EZB-Anleihekaufprogramm Draghi flutet weiter

Die EZB verlängert ihr Anleihekaufprogramm. Europa droht eine Abwärtsspirale aus Niedrigzinsen, Reformverweigerung und wirtschaftlichem Niedergang.

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EZB-Chef Mario Draghi hält an seinem Kurs fest. Quelle: AP

Seit Wochen hatten die Experten in Banken und Börsen darauf gewettet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Wertpapierkäufe verlängert. Dennoch  hat EZB-Chef Mario Draghi es geschafft, sie zu überraschen. Zwar kündigte Draghi wie erwartet an, die Wertpapierkäufe, die eigentlich im März 2017 auslaufen sollten, bis mindestens Ende Dezember 2017 fortzusetzen. Doch im Gegenzug soll das monatliche Kaufvolumen von bisher 80 auf 60 Milliarden Euro sinken. Was sich auf den ersten Blick wie die längst überfällige Abkehr vom Kurs der ultralockeren Geldpolitik ausnimmt, ist bei genauerem Hinsehen das glatte Gegenteil.

Diese Anleihen rentieren unter Null
Top 15: Daimler AGDie EZB startete den Ankauf von Firmenbonds in der vergangenen Woche und sammelte an einem einzigen Tag Titel im Volumen von 348 Millionen Euro ein. Daneben kaufen die Währungshüter Staatsanleihen im Volumen von inzwischen 80 Milliarden Euro monatlich. Dies drückt unter anderem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals unter die Marke von null Prozent. Bei kürzeren Laufzeiten gehören Negativzinsen bereits zum Alltag. Daimler verzinst seine bis zum 27. Juni 2018 ausgegebene Anleihe mit 2,125 Prozent. Die Rendite beträgt bei einem Gesamtvolumen der Anleihe von 935.617.500 Dollar minus 0,1049266 Prozent. Quelle: dpa
Top 14: Cooperatieve Rabobank UADas Gesamtvolumen europäischer Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel Investment Grade, die grundsätzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft werden können, liegt aktuell bei 2,8 Billionen Euro. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs. Auf platz 14 kommt die Rabobank mit einer Anleihe von 4,75 Prozent Normalzins. Der Titel der Niederländer läuft bis zum 15. Juni 2018 und rentiert bei derzeit -0,0853134 Prozent. Das Volumen: 5.084.241.250 Dollar Quelle: REUTERS
Top 13: Commerzbank AGAuch die Anleihen des zweitgrößten Geldhauses der Bundesrepublik rentieren mit -0,1815399 Prozent negativ. Der Titel läuft bis zum 2. Juni 2019, hat einen Zinskupon von 4,375 Prozent und kommt damit auf ein Volumen von 2.101.800.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 12: Caixa SADie Ausweitung der EZB-Anleihekäufe auf Schuldscheine europäischer Großkonzerne drückt deren Renditen immer tiefer. Inzwischen müssten Anleger bei 16 Prozent der Papiere dafür zahlen, den Firmen Geld leihen zu dürfen, teilte Tradeweb mit. Anfang Mai habe die Quote noch bei fünf Prozent gelegen. Anleihen der spanischen Bank CatalunyaCaixa kommen trotz eines Zinskupons von 4,25 Prozent auf eine Effektivverzinsung von -0,036232066 Prozent. Der Schein wird am 26. Januar 2017 fällig und hat ein Volumen von 2.507.600.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 11: BNP Paribas SADer Französische Bankenriese verzinst seinen bis zum 27. Juni 2017 laufenden Bond mit 2,875 Prozent. Doch die Rendite ist auf -0,1012968 Prozent gefallen. Das Volumen: 1.559.362.500 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 10: BMW Finance NVDer Langläufer der Bayern ist mit einem Normalzins von 3,25 Prozent ausgestattet und verfällt am 14. Januar 2019. Aktuelle Rendite: -0,0732932 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.584.700.000 Dollar. Quelle: AP
Top 9: Berlin Hyp AGDie Deutsche Pfandbriefbank legte einen Bond auf mit einem Normalzins von 4,5 Prozent. Das Papier läuft bis zum 3. Mai 2019 und rentiert bei minus 0,1940956 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.359.410.000 Dollar. Quelle: PR

So erklärte Draghi, die Währungshüter hätten zwei Alternativen erwogen.  Zum einen die Verlängerung der Anleihekäufe um sechs Monate bei unveränderten monatlichen Kaufvolumina von 80 Milliarden Euro. Zum zweiten die Verlängerung um neun Monate bei reduzierten monatlichen Kaufvolumina von 60 Milliarden Euro. Dass die Eurohüter sich für die zweite Alternative entschieden haben, heißt, dass sie ab März nächsten Jahres insgesamt 60 Milliarden Euro mehr an Zentralbankgeld (540 statt 480 Milliarden Euro) in den Bankensektor pumpen.

