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Expo Mailand Der Kuschel-Kapitalismus von Solomeo

Mit dem Start der Weltausstellung Expo in Mailand, geht es zum ersten Mal seit Jahrzehnten nicht um den nächsten großen Wurf der Industriegesellschaft. Stattdessen ruft sich Gastgeber Italien zur Agrargesellschaft der Zukunft aus. Im Dorf Solomeo bei Perugia ist die Vereinbarkeit von Arbeit und Kapital schon jetzt zu sehen. Ein Ortstermin.

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Im italienischen Dorf Solomeo wurde die Vision eines modernen Italiens inszeniert. Quelle: Antonio Faccilongo für WirtschaftsWoche

Bevor diese Geschichte eines Landes beginnt, das sich selbst auf Entschleunigungskur gesetzt hat, sollten wir realistisch betrachten, was da in den nächsten 193 Zeilen auf uns zukommt: ein bewusst optimistischer Blick auf ein Land, dem wir Deutschen seine Eigenarten von jeher seltsam verklärt durchgehen lassen.

Ein Gastgeberland am Vorabend einer Weltausstellung Expo, das wir rosiger sehen, als es wirklich ist – was in den nun noch folgenden 186 Zeilen noch verstärkt werden soll. Nicht, um einen weiteren Seufz-, Schmacht- und Säuseltext über uns ergehen zu lassen, sondern, um im Jahre sechs der Euro-Krise der Beschreibung des Südens unseres Währungsraums die Fallbeilschärfe zu nehmen.

Brunello Cucinelli setzt auf den Konsum der Reichen, der Arbeit schafft. Quelle: Antonio Faccilongo für WirtschaftsWoche

Deswegen beginnt diese Geschichte mit Brunello Cucinelli. Der erscheint an einem der ersten Frühsommertage des Jahres auf weißen Sporttretern, über die sich eine weiße Stoffhose zieht, in der wiederum ein weißes Poloshirt steckt. Er, der mit der nach ihm benannten Marke einen großen Teil der besser verdienenden globalisierten Industriegesellschaft einkleidet, strahlt Unschuld aus. Was für ein Symbol.

Denn diese Unschuld versteckt sich hier im umbrischen Dörfchen Solomeo in vielen Winkeln: in dem Dorfkern aus dem 13. Jahrhundert, den der Modeunternehmer so glatt und harmonisch wieder aufgebaut hat, wie er wohl im Original nie war. In den Produktionsverfahren, mit denen Schneider und Weber so aufwendig arbeiten, wie es selbst in der vorindustriellen Landgesellschaft selten der Fall war. In den Sälen der Handwerksakademie, in denen mit Schneider, Schreiner oder Landwirt Berufe gelernt werden, die der Norden des Kontinents eher für das Problem denn für die Lösung darbender Volkswirtschaften hält.

Tops und Flops der Expo 2015

Cucinelli zieht einen Zettel hervor, zeichnet einen Kreis und sagt: „Das hier unten“, der Kreis bekommt einen Strich, der das untere Viertel abtrennt, „ist der Teil der Bevölkerung, dem wir derzeit keine Arbeit mehr geben können.“ Cucinelli malt einen zweiten Kreis. Dieser bekommt einen Strich, der die oberen zehn Prozent abtrennt. „Das ist der Teil der Weltbevölkerung, der über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt und alles attraktiv findet, was in europäischer Tradition handwerklich hergestellt wurde.“ Für Cucinelli gehören beide Kreise zusammen: „Wenn wir es schaffen, die unteren 25 Prozent unserer Bevölkerung so auszubilden, dass sie den Bedarf der oberen zehn Prozent der Welt befriedigen können, haben wir unsere sozialen Probleme gelöst.“

Vorstellung einer idealen Welt

Cucinelli, 61, schaut auf, als ob die Euro-Krise damit beendet wäre. Er ist kein Träumer. Sein Vermögen wird auf einen neunstelligen Betrag geschätzt. Das Dörfchen Solomeo hat er so aufbauen lassen wie seine Vorstellung einer idealen Welt: Alle der 800 Arbeitsplätze im 500-Einwohner-Dorf beschäftigen sich mit Handwerk, die Arbeitstage dauern von 8 bis 17 Uhr, mittags kommen alle für eineinhalb Stunden Mittagspause an langen Tafeln zusammen – und alle verdienen so viel, dass sie sich das schöne Leben leisten können. Es ist im Kleinen, was 465 Kilometer nordwestlich in Mailand, in Pavillons gegliedert, in vielen Aspekten beleuchtet wird.

Die spannendsten Pavillons
Der 35-Meter-„Baum des Lebens“ und ein Zehn-Meter-Tor von Daniel Libeskind inszenieren das Gastgeberland Italien bei der Expo 2015 in Mailand, die am 1. Mai ihre Tore geöffnet hat. Quelle: REUTERS
Erste Besucher strömen in den italienischen Pavillon, der von den Architekten Nemesi & Partner gebaut wurde. Aus dem sechsten Stock hat man einen guten Überblick über das Gelände. Quelle: REUTERS
Bescheidenheit und Rücksicht statt Gigantomanie. Die Expo setzt auf architektonischen Pragmatismus. Die meisten Gebäude werden nach der Expo abgebaut. Quelle: dpa
Chinas Pavillon ähnelt von oben einem gigantischem Weizenfeld; das Innere gleicht mitunter einem Korallenriff. Ebenfalls sehenswert: der Libeskind-Bau des chinesischen Baukonzerns Vanke. Quelle: REUTERS
Deutschland möchte sich „offen, sympathisch und humorvoll“ präsentieren. Überraschung: Die Landwirtschaft präsentiert sich als Innovationstreiber aus der Republik der Ingenieure. Quelle: dpa
Ein Blick auf den Pavillon von Nepal. Zu Beginn der Eröffnungsfeier gab es eine Schweigeminute für die Opfer des Erdbebens in Nepal. Die Expo steht unter dem Motto Ernährung und Energie. Bis Ende Oktober werden 20 Millionen Besucher in Mailand erwartet. Quelle: dpa
Der Pavillon der USA steht in diesem Jahr unter dem Motto "American Food 2.0: United to Feed the Planet". Darin soll die Einzigartigkeit der Geschichte der amerikanischen Ernährung dargestellt sein. Aspekte sind unter anderem Sicherheit, Ernährungspolitik, aber auch Gesundheit, Kulinarisches sowie Wissenschaft und Technologie. Quelle: dpa

Eine Version des Wohlfühl-Kapitalismus, die in Italien Kreise zieht. Das Motto der Expo lautet: „Den Planeten ernähren“. Damit beschäftigt sich eine Weltausstellung erstmals nicht mit industriellem oder technologischem Fortschritt, sondern mit der Verbindung von Humanismus und Ökonomie. Wenn die Tore der Weltausstellung öffnen, zeigt die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone ihre Vision: ein Land im Retrorausch, befreit vom Immer-schneller der Leistungsökonomie, die in Italien seit 13 Quartalen schrumpft. Zuletzt wanderte selbst Fiat nach London, und Pirelli wurde von Chinesen gekauft.

Nun also: Mode schneidern, Möbel schreinern, Lebensmittel veredeln. Das gute Leben.

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