Experiment zum Grundeinkommen Sozial radikal – Finnlands 800-Euro-Lotterie

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Breite Unterstützung in der finnischen Bevölkerung

Im finnischen Experiment soll es letztlich eine Reihe von Versuchsgruppen geben. Eine Gruppe könnte etwa 800 Euro pro Monat erhalten, eine weitere Gruppe einen deutlichen höheren Betrag. Eine dritte wiederum würde wohl das Modell der negativen Einkommenssteuer testen, wonach das Grundeinkommen abnimmt, sobald ein Bürger einen Job hat, mit dem es verrechnet werden kann. Eine vierte Kohorte müsste als Kontrollgruppe dienen, um die Ergebnisse vergleichen zu können.

Expertin Kati Kuitto sieht noch Schwierigkeiten in der Umsetzung. Unter anderem müsse geklärt werden, ob und wie jemand Rentenansprüche erwirbt, wenn er das Grundeinkommen erhält. „Wer heutzutage Arbeitslosenhilfe oder Elterngeld bekommt, sammelt weiterhin Rentenansprüche. Das müsste beim Grundeinkommen ebenfalls sichergestellt werden“, sagt Kuitto.

Und: „Es darf niemand, der an dem Experiment teilnimmt, schlechter gestellt werden als zuvor.“ Kurzum: Wenn jemand sehr viele Sozialleistungen erhält, müssen diese auch künftig über das Grundeinkommen abgedeckt werden. Gegner des Konzepts bringen das immer wieder als Argument an. Staatliche Transferleistungen sollten immer an das Individuum angepasst werden, das Hilfe braucht. Eine Gleichbehandlung von allen sei nicht zielführend. Viel zu aufwendig und bürokratisch, hält die andere Seite dann für gewöhnlich entgegen.

Sollte das Experiment gelingen, kann das Grundeinkommen frühestens 2020 eingeführt werden. Innerhalb der finnischen Bevölkerung gibt parteiübergreifend viel Unterstützung für die Idee. Die Sozialversicherungsbehörde KELA hatte im September eine repräsentative Umfrage durchgeführt, wonach 69 Prozent aller Befragten das Grundeinkommen befürworten.

Am größten ist die Unterstützung bei den Anhängern des finnischen Linksbündnisses (86 Prozent). Bei den Grünen finden drei Viertel die Idee gut und selbst bei Konservativen (54 Prozent) und Christdemokraten (56 Prozent), die dem Vorschlag in der Vergangenheit eher skeptisch gegenüberstanden, findet die Idee Anklang.

Wie genau das Grundeinkommen letztlich konstruiert wird, ist auch eine Frage der Finanzierbarkeit. Der Finanzdienst Bloomberg rechnet in einer Überschlags-Kalkulation vor, dass jedes Jahr rund 47 Milliarden Euro benötigt würden, wenn jedem der knapp fünf Millionen erwachsenen Finnen im Monat 800 Euro gezahlt würden. Zum Vergleich: Für das Jahr 2016 kalkuliert Finnland mit einem Gesamtbudget der Zentralregierung von 54 Milliarden Euro, davon fünf Milliarden Euro Schulden.

Arbeitsmarktexperte Spermann rät in der Finanzierungsfrage zur Gelassenheit, schließlich sei es immer das „das Killerargument“ in der Debatte. Viel entscheidender für ihn: „Wenn man ein Modell finden würde, was finanzierbar ist und Arbeitsanreize schafft, müsste man es langsam implementieren – egal ob in Finnland oder einem anderen Land. Die Sozialsysteme müssten Stück für Stück umgestellt werden, auch um die Bürger an das neue Modell zu gewöhnen.“ In einigen Monaten wird Finnland entscheiden, ob es das Experiment wagt.

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