Angesichts der Größenordnung des gesamten Kaufprogramms der EZB mag das wie eine Petitesse erscheinen. Doch Draghi machte zugleich klar, dass die EZB nicht zögern werde, ihre Käufe über 2017 hinaus fortzusetzen, sollte dies nötig werden, um die Euro-Inflation von derzeit 0,6 Prozent auf den Zielwert der EZB von knapp unter 2 Prozent zu hieven. In ihren Prognosen geht die EZB davon aus, dass die Inflation erst in drei Jahren bei 1,7 Prozent liegen wird. Die Frage, ob dann das Inflationsziel erreicht sei, verneinte Draghi.

Im Klartext heißt das: Die Bürger und Unternehmer müssen sich darauf einstellen, dass die Eurohüter die Währungsunion über das Jahr 2019 hinaus mit Geld fluten werden. Sollten sich die wirtschaftlichen Aussichten in den nächsten Monaten eintrüben, behält sich die EZB zudem vor, die Geldschleusen schnell wieder zu öffnen, das monatliche Kaufvolumen könnte dann die anvisierten 60 Milliarden Euro übersteigen.

Darüber hinaus beschlossen die Währungshüter, das Spektrum der Anleihen, die sie kaufen, auszuweiten. So wollen sie demnächst Anleihen mit einer Laufzeit zwischen einem und 30 Jahren kaufen. Bisher erwerben sie nur solche mit Laufzeiten zwischen zwei und 30 Jahren.

Droht der Eurozone die nächste Großkrise?

Zudem behält sich die EZB vor, auch Anleihen mit negativen Renditen zu kaufen, die unter dem Einlagensatz der EZB von minus 0,4 Prozent liegen. In diesem Fall wären ihre Verluste aus dem Kauf der Anleihen größer als die Gewinne aus dem Einlagenzins, den die Geschäftsbanken an die EZB überweisen. Das schmälert den Gesamtgewinn der EZB und belastet letztlich die Steuerzahler.

Die Beschlüsse der Währungshüter zeigen, dass sie nicht im Traum daran denken, den Fuß vom geldpolitischen Gaspedal zu nehmen. Lieber laufen sie Gefahr, eine gigantische Vermögenspreisblase aufzupumpen, die neben den Aktien- und Anleihemärkten auch die Immobilienmärkte erfassen wird. Platzt diese Blase, droht der Eurozone die nächste Großkrise.

Warum, so mag man sich fragen, verhalten sich die Mannen um Draghi wie die Hasardeure und blenden die Risiken ihrer Geldvermehrungspolitik aus? Die Antwort liegt im Süden der Währungsunion. Die Krisenländer dort, allen voran Italien, sind angesichts ihrer gigantischen Schuldenberge, ihres faktischen Nullwachstums und ihrer Reformresistenz auf die Bonsai-Zinsen made in Frankfurt angewiesen, um nicht in den Staatsbankrott zu schlittern.

Das Schlimme ist: Je weiter und länger die EZB die Zinsen durch ihre  Anleihekäufe nach unten drückt, desto geringer wird der Reformdruck auf die Regierungen im Süden der Eurozone. Dass Draghi behauptet, es gäbe keinen Zusammenhang zwischen der Höhe des Zinsniveaus und der Bereitschaft der Regierungen zu Reformen ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Italien, Griechenland und Portugal geradezu lächerlich.

Lassen die Regierungen die Reform- und Konsolidierungszügel weiter schleifen, wovon auszugehen ist, nimmt der Druck auf die EZB zu, die Zinsen dauerhaft unten zu halten. Es entsteht ein Teufelskreis aus Niedrigzinsen, Reformattentismus und wirtschaftlichem Niedergang. Kommt später dann noch die Inflation hinzu, werden die Bürger nicht nur das Vertrauen in die Politik sondern auch das Vertrauen in das Geld verlieren. Spätestens dann stellt sich die Frage nach der Zukunft der Währungsunion.

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