werden, auch das böte Potenzial für weiteres Wachstum in Deutschland.
Vor allem müsse das Investitionsklima in Deutschland weiter verbessert werden: "Eine Szenario-Analyse zeigt, dass das potenzielle Wachstum in Deutschland um 0,6 Prozentpunkte höher sein könnte, wenn die Bundesrepublik zu ihrem ursprünglichen Pfad mit mehr Investitionen zurückkehrt", schreiben die Ökonomen.