EZB Auf dem Weg in den ewigen Nullzins

Sparer erhalten auf ihr Geld weiterhin praktisch keine Zinsen - mindestens ein weiteres Jahr lang. Quelle: dpa

Die Europäische Zentralbank zerstört alle Hoffnungen auf ein Ende der ultralockeren Geldpolitik. Die Schäden für die Wirtschaft werden immer größer.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Für die Sparer in der Euro-Zone war es heute ein rabenschwarzer Tag. Wer bisher noch ein Fünkchen Hoffnung hegte, in absehbarer Zeit wieder ordentliche Zinsen für seine Ersparnisse zu erhalten, kann sich diese Hoffnung nun getrost von der Backe putzen. Denn die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) beschlossen heute, die Leitzinsen bis mindestens Mitte nächsten Jahres auf den aktuellen Niveaus zu belassen.

Damit verlängern die Notenbanker ihr Niedrigzinsversprechen um sechs Monate. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken Zentralbankgeld bei der EZB leihen können, bleibt bei null Prozent. Der Einlagenzins, den die EZB den Banken für deren Einlagen bei der EZB berechnet, beträgt weiterhin minus 0,4 Prozent. Die Banken zahlen also weiter Strafzinsen, wenn sie Einlagen bei der Zentralbank halten.

Zudem beschloss die EZB, den Banken neue Geldleihgeschäfte zu günstigen Konditionen in Form zielgerichteter Langfristtender anzubieten. Diese starten im September 2019, werden quartalsweise aufgelegt und haben eine Laufzeit von zwei Jahren. Das Angebot endet im März 2021. Der Zinssatz für die Leihgeschäfte liegt 10 Basispunkte über dem durchschnittlichen Hauptrefinanzierungssatz, der während ihrer Laufzeit gilt. Derzeit wären das 0,1 Prozent.

Die Geldleihgeschäfte sollen die auslaufenden Leihgeschäfte aus dem Jahr 2016 ersetzen, die Banken auf diese Weise weiter üppig mit Liquidität versorgen und deren Kreditvergabe ankurbeln. Banken, die besonders viele Kredite vergeben, erhalten deshalb einen Zinsrabatt. Im günstigsten Fall zahlen sie für die Geldleihe nur den Einlagenzins plus 10 Basispunkte. Nach aktuellem Stand wären das minus 0,3 Prozent. Anders formuliert: Banken, die viel Kredit an Unternehmen und private Haushalte vergeben, werden von der EZB belohnt, indem diese ihnen Geld schenkt.

Dass die EZB die geldpolitischen Zügel abermals lockert, ist vor allem auf die sich eintrübende Konjunktur sowie die nach wie vor niedrige Inflation zurückzuführen. Zwar wuchs die Wirtschaft in der Eurozone im ersten Quartal um 0,4 Prozent. Allerdings war das nicht zuletzt eine Folge des außergewöhnlich warmen Winters, der die Produktion in der Bauwirtschaft angekurbelt hat.

Im zweiten Quartal dürfte es mit dem Wachstum wieder nach unten gehen, für Deutschland und Italien rechnen Experten gar mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung. Darauf deuten auch die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie hin, sie liegen für beide Länder im rezessiven Bereich. Auch die Inflation sinkt: im Mai lag sie in der Eurozone bei 1,2 Prozent. Rechnet man Energie und Lebensmittel heraus, lag die Geldentwertung sogar nur bei 0,8 Prozent, weit unter der Zielmarke der EZB von knapp 2 Prozent.

Setzt sich die Talfahrt von Konjunktur und Inflation fort, wird es brenzlig für die EZB. Anders als die US-Notenbank Fed, die wegen der sich ebenfalls abschwächenden US-Konjunktur jüngst ihre Bereitschaft zu Zinssenkungen angedeutet hat, steht die Frankfurter Währungsbehörde mit dem Rücken zur Wand. Denn sie hat es nicht vermocht, oder besser gesagt, nicht gewollt, die Geldpolitik in den vergangenen Boomjahren zu normalisieren. Aus Rücksicht auf die hoffnungslos überschuldeten Staaten im Süden der Eurozone haben die Eurohüter die Zinsen wider jede ökonomische Ratio auf Bonsai-Niveau gehalten. Genutzt hat´s wenig, geschadet viel.

Statt die Niedrigzinsphase für Strukturreformen zu nutzen, haben die Regierungen in Ländern wie Italien und Portugal, jüngst auch in Griechenland, die Spendierhosen angezogen und die Schulden aus dem Ruder laufen lassen. Frei nach dem Motto: Wenn es brenzlig wird, wird die EZB es schon richten. Italienische Politiker erdreisteten sich jüngst gar zu der Forderung, die EZB möge doch bitteschön alle Staatsanleihen des Landes kaufen. Dann nämlich könnte die Regierung in Rom das frisch gedruckte Geld für soziale Wohltaten, oder was sie dafür hält, unters Volk bringen und Wählerstimmen einsammeln.

Im Norden der Eurozone treiben die Mikrozinsen derweil die Sparer in die Verzweiflung und die Immobilienpreise in die Höhe. Berechnungen der DZ Bank zufolge raubte die ultralockere Geldpolitik der EZB den privaten Haushalten in Deutschland von 2010 bis 2019 netto (Zinseinbußen beim Geldvermögen saldiert mit den Zinsersparnissen bei Krediten) 358 Milliarden Euro an Zinseinnahmen. Zugleich treibt das Billiggeld die Preise und Mieten für Wohnungen und Häuser in den Großstädten mit zweistelligen Prozentraten pro Jahr in die Höhe. Das wiederum ruft Umverteilungsapologeten mit Forderungen nach Enteignung und Mietdeckeln auf den Plan.

Dass sich an der Geldflut aus Frankfurt bald etwas ändert, ist so gut wie ausgeschlossen. Als ein Journalist auf der Pressekonferenz auch nur die Möglichkeit höherer Zinsen ansprach, grätschte EZB-Chef Mario Draghi dazwischen und machte unmissverständlich klar, solche Gedankenspiele seien völlig abwegig. Im Rat der EZB habe man vielmehr darüber diskutiert, wie man die Geldpolitik bei einer weiter ungünstig verlaufenden Konjunktur weiter lockern könne. Dabei sei es auch um mögliche Zinssenkungen sowie die Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms gegangen. Letzteres habe der Europäische Gerichtshof als verfassungskonform eingestuft, daher stehe es der EZB jederzeit zur Verfügung.

Die Botschaft, die Draghi verbreitete, ist klar: Die Nullzinsen in der Eurozone werden zu einer Dauerveranstaltung, die Anleihekäufe im Notfall ebenfalls, die geldpolitische Normalisierung zu einer Fata Morgana. Damit dreht sich die Spirale der volkswirtschaftlichen Destruktion immer schneller. Der Geldsozialismus, der erst in die Schuldenwirtschaft geführt und dann den Zins zerstört hat, mündet unweigerlich in den realwirtschaftlichen Sozialismus. Ob sich die Bürger so die Zukunft Europas vorgestellt haben?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